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„Gewohnt in schiefem Licht zu stehn“

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„Bemühungen“ ist der Titel eines Essay-Bandes von Thomas Mann, und „Bemühungen“ könnte als Motto über dem Leben und Schaffen von Thomas Mann stehen. Bemühungen um die Rechtfertigung seiner Existenz als Künstler, Schriftsteller, Staats- und Weltbürger. Solche Naturen neigen zur Selbstkommen-tierung, zum Rechenschaftlegen und Auskunftgehen. Thomas Mann hat mit Selbstzeugnissen nicht gespart: Wir finden sie, in dichterischer Form, in fast allen seinen Hauptwerken, greifbarer in Essays, die oft mehr vom Darstellenden als vom Gegenstand der Darstellung handeln, in einigen von ihm selbst verfaßten Lebensläufen, ja es gibt sogar unter dem Titel „Roman eines Romanes“ die ausführliche Entstehungsgeschichte, 240 Seiten lang, eines seiner Werke, des Dr. Faustus.

Trotzdem sind diese 422 Briefe, die aus einigen tausend von der Tochter des Dichters ausgewählt wurden, eine wichtige Ergänzung aller dieser genannten Äußerungen und Selbstkommentare, ja sie komplettieren das Bild des Menschen Thomas Mann durch sehr wesentliche Züge und eröffnen neue Aspekte. Fast möchte man wünschen, daß gerade diese Sphäre, die menschlich-private, noch stärker be-tücksichtigt worden wäre. Aber hier waren der Herausgeberin sowohl infolge der gebotenen Diskretion, als auch durch den Verlust vieler hundert Briefe (so zum Beispiel der gesamten mit seiner Frau geführten Korrespondenz) Grenzen gesetzt. — Diesen- Brief band will die Tochter de« Dichters betrachtet wissen als „ein Zeugnis feiner zarten, zähen, so vielfach enga? gierten, gewissenhaften und neugierigschweifenden Existenz“. Und dieses Vorhaben kann man im ganzen als geglückt bezeichnen. Ein zweiter Band soll folgen, und die Veröffentlichung der gewissenhaft geführten Tagebücher Thomas Manns, die aber erst frühestens 20 Jahre nach des Dichters Tod erfolgen darf, wird erst ein umfassendes und vollständiges Bild der Persönlichkeit Thomas Manns geben.

Thomas Mann war sein ganzes, 80 Jahre währendes Leben ein „engagierter“ Schriftsteller: Engagiert als Künstler, der von der Problematik der künstlerischen Existenz zutiefst durchdrungen war, engagiert als politisch denkender Mensch, der sich vom Nationalen und Konservativen zum liberalen Demokraten und Weltbürger wandelte; engagiert in der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern und als Freund seiner Freunde; engagiert schließlich als Gatte, Bruder (in einer jahrzehntelangen scharfen Polemik mit Heinrich Mann) und als Vater von sechs eigenwilligen Kindern. Trotz der angedeuteten politischen Wandlung hat Thomas Mann seine Herkunft aus dem 19. Jahrhundert nie verleugnet, seine Filiation von den großen russischen, französischen und skandinavischen Epikern, seine Verehrung für das Dreigestirn Schopenhauer—Wagner—Nietzsche, seine Zugehörigkeit zum Christlich-Abendländischen und zur griechisch-römischen Humanität.

Die vor allem von „Konservativen“ und „Völkischen“ gegen ihn erhobenen Vorwürfe sind bekannt. Daß er ein Großstadtliterat und daher undeutsch sei, daß er kein Gefühl für Heldentum habe, daß er mit Vorliebe die Phänomene der Verfeinerung und Dekadenz beschreibe und sich hierbei der unkünstlerischen Form der Kolportage bediene — all das mußte Thomas Mann sich fast sein ganzes Leben lang anhören. Auf einen solchen brieflichen Angriff entgegnete er einmal: „Im übrigen bin ich es ja gewohnt, in schiefem Licht zu stehn“. und nicht ohne Stolz stellte er ein andermal fest: „Ich weiß in aller Ruhe, daß ich nicht naturfern bin, ich bin 'kein Literat, sondern Ich bin. Ich besitze natürliches Schwergewicht, und was ich mache, hat Charakter, da; heißt: es hat Natur. Das genügt ntir.“ Diese Worte stehen in einem Brief an Josef Ponten, dessen Werk Thomas Mann bis zu einer gewissen Zeit sehr schätzte und mit dem er auch freundschaftlich verbunden war, bis Ponten immer mehr ins nationalistische Lager schwenkte und zu offenen und versteckten Angriffen gegen den ehemaligen Freund überging. An Pontens Adresse ist auch das Wort Goethes gerichtet, welches Thomas Mann zitiert, „daß in nationalen Dingen am Meinen und Sagen eines Mannes sehr wenig, am Sein, am Tun dage-gegen alles gelegen sei“.

So war auch Thomas Manns Emigration, zunächst in die Schweiz, dann nach Kalifornien, keineswegs freiwillig und bedeutete für ihn einen schweren Entschluß und eine schmerzhafte Loslösung: aus dem deutschsprachigen und europäischen Kulturkreis — und von seinen Lesern. „Ich bin ein viel zu guter Deutscher, mit den Kulturüberlieferungen und der Sprache meines Landes viel zu eng verbunden, als daß nicht der Gedanke eines jahrelangen oder auch lebenslänglichen Exils eine sehr schwere, verhängnisvolle Bedeutung für mich haben müßte.“ (Brief vom 13. November 1933 aus Arosa an Lavinia Maz-.ueehetti.) Im übrigen hat Thomas Mann, der „Weltbürger“, nie auch nur einen Satz englisch geschrieben und hat sich, in seiner selbstironischen Art, oft und gern als eine „geborene Zimmerlinde“ bezeichnet. Denn trotz aller Beschäftigung mit den zumeist feindseligen Weltläufen und der Tagespolitik galt seine eigentliche Liebe und Anstrengung dem Werk. „Ich freue mich so sehr aufs Erzählen!“ ruft er beim Abschluß der mühevollen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ aus. Und an seine Tochter Erika schreibt er: „Ich bin recht froh, daß ich wieder schreibe. Man fühlt sich eigentlich doch nur, und weiß nur etwas von sich, wenn man etwas macht. Die Zwischenzeiten sind greulich.“ Hierzu noch ein anderes Bekenntnis: „Ich mißtraue dem Genuß, ich mißtTaue dem Glück, ich halte es für unproduktiv. Ich glaube, daß man nicht beiden Herren dienen kann, dem Genuß und der Kunst, daß man nicht stark und vollkommen genug dazu ist.“

Solche menschlichen und bekennenden Worte finden sich viele in diesen Briefen, auch an „Prominente“. Obwohl die Herausgeberin ein« Sammlung berühmter Adressaten vermeiden wollte, finden sich doch sehr viele in dem vorliegenden Band, so Ernst Bertram, Richard Dehmel, Maximilian Harden, Gerhart Hauptmann, Hermann Hesse, Hugo von Hofmannsthal, Hermann Graf Keyserling, Alfred Kubin, Hans Pfitzner, Arthur Schnitzler, Frank Wedekind, Stefan Zweig und andere. Das Namensregister am Ende des sorgfältig bearbeiteten Bandes umfaßt 28 enggedruckte Spalten. Die Herausgeberin hat. gewissenhafteste Arbeit vor allem in den 100 Seiten umfassenden Anmerkungen geleistet, wo über die Adressaten, sowie die in den Briefen erwähnten Vorkommnisse und Werke knapp und genau Auskunft gegeben wird. Ergänzt wird diese wichtige Briefpublikation durch ein , ausführliches Werk-Register, in welchem sämtliche hier erwähnten Schriften Thomas Manns in alphabetischer Reihenfolge mit dem Datum ihrer Erstveröffentlichung sowie ihre Aufnahme in später erschienene Sammelbände beziehungsweise ihr Ort innerhalb der Gesamtausgabe aufgezählt sind.

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