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Glanz und Elend der Architekten

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Die nachstehenden Ausführungen des bekannten Wiener Architekten gewinnen durch die jüngsten Auseinandersetzungen in der Ingenieurkammer, die ihren letzten Grund in den ungeklärten Kompetenzen des entwerfenden, des konstruierenden und des ausführenden „Baumeisters“ haben, allgemeines Interesse.

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Die nachstehenden Ausführungen des bekannten Wiener Architekten gewinnen durch die jüngsten Auseinandersetzungen in der Ingenieurkammer, die ihren letzten Grund in den ungeklärten Kompetenzen des entwerfenden, des konstruierenden und des ausführenden „Baumeisters“ haben, allgemeines Interesse.

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„Die Österreichische Furche“

Die außerordentliche Beachtung, die die Architektur seit dem Ver sacrum in der Öffentlichkeit findet, darf nicht darüber täuschen, daß dieselbe Öffentlichkeit die Resultate dieses fünfzigjährigen Entwicklungsprozesses sehr kritisch beurteilt. Das Zurückschieben von Malerei und Plastik, das Sichtbarwerden der Baukunst im Blickfeld hängt mit der sozialen Frage zusammen. Die Öffentlichkeit erwartete schon zum zweitenmal vom Baukünstler die Lösung der Wohnungsfrage. Und diese ist, gestehen wir es, weit entfernt von einer den Programmen auch nur einigermaßen entsprechenden Erfüllung.

Vielleicht die tiefste der Ursachen dieses Versagens ist, daß der allgemeine Zug der Zeit nach Rationalität das Anliegen des Künstlers, den Zeitausdruck, nicht annähernd so wichtig nimmt wie dieser. Dazu kommt die allgemeine Verbeamtung des Bauwesens. Die Entscheidung hat nicht mehr der hochgebildete Mäzen, sondern der Beamte, der im gesteigerten Ausdruck etwas ihm Feindliches sieht. Ähnlich reagiert der ausführende Baumeister, der ebenso wie der Beamte guten Glaubens ist, es sei seine Pflicht, die Vernunft gegen modernistische Verstiegenheit zu verteidigen. Der tragische Mißerfolg einer versuchten Standesordnung, welche eine Teilung der Funktionen gemäß der beiderseitigen Vorbildung anstrebt, eine Sache, die vernünftig und für alle Teile vorteilhaft sein könnte, erklärt sich aus dieser angemaßten „vernünftigen“ Selbstgerechtigkeit. Die Folge ist die Vermassung und soziale Herabdrückung eines einst hochangesehenen Berufes.

Aber der naturgegebene Widerstreit von Vernunft und Gefühl ist noch auf besondere Weise verwirrt. Die Kritik, - welche Fehlleistungen konstatiert, ist sehr oft richtig. In einer Zeit, in der alles wankt, wo selbst große Staatsmänner nichts als Fehler machen, ist der Architekt nicht fehlerlos. Er hat das Pech, daß seine Fehler sichtbar bleiben. Der höchst komplizierte Beruf hat kein Geländer mehr, an welchem er sich anhält. Nicht nur die formale Regel, die das Symbol von bürgerlich oder proletarisch, von europäisch oder amerikanisch, von idealistisch oder materialistisch enthält, ist vieldeutig geworden. Sogar die konstruktive Grundlage hat ein Dutzend prinzipielle andere Gesichter. Soll man das Heil beim Ziegel, beim Schütt- oder Skelettbau, bei den Fertigteilen suchen? In welcher Richtung soll man zu neuer Baugesinnung seine Kräfte an-, setzen? Eine Zeitlang stellte man das Handwerk auf den Piedestal, den deutschen Steinmetz, Zimmermann, Schmied, Schilfrohrdecker. Sie sollten das Heil bringen. Es war die Zeit, da höchstes Lob nicht durch das Wort „schön“, sondern durch „anständig“, durch „Werkgesinnung“ ausgedrückt wurde. Aber es ist längst klar, daß man die Maschine, die großen Glasflächen, das Aluminium usw. und damit auch deren maschinelle Bearbeitungsmethoden bejahen muß. Der Vergolder und Gipszieher haben es schwer. Soll man sie umstellen oder kommt wieder eine goldene, eine ornamentierte Zeit?

Das Schlimmste jedoch ist, daß man vom Architekten verlangt, was er nicht leisten kann: die Prophetie der kommenden Gesellschaftsform. Dies kann man vielleicht folgendermaßen verständlich machen: Wer das Handwerk zu Hitlers Zeiten von Herzen bejahte, der hatte es zumindest in einer wichtigen Richtung leicht. Er war mit dem Handwerk politisch opportun — eine Zeitlang. Er besaß einen Leitfaden, der ihm sagte, wo er Steinrahmen und schmiedeeiserne Laternen zu machen hat. Er konnte sich der Verfeinerung dieser eklektischen Aufgabe widmen und — hatte er Talent — eine tüchtige Arbeit zusammenbringen. Desgleichen hat der, welcher heute die Meinung des hohen Beanlten errät, wie zum Beispiel die Installationsgruppe Küche, Bad - Klo im Kleingrundriß zu lösen ist, einen Teil der Schwierigkeiten bereits überwunden. Schlimm wird es, wenn er der Meinung ist, daß Bevölkerungsgruppen die schwedische Lösung für praktischer halten. In diesem Augenblick stößt er nicht nur an bürokratische Starrheit, zweifelt er nicht nur am Ergebnis ungezählter zum Kompromiß ausgereifter Beratungen, sondern steht als Besserwisser da. Er rennt geradezu an eine Weltanschauung an. Dies ist kaum übertrieben. Denn die Eigenbrötler, die in Wien schwedisch wohnen oder kochen wollen, gehören einer intellektuellen Klasse an, die man zumindest nicht zu fördern hat. Ähnlich schmerzende Beulen holt sich derselbe Intellektuelle, der sich im anderen Ministerium weigern würde, Konsolengesimse um den Saal zu ziehen. Die Reaktion muß sich — es ist ganz ohne Ironie gesagt — auf Konsolengesimse stützen. Kurzum, mit dem Grundriß oder mit der traditionellen Form ist sehr häufig eine politische Deklarierung zumindest von der Art Traditionswahrer-Reformer getroffen. Jeder zu den Seinen! Die Abstempelung wird Existenzgrundlage kurz nach Geschehnissen, die den Architekten drastisch belehrten, was es auf sich hat, wenn er liebedienerisch sich des Anspruches auf künstlerische Freiheit begibt und in eine politische Symbolik einschwenkt.

Hier im moralischen Bereich liegt die allertiefste Problematik des Architektenseins. Durchdenkt er seine Stellung, so sagt ihm das Gewissen, daß es keine Entschuldigung für den mit Formen oder Grundrissen betriebenen politischen Opportunismus gibt. Die Zeit ist vorbei, da der Bauherr die religio bestimmt und der Artist seine Stückchen so geistreich wie möglich zu spielen hat. Der Architekt ist verantwortlich für die Verteilung nationaler Arbeit. Er weiß genau, wie unendlich schwer sein Beruf ist, und daß es wie in der Medizin eine Anmaßung des Laien ist, in die Materie hineinzureden. Er weiß außerdem, daß es keine prinzipiellen Lösungen gibt, so lange noch die Grundlagen der Gesellschaftsordnung schwanken. Die Zeit hat kein eigenes Gesicht als das der Unruhe. In einem Fall ist traditionelle Rücksichtnahme, im andern gesteigerte Modernität, und zwar in Form als auch in Konstruktion geboten. Jedes Rezept, auch das der achtbarsten „anständigen“ Werkgesinnung, das man den Proteus des ewig sich wandelnden modernen Lebens gegenüber- slellt, ist engstirnig und eigentlich lächerlich. Charakter kann man heute nicht mehr mit Formen, sondern nur mit Dienenwollen beweisen. Dieses ist überspitzt ausgedrückt. Aber wenn man selbst den ehrenhaften Fachmann wegen Unelastischsein ebenso tadeln müßte wie den Politiker, dessen Versprechen nach einem Jahr nicht gilt, um so mehr müßte man über den „Baulenker“ lachen, der Formelkram verlangt, selbst nie den Bleistift in die Hand nahm und so tut, als wüßte er, wohin die Welt schwimmt. Der Künstler weiß es aus innerster Seele, daß nur das Maß gilt, nie das Prinzip, und daß es das Dümmste ist, sich die Hände zu binden. Das Dümmste natürlich nicht im Sinne des geschäftlichen oder Vorrückungsvorteils gemeint, sondern als Methodik zur künstlerischen Lösung. Die Architekturschulen sind fast ebenso festgerannt wie die politischen Parteien. Für die Kunst kommt wenig heraus. Solange die Welt sich nicht auf einer dem Mittel- alter an Kraft vergleichbaren Anschauung einigt, sollte man das „Mittlere“ tun. Gekämpft und monopolisiert wurde schon allzulang. Man hat es satt. Allerdings setzt sich der tapfere Architekt, der das Mittlere tut, zwischen die Stühle.

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