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Gewichtiges kleines Männchen

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Mehr Gewicht scheint ein anderer „bekehrter“ Stalinist zu haben: Roman Zambrowski. Das Gewicht ist im übertragenen Sinne zu ver- sMfeh?%ari nr iftttere mit dem Wort mehr in die Waagschale als mit der Körperlichkeit. Genau vor einem halben Jahrhundert in Warschau geboren, führte er, der einzige Jude im Politbüro, damals einen anderen Familiennamen. Dafür hat er seine scharf kommunistischen Ueberzeugungen nicht gewandelt, seit er fünfzehnjährig der illegalen leninistischen Jugendorganisation beitrat. Von Beruf Metallarbeiter, aus Berufung und auf Grund emsigster Lektüre der marxistischen Texte, samt der sie kommentierenden Auslegungen einer der Hauptideologen seiner Partei, pendelte er im Zwischenkriegspolen zwischen prekärer Verschwörerexistenz und Gefängnis hin und her. Im zweiten Weltkrieg war er politischer Kommissar mit Oberstenrang in der gemeinsam mit den Sowjetheeren fechtenden polnischen Armee. Nach 1945 schrieb er sich als Vorsitzender der Kommission zum Kampf gegen wirtschaftliche Mißbrauche und Sabotage zahllosen Opfern ins Gedächtnis, die er mitleidlos, oft einzig als Klassenfeinde, einem trüben Los überantwortete.

Dritter aus dem alten, Bierutschen Politbüro: Edward O c h a b. Nochmals ein gewesener Untertan Franz Josephs I.; sogar der Sohn eines Mannes, der, wenn auch auf bescheidenem Posten, die k. k. Ordnung mit aufrechterhielt, nämlich eines Krakauer Polizisten (nach anderer Lesart: Gefängniswärter). Geboren 1906, war er in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts unter der sozialistischen Hochschuljugend rege an der revolutionären Arbeit. Er studierte an der Universität und an der Handelshochschule. Dann aber übte er als eigentlichen Beruf den eines kommunistischen Agitatoren, der nebenbei Spionage zugunsten der Sowjetunion betrieb. Das verschaffte ihm dreimalige strenge Gerichtsurteile. Wie Zawadzki öffneten sich ihm die Gefängnis- tore, als die Russen Polens Osthälfte besetzten, und wie dieser widmete er sich an leitender Stelle dem Propagandadienst in der auf Sowjetseite gebildeten polnischen Armee. 1945 Minister für Verwaltung, erwarb er sich bedeutende Verdienste beim Errichten von Anhaltelagern für Feinde des Regimes. Der Lohn winkte in der Wahl zum Mitglied des Politbüros (1951). Ochabs Ruf drang bis nach Moskau. Als Bierut starb, eilte Chruschtschow persönlich herbei, um die Betrauung Ochabs mit der Nachfolge als Erster Sekretär der PZPR durchzusetzen. (Gegenkandidat war, um seine' Abkunft willen unterliegend, Zambrowski.) Später -"berließ man ihm das in Polen so wichtige Portefeuille der Landwirtschaft. Dieses Ressort verwaltet er behutsam und nicht ohne Geschick. Auf zweiten Posten mag er sich bewähren, auf ragendem Gipfel, für den er nicht' geeignet istf®hiat Ochab versagt. norfH sbHÄ nwt fedfcm ‘ risiaiąisH ’ ;i

Von Zenon Kliszko, dem intimsten Freund Gomulkas, möchten wir das nicht beschwören. Er gilt, mit Cyrankiewicz und Spychalski, als der befähigste im obersten Parteigremium, in das er erst im heurigen März hineingekommen ist. Jugendlicher Fünfziger, gut aussehend und wohlerzogen, Akademiker, doch in beengten Verhältnissen aufgewachsen, ein starker Charakter, dem dennoch die Schmiegsamkeit nicht mangelt, wenn es sich um Taktik und ums Formale handelt, persönlich ungläubig, doch einer der Haupturheber des Modus vivendi mit der Kirche im Herbst 1956, hat Kliszko als Führer einer Parlamentarierdelegation in England ebenso positiv gewirkt wie Rapacki. In der PZPR hat er als Vorsitzender der Sejm-Fraktion eine Schlüsselstellung inne. Er teilte mit Gomulka Freud und Leid, Ehren und Verfolgung. Mit ihm war er bis 1948 im engsten Führungskreis, wurde er der Parteiämter und seiner hohen staatlichen Funktionen entkleidet, kam er in Haft. 1956 kehrte er in die Freiheit, an die Oberfläche und, als Staatssekretär, in die Regierung zurück.

Freilich ist Kliszkos Gesundheit, wie die der meisten seiner Kollegen, infolge einer stürmischen politischen Jugend und Kampfepoche nicht die beste. Die Gomulkas war stets heikel; er scheint aber mit den Jahren, mit dem Erfolg und mit der Verantwortung widerstandsfähiger geworden zu sein. Stimmt das auch bei Marian Spychalski, dem Verteidigungsminister? Dem Jahrgangsgenossen Ochabs (1906), dem ideenreichen Architekten, dessen eigenständige Entwürfe preisgekrönt wurden, schien eine große Zukunft bereits unter dem vorigen Regime verheißen. Am zweiten Weltkrieg nahm er zunächst als Reserveoffizier, dann als einer der leitenden Organisatoren des Partisanenkampfes gegen die Deutschen teil. Generalstabschef der kommunistischen „Gwardia Ludowa“, wurde er in die neue Armee Polens als General übernommen, Vizeminister für Landesverteidigung- und Stellvertreter des Armeeoberkommandanten Marschall Rola-Zymierski. Er vertrat ähnliche Ansichten wie Gomulka und Kliszko. Mit ihnen kam er zu Fall. Abgesetzt und verhaftet, erlitt er arge Torturen durch die Geheimpolizei. Nach Gomulkas Machtübernahme war es geradezu selbstverständlich, daß er Rokossowski als Wehrminister und Oberbefehlshaber ersetzte. Er reinigte die Armee von Stalinisten, entledigte sich der überflüssigen sowjetischen Berater, sorgte indessen, als ebenso überzeugter Kommunist wie Gomulka, dafür, daß sich weder am marxisti schen Geist noch an der Umschichtung des vorwiegend aus Söhnen der Bauern und Arbeiter sich ergänzenden Offizierskorps wesentliches änderte. Er selbst ist angeblich einer Familie von Ackersleuten entsprossen. Die feinen Züge, die natürliche Eleganz Spychalskis, wecken aber einigen Zweifel an dieser amtlich verbreiteten biographischen Einzelheit.

Weit eher trauen wir der Angabe, daß Jerzy M o i; a w s k i, der einundvierzigjährige Benjamin des Politbüros, Gomulkas besonderer Schützling, und — leider — oberster Parteispezialist für Kulturfragen, nicht einer der Adelsfamilien angehört, die, gleichen Namens, dem polnischen Geistesleben viele bedeutende Gelehrte, Dichter und Politiker geschenkt haben. Von gedrungener Gestalt, mit einem Gesicht, aus dem geballte Energie, Brutalität und Schlauheit sprechen, lastet dieser Arbeitersohn und kommunistische Jugendführer, der mit noch nicht dreißig Jahren Oberst der kommunistischen Partisanenarmee war, heute schwer auf den Intellektuellen. Ihm kreiden sie die Enttäuschungen an, die sie an Gomulka erfahren haben. Auch in kirchlichen Kreisen ist man ihm nicht sehr grün.

Weniger Unwillen als Morawski hat Gomulkas alter Kampfgenosse und, nebst Kliszko, nächster Freund, Ignacy Loga-Sowinski, auf sich geladen. Dieser in der Gewerkschaft emporgestiegene authentische Proletarier, das Idol des Lodzer Parteivolks, ist persönlich durchaus sympathisch, ehrenwert und aufrichtig um die Besserung des Loses der „Werktätigen“ bemüht. Im Charakter wie im Aussehen (die professoralen Brillen inbegriffen) ähnelt er Gomulka, ohne dessen Format zu erreichen — außer in der überragenden Körperlänge.

Da nun, und nicht nur darin, ist ihm Edward G i e r e k über. Dieser hervorragend gescheite und wendige Sohn eines Kumpels aus dem großen Kohlenrevier, hat von Kindheit her den Vorteil, den Westen vorzüglich zu kennen. 1913 geboren, kam er jung nach Frankreich, von wo er als kommunistischer Agitator ausgewiesen wurde. Alsbald kehrte er nach dem Okzident zurück, diesmal nach Belgien, wo er während des zweiten Weltkrieges die polnische Gruppe der dortigen Resistance leitete. 1948 wieder in Polen, Parteisekretär in Kattowitz, wurde er ins Sekretariat der Gesamtpartei berufen. Seine gediegenen Kenntnisse in der Schwerindustrie bahnten ihm den Weg, doch den entscheidenden Anstofe ta rfift£'isein£ Laufbahn, alä’ ? n'ädh 'deitf Posener Ereignissen vom JUni 19 6 zugleich die sie auslösenden Mißstände aufzudecken und die murrende Arbeiterschaft zu besänftigen wußte. Gierek war kurze Zeit im Politbüro, wurde im Oktober 1956 nicht darin belassen, kam aber jetzt, im März 1959, neuerlich und wohl auf die Dauer in diesen Areopag, wo er sich vornehmlich um die Industrie kümmern dürfte.

Die Obhut über die gesamte Wirtschaft ist, von der Planung her, dem 1910 in Warschau geborenen Stefan Jedrychowski aufgebürdet. Aus adeligem Geschlecht, Jurist und vor dem zweiten Weltkrieg Dozent an der Universität Wilna, war er als Hörer dieser Hochschule Mitglied eines Kreises sehr linksgerichteter katholischer Studenten, die sich um den von edlem Sozialeifer erfüllten Dombinski sammelten. Der spätere Pariser Botschafter und zeitweise sehr vom Staliniämus angekränkelte Erzähler und Publizist Putrament, ähnlicher Abkunft wie Jedrychowski, hat das bewegte Treiben dieser ungestümen Jugend im Roman „Rzeczywistosc“ (Wirklichkeit) in nur spärlicher Verhüllung geschildert. Jedrychowski, der 1936 formell der Kommunistischen Partei beitrat, war im zweiten Weltkrieg eine der markantesten Figuren im sowjetophilen polnischen „Patriotenkomitee“. 1945 wurde er Außenhandelsminister, hernach Stellvertreter des Wirtschaftsdiktators Mine und endlich dessen Nachfolger als Chef des Planungs- amtes. Wendig und scharfsichtig, hat er sich unter Bierut behauptet und unter Gomulka den Sprung nach ganz oben getan. Soweit es bei den Verhältnissen möglich ist, hat er die polnische Planwirtschaft durch zahllose Klippen leidlich hindurchgelotst. Jedrychowski wird nicht gerne an seine Herkunft und an seine katholische Vergangenheit erinnert. Er ist, allen Anzeichen nach, ein in seinem marxistisch-leninistischen Glauben unerschütterlicher Kommunist, Verfechter der Planwirtschaft, der Industrialisierung und der engen Einordnung in den sowjetischchinesischen Wirtschaftsblock.

So ziehen sie einher, die Zwölf vom Politbüro, der Partei und dem volksdemokratischen Polen voran; mehrere hochbegabte, fast alle tüchtige Männer, denen der objektive Gegner und Kritiker manche Leistung zubilligen muß. Eines aber ist sicher: Adelssprossen, Bürgersöhne, Kinder von Bauern oder Arbeitern, aus katholischer Umwelt oder der Religion schon von Jugend an entfremdet, bekennen sie sich zum reinen Materialismus.

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