6550616-1947_40_06.jpg
Digital In Arbeit

Giovanni Papini

Werbung
Werbung
Werbung

Klassisch, doch berauschend mannigfaltig und lebendurchpulst wie seine Vaterstadt Florenz, stehen die Werke Papinis vor uns. Viele, die ihn nur oberflächlich kennen, bewundern in ihm den ungewöhnlichen Polemiker, Schriftsteller und Autodidakt, sie sehen wohl auch den überragenden Dichter, entgangen ist ihnen jedoch die geheime Tragödie des gottsuchenden Menschen, der in dynamischer Kritik an sich und der Umwelt, aus den Wirrnissen dieser Erde sich befreiend, emporwuchs bis zur höchsten Erkenntnis. Daß er dies der Welt in so plastischer Weise kundgetan, danken ihm viele in wie außerhalb seiner Heimat.

Seit seiner frühesten Jugend zog es Papini zu allem Schrifttum, zum Buche. Zuerst waren es die Kioske, die Schaufenster der Buchhändler, die barroccini di libri vecchi, die ihn beschäftigten, dann lud sich nach und nach das geistige Gewicht der großen Bibliotheken von Florenz .auf seine junge Seele. Kaum zwanzigjährig, entwickelte er eine Tätigkeit, die sich mehr als zwei Jahrzehnte hindurch energisch und. stürmisch gestaltete und tiefe Spuren im literarischen, wie gesellschaftlichen Italien hinterließ. Er war Mitarbeiter, Leiter, Gründer und Inspirator verschiedener Zeitschriften und Zeitungen, wie Verfasser von bedeutenden Werken. — Wie ein von Meereswogen umbrandetes Schiff steht in dieser Zeit sein Leben vor uns. Wir hören seine Stimme aus dem „Regno“, „Leonardo“, aus „La Voce“. In „Lacerba“, einer von ihm und einigen anderen gegründeten futuristischen und revolutionären Zeitschrift, sehen wir die Samenkörner der größeren und kleineren Voltaires verschiedener Länder zu Früchten gereift. Ihren Beitrag leistete auch die damals so übertriebene Verherrlichung der Antike. Die ganze innere Not, das innere Drama des jungen Papini schauen wir aber geschlossen in seinem Werke „Un Uomo Firtito“. Hier erleben wir ein Anatomieren seiner eigenen zerrissenen Seele, finden den Schlüssel zu seinem bisherigen Leben, wie auch zu seinen früheren Werken: „II Crepuscolo dei filosofi“, „II Tragico quqtidiano“. Von ungewöhnlichem Bekennermut zeugt sein später herausgegebenes und für diese Zeit sehr aufschlußreiches Buch „L'Esperienza Futurista“, wo er schreibt: „Ohne Scham vereinige ich hier die Spuren meiner Zweifell und vergangenen Leidenschaften. Sie sind aufrichtige Zeugnisse der notwendigen Unruhe eines Menschen, der sich selbst und die andern überwinden möchte.“ Wiederholt beklagt er seine „Sciocchezza“, weist aber auch hin: „Chi e senza peccato scagli la prima pietra!“ Wer ohne Sünde ist, schleudere den ersten Stein! — Mit dreißig Jahren zwingt es Papini, innezuhalten. Er hatte seine Kräfte überschätzt, es kam zum fast völligen Verluste seines Augenlichtes. Diese vorübergehende Schwächung der Sehkraft ließe sich für damals symbolisch auf seine Seele übertragen, aber schon im „Leonardo“, wie nun auch im „Un Uomo Finito“ zeigt sich bereits sein tiefes inneres Ringen. In der Zeit des ersten Weltkrieges tritt Papini mit seinen lyrischen Werken hervor. Deutlich und unverwechselbar heben sie sich ab von der Art d'Annunzios, des gefeiertsten der damaligen Poeten Italiens; er ist reiner und tiefer. Wie in seinem dichterischen Schaffen er alles, was ihm den Weg zur Höhe versperrt, wegschaffen möchte, so kämpft er nun auch gegen alles, was seinen inneren Aufstieg behindert.

Die Unsicherheit der Zeit, trübe Erfahrungen, das blutige Ringen des Krieges wirkten auf ihn. Polemisch im Blut, unzufrieden mit sich und der Umwelt, dürstend wie einst nach einem Absoluten, verspürt er die Notwendigkeit, sich in einer Gewißheit von höherem Wert zu finden. So entstand seine „Storia di Cristo“, geboren in einem Augenblick höchster Hingabe, ein Zeugnis für den endlich gefundenen Glauben. Dieser wird ihm nun zur Substanz seines Lebens. — Ein weiteres Schaffen stärkster schöpferischer Aktivität beginnt. Er leitet „La Festa“, eine katholische in Mailand herausgegebene Zeitschrift, „La Vraie Italie“, ein literarisches Blatt in französischer Sprache. Mit seinem

Werke „Vita di Sant' Agostino“ schuf Papini eine Probe geschichtlicher Biographie, die weder Roman noch Gelehrsamkeit ist, sondern eine Erzählung vom Leben eines Großen, dargestellt von einem, der selbst durch ähnliche Fährnisse des Lebens schreiten mußte. Unübertrefflich klar formte er „Dante“, wie in seiner „Storia della Letteratura Italiana“ die heilige Katharina von Siena, Petrarca und andere große Gestalten. Sein „Gog“ wiederum ist eine abenteuerliche Polemik, abgestimmt gegen den Mechanismus im Menschen und die Sophistik; dieses Buch enthält jene ihm eigene Art der Erzählkunst, wie sie im „Pilota cieco“ zum Ausdruck kommt. Zur kristallenen Plastik werden uns Volk, Geschichte und Geistesleben seines Landes in seinem „Italia Mia“.

Zum zweitenmal brechen nun Ereignisse herein, die sein Vaterland mit Blut und Tränen bedecken. Schmerz, Verzweiflung und Trostlosigkeit drücken Papini zu Boden. Doch auch diese dunklen, schweren Wolken treten zurück, heller zeigt sich wieder der Himmel und leuchtend schreitet erneut eine Gestalt auf ihn zu, die ihn nun nicht mehr losläßt und ihm zu erkennen gibt, wofür alllein es sich lohnt zu kämpfen und zu streiten.

Schwer geprüft, doch durch die Gnade zur Erkenntnis gelangt, ist Giovanni Papini in seinem jüngstem Werke „Lettere agli uomini del Papa Celestino Sesto“ zum Kämpfer für Christus und seine Kirche geworden. Es gibt Einwände gegen so manche Kühnheit dieses Werkes, doch klar wie seine Sprache sind seine Forderungen. Papini hat richtig erkannt, wo heute Christen beginnen müssen, um jene Brüder wieder zu gewinnen, die nicht von selbst mehr die Kraft besitzen, den Weg zur Höhe zu finden, und die wir nicht zuletzt durch eigene Schuld verloren haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung