6637489-1957_24_07.jpg
Digital In Arbeit

Glanz von außen, Glanz von innen

Werbung
Werbung
Werbung

Wiener Festwochen auf der Bühne: Berlin, Paris, ein Lessing und ein Shakespeare. Boleslaw Barlog, Herr des Schiller-Theaters und Schloßparktheaters, präsentiert Berlin mit Shaws „Major Barbara” von 1905 im Burgtheater. Manche fragen: wozu heute diese halbechten Pointen, nie ganz stimmenden Schlüsse dieses alten Lehrstücks, das den Frieden in der Welt durch die Bekehrung von Idealisten zu einem geschäftstüchtigen Realismus, und die Bekehrung harter Rüstungsmagnaten zu einer hellen Menschlichkeit fördern möchte? Wobei die Heilsarmee dazu herhalten muß, das staatskirchliche offizielle Christentum und seine Phrasen zu „entlarven”. Nun, für Berlins Geistigkeit und Theaterkultur, die ihren unvergeßlichen Höhepunkt in den Jahrzehnten um den ersten Weltkrieg hatten, eignet sich diese Mischung aus Witz, Ironie, aufgeklärter, sich selbst durchschauender Humanität vielleicht auch heut noch am Besten als Ansatz einer Selbstdarstellung. Von allen Restaurationen heute in den zwei Deutschland hat diese, der Berliner Versuch, das geistige Klima der Weltstadt von 1910 und 1930 wiederzubeleben, vielleicht die zukunftsträchtigste Bedeutung. — Gespielt wird klug, gescheit verhalten: Anneliese Röhmer als Barbara, Walter Franck als Kanonenkönig, Hans Canineberg als Intellektueller, der den Anschluß an die Macht und die Zeit sucht und findet (im Spiel die liebenswürdigste Ironisierung, sehr echtes Berlin), sind vorrangig zu nennen.

Berliner Klassik ist und bleibt also das intellektuelle, sich selbst experimentierende Welt-Stadt- Theater von 1905; Pariser Klassik ist und bleibt das Zeitalter des Sonnenkönigs. Also gastiert die Comedie Francaise im Burgtheater mit M o 1 i i r e s Ballettkomödie von 1670 Le Bourgeois Gentilhomme, „Der Bürger als Edelmann . Pariser Barock, ein Schauspiel der Farben, des Tanzes, der Worte. Jede Geste durchleuchtet, federnd, leicht. Faszinierend, und zum Vergleich mit dem ganz anders gearteten österreichischen Volksbarock herausfordernd; und tief verwandten kaiserlichen Opern, dem Ross-Ballett, den Kriegs- und Lichterspielen im französischen und italienischen Wien des 18. Jahrhunderts. Neben einigen Palästen haben wir heute in Oesterreich nur ein Kunstwerk, das diesem Schaugepränge zu vergleichen ist: unsere Lipizzaner. Also tanzen, edle Rösser, im Schmuck der von Suzanne Lalique geschaffenen Kostüme, zur Musik Altmeisters Lully, tänzerisch betreut von Leone Mail, die Masken dieses Spiels um Louis Seig- ner, der als Monsieur Jourdain, unvergeßlich in Charme und Würde den Menschen als Hahnrei, als Hahn der Eitelkeit, darstellt: ein Narr, in sich selbst Arą stärksten wirken ..neben „ihm MlcIipliije. Boudet als Nicolė ürid Jean Meyer als Philosonhielehrer (eine Gestalt ä la E. Th. A. Hoffmann), der gleichzeitig als; Regisseur die Zügel fest in den Händen hält. Rauschendes Spiel, rauschender Beifall.

Das Akademietheater bringt, in der Regie Rudolf Steinböcks, Shakespeares „Ende gut, alles g u t” als Festwochenbeitrag. Wir hätten uns ein stärkeres Shakespeare-Lustspiel gewünscht. Die bekannte Lieblichkeit Aglaja Schmids und Theo Lingens Clownerie reichen dieses Mal nicht aus, den Abend wirklich zum festlichen Spiel zu gestalten.

Von erschütterungsmächtiger Gegenwartsbedeutung ist der Beitrag der Josefstadt. Lessings „Nathan, der Weis e”, mit Ernst Deutsch, inszeniert von Karlheinz Stroux. Da der große Lessing immer noch von Christen nicht erkannt wird, hier einige Worte über ihn aus dem Munde des Josef Freiherm von Eichendorff, dieses großen katholischen Konservativen und scharfsichtigen christlichen Literaturkritikers des 19. Jahrhundert: „Alles Halbe war ihm in den Tod verhaßt. Der Hochwächter seiner Zeit, wie ihn Gervinus nennt, klopfte er an Hütten und Paläste, rüttelte unbarmherzig Unglauben wie Aberglauben, den eigensinnigen Hochmut und die weichlichen Träumer auf und zwang die Welt, in den Dingen sich so oder so zu entscheiden. Und den gemeinen Schwindel kannte er nicht; auf den unwirtbarsten Höhen, wo anderen die Sinne vergehen, atmete er nur um so frischer auf”. „Es konnte nicht fehlen, ein solcher Mann mußte die tiefste Bewegung der Zeit, die religiöse, auch am mächtigsten erfassen.” Taub und blind ist, wer die Mahnung dieses Werkes und dieser Aufführung nicht zu vernehmen vermag. In den leisen, fast unhörbaren “Worten, mit denen Ernst Deutsch als Nathan über das Pogrom von Gath und die Ausrottung seiner Familie berichtet, schwingt das Wissen um die Geschehnisse von gestern mit. Und die Sorge um eine Wiederholung in Gegenwart und Zukunft. Das Wichtigste aber ist die Bitte, die Einladung an alle „Frommen”, an alle Bekenner und Praktiker einer Religion, sich über sich selbst zu enttäuschen: Mitten in unsere Zeit gesprochen, in der religiöser Fanatismus, Politisierung des Glaubens, unchristliche Befehdung Andersdenkender im Mantel der Religion Triumphe auf dem Markt der Welt feiern. Wer die zu wahrer Aufklärung in Herz und Hirn einladenden Thesen und Themen dieses großen Dramas — und die hinter und vor ihnen stehende Wirklichkeit nicht zu sehen und zu hören wagt, schaltet sich selbst aus dem Ringen um ..eine bessere Welt” (um ein bekanntes katholisches Werk unsere” Zeit hier anzusprechen) aus. — Der „Nathan” des Ernst Deutsch vereinigt Züge des Moses, des Hiob, der leidenden und redenden Propheten des Alten Bundes mit jener Diskretion und sicher-selbstkritischen Haltung, wie sie europäisches Christentum in einem bald zweitausendjährigen Ringen um Selbsterhellung möglich gemacht hat. In den schwierigen Rollen des Tempelherren (dieser ist ein naher Verwandter des „grünen Ritters” im Don Quijote des Cervantes) und des franziskanisch-gesinnten Klosterbruders behaupten sich aufs beste und wirksamste Walther Reyer und ‘Günther Uäe ‘rf.:’ WalfgaUg Hebenstreith entschärft den Patriarchen, gibt ihm nicht die harte und tragische Fragwürdigkeit machtbewußter Prälaten und Politiseure vom Schlag eines Makarios (wie sie Lessing dachte und die Gegenwart vorstellt), sondern weicher als einen Pfiffikus. Ergötzlich Manfred Inger als Derwisch, lieb anzu- sehen Nicole Heesters alS Recha. — Dankbares Schweigen des Publikums.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung