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Gewalttäter und Illusionisten

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Maxwell Anderson (1888 bis 1959) zählt in Amerika zu jener Gruppe Dramatiker, die als erste das „ernste Theater“ gepflegt und damit die Entwicklung zum Drama und zur Tragödie durchgesetzt haben. Sein beachtlicher Ruf gründete sich auf seine häufig gespielten gesellschaftskritischen Stücke mit naturalistischer und bisweilen auch romantischer Färbung. Schwerer hatten es seine Dramen um die englischen Königinnen Elisabeth, Maria Stuart und Anne Boleyn, die Bühne zu gewinnen. In seinem Schauspiel „Königin für tausend Tage“ greift er ein im Drama, Film und Roman oft behandeltes Thema auf: Heinrich VIII., der königliche Blaubart auf dem englischen Thron, „Tyrann, Ketzer, Despot und Teufel“ in einer Person. Aus dem Reigen seiner sechs

Frauen und der Folge von Heirat, Scheidung, Annullierung und Hinrichtung griff Anderson die Gestalt der Anne Boleyn heraus und ließ zwischen dem königlichen Eber und der ebenso schönen wie ehrgeizigen und machtgierigen Frau einen Kampf auf Leben und Tod austragen. Das geht in 15 Bildern vor sich, wobei der historische Hintergrund (Heinrichs Auseinandersetzung mit dem Papst wegen der Trennung seiner ersten Ehe, sein Bruch mit Rom und seine Wahl zum Oberhaupt der „Anglikanischen Kirche“) nur am Rande angedeutet Wfthü "tsaaib :sifßrf iriaatiirws;

Der historische Heinrich War'\eliin Ungeheuer, zugleich aber 'auch eia echter König, der über sein Volk herrschte und mitten im Strom des Geisteslebens seiner Zeit stand. Aus der Sicht Andersons und verkörpert durch Helmut Qualtinger in der Aufführung des Volkstheaters unter der umsichtigen Regie von Leon Epp ist Heinrich eher „grausam und verdorben“, und wer „so mächtig ist, gerät in Versuchung, das ganze Land als sein eigen zu betrachten und mit Haut und Haar aufzufressen“. Also weniger König als ein königlicher Gangster, der seine Gewissenlosigkeit in der Schule des Kardinals Wolsey (seines Ratgebers) gelernt und mit ihm bei den ganz großen Raubzügen halbpart gemacht haben will. Qualtinger bringt denn auch für das königliche Monstrum den ganzen Abend über nur zwei Töne auf: einen rauhen Brüllton und einen sanften, elegischen, was auf die Dauer etwas eintönig wirkt. Rein körperlich und physiognomisch dagegen füllt er di Rolle zur Gänze aus. Seine Gegen Spielerin, Charlotte Oswald (ein Gast au: Mannheim), ist als die unselige Anni eine sympathische Erscheinung und bliel nur in den Haßausbrüchen zu sanft unc ungefährlich. Daß man ihr den jäher Umschwung von Abscheu zur Zuneigung und schließlich unerschütterlichen Lieb zu dem Bösewicht nicht glaubte, s wenig wie dessen Ruheposen bei selbst verfertigter Lyrik und Musik, geht zt Lasten des Autors und seiner schwacher Motivierung und Charakterisierung Hans Rüdgers spielte den intriganter Kardinal Wolsey, Klaus Höring Anne: unglücklichen Bräutigam, Lord Percy Den übrigen zahlreichen Darstellern vom Autor nur kärglich bedacht, bol sich keine Gelegenheit zur Entfaltung Das sehr eindrucksvolle, einen überaus schnellen Szenenwechsel ermöglichende Bühnenbild mit den aufklappbaren Wänden und den Schwarzweißprojektionen nach alten Stichen stammte von Gustav Manker. Der Beifall galt vor allem den beiden Hauptdarstellern.

Es gibt Bühnenstücke, die jeder Einteilung in eine Kategorie spotten, keine dramatische Linie aufweisen, und doch reizvolles Theater abgeben. Solche Stücke schreibt bisweilen der flämische Bühnenpoet Paul Willems. Meist läßt er mit verspielter Leichtigkeit versponnene Poesie und bürgerliche Wirklichkeit sich wirkungsvoll gegenüberstehen und ergänzen. Seine bildferreiche Sprache leuchtet und funkelt dabei, denn Willems ist ein Poet. Dafür zeugten bisher in Wien „Der Bärenhäuter“, „Of und der Mond“, „Es regnet in mein Haus“ und „Der gute Wein des Herrn Nuche“, durchweg „Märchen für Erwachsene“. Seine winterliche Ballade „Schnee“ (im Akademietheater) macht es einem schwerer. Sie spielt in einem vom Krieg (vielleicht dem Dreißigjährigen) heimgesuchten Niemandsland zwischen Schloß und Schenke. Im uneinnehmbaren Schloß träumt die mehr als 60jährige Komtesse Warna, umgeben von junger Dienerschaft und einem Wortedrechsler von Sekretär, ihren Traum von ewiger Liebe und hält den glatzköpfigen, schmerbäuchigen Chevalier Rodrigue, einen üblen Hochstapler und Schmarotzer, immer noch für ihren Liebeshelden von einst. Unten in der Schenke haust der Wirt mit seinem Personal, verhungerte, in Lumpen gehüllte arme Kreaturen. Der Zusammenprall der beiden Welten endet tragisch. Ein bitteres,-trostloses „Märchen“ vbn einer schal gewordenen Liebe, schwarz wie der Schnee auf dem Bühnenbild. Doch ist es dem Poeten aus Flandern hier nicht recht gelungen, das Element einer skurrilen Illusion mit dem einer bösen Wirklichkeit in eine Einheit zu bündeln. Regie (Rudolf Steinbock) und Darsteller bemühten sich redlich, das Publikum für diese doch recht ausgefallene Dichterwelt zu gewinnen.

Paula Wessely in der Rolle der gespenstigen Komtesse hatte einige große Szenen, Fred Liewehr als schmarotzender Chevalier, Michael Janisch als brutal-dreister Wirt, Bruno Dallansky, Erika Pluhar, Manfred Inger als Sekre- tarius und alle übrigen boten durchweg beachtliche Leistungen. Zum Erfolg trugen auch die Bühnenbilder und Kostüme von Lois Egg und Erni Knie- pert bei.

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