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Glaube und Wissenschaft — eine Synthese

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In einer Monographie der christlichen Sozialreform in Österreich, die eigentlich die Biographie des 1922 verstorbenen Universitätsprofessors für Moraltheologie und ersten Generalsekretärs der österreichischen Leo-Gesellschaft, Franz Schindler, ist, kommt Friedrich F u n d e r mit folgenden Worten auf die Gründung der Wiener Katholischen Akademie zu sprechen: „Als Österreich (im Jahre 1938) seine Freiheit verlor, ist auch das Dasein der Leo-Gesellschaft erloschen. Aber über ihre Existenz hinaus leuchtet ihr großes Vorbild. In der Wiener Katholischen Akademie ist sie (im Jahre 1945) lebendig geworden.“

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In einer Monographie der christlichen Sozialreform in Österreich, die eigentlich die Biographie des 1922 verstorbenen Universitätsprofessors für Moraltheologie und ersten Generalsekretärs der österreichischen Leo-Gesellschaft, Franz Schindler, ist, kommt Friedrich F u n d e r mit folgenden Worten auf die Gründung der Wiener Katholischen Akademie zu sprechen: „Als Österreich (im Jahre 1938) seine Freiheit verlor, ist auch das Dasein der Leo-Gesellschaft erloschen. Aber über ihre Existenz hinaus leuchtet ihr großes Vorbild. In der Wiener Katholischen Akademie ist sie (im Jahre 1945) lebendig geworden.“

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Das, wie man bisher zu sagen pflegte, Silberne Jubiläum der Wiener Katholischen Akademie ist daher ein Anlaß dazu, ein viel längeres Conü-nuum katholischer Geistigkeit in Österreich zu würdigen, als es das letzte Vierteljahnhundert ausmacht. Denn mit der Gründung der österreichischen Leo-Gesellschaft im Jahre 1892 hat die vorher ein wenig wackelig gewordene intellektuelle Substanz des „Katholischen Österreichs“ bis auf heute eine Verfestigung erfahren, die jene Kavalkade der Ideologien, die nachher in den letzten drei Generationen über Österreich und die Welt hinweggegangen sind, überdauert hat. Diese heute notwendige und im Interesse geschichtlicher Wahrheit fällige Würdigung des Institutionellen ist zugleich ein Akt des Respektes und der Dankbarkeit gegenüber dem Initiator und Fundator der Akademie, dem Erzbischof von Wien, Theodor Kardinal Innitzer.

Nicht zum erstenmal ereignet es sdch in unserer Zeit, daß in dem Raum zwischen Lehrkanzel und Kanzel, politischer Tribüne und Szenerie der Massenbewegung ein Vakuum auftritt, in das revolutionäre Ideen und Bewegungen fast widerstandslos einströmen können. Die Wiener Katholische Akademie und ihre Vorgängerin, die Leo-Gesellschaft, erlebten mehrmals die typische Situation in der Wende, in der für viele Menschen ganz unerwartet etwas Neues zutage kommt; und Ziellosigkeit statt Orientierung, itio in partes anstatt Gesinnungsgemeinschaft, Verfall und Unansehnlichkeit anstatt Rang und Bedeutung zutage treten. So wie die Leo-Gesellschaft über der Bruchlinie zum Stehen kam, die durch den Katholizismus des 20. Jahrhunderts geht und durch die Konfrontation von Konservativ und Progressiv (oder modern) paralysiert wurde, geschieht es vielfach auch dem Katholizismus unserer Tage. Die scheinbare Stärke seiner Gegner kommt nicht daher, weil sich der Katholizismus eine überlegene Stärke gefallen lassen muß; vielmehr gestattet er oft aus einem falsch verstandenen Prinzip der Toleranz dem Gegner eine scheinbare Überlegenheit, die diesem von sich aus nicht zukommt. Der 1898 nach Wien gekommene Elsässer Erhard hat die drei großen Ereignisse, die den Katholizismus im 20. Jahrhundert angehen, viel früher und wohl auch schärfer erfaßt als die Bodenständigen. Er meint darunter:

• Die Diskriminierung des Katholizismus, wonach dieser angeblich deT große Gegner der modernen Kultur sein soll, weil er deren Fortschritt hemmt und der allseitigen Entfaltung der modernen Kultur im Wege steht.

• Die Entfremdung der Gebildeten von der Katholischen Kirche.

• Die innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche entfachte Unzufriedenheit mit kirchlichen Institutionen.

Die Folgen der seither um sich greifenden Unsicherheit bekommt jede

Generation der katholischen Intelligenz zu spüren. Unsere jungen Theologen, aber auch andere Studenten katholischer Herkunft, die an der Hochschule ihre ersten Begegnungen

mit einer, wie es scheint, ungemein fortschrittlichen Intelligenz haben, i'erden vielfach gar nicht gewahr, daß die scheinbar so vorurteilsfrei md unbedingt gehandhabte geistige Freiheit Ausdruck einer Gesellschaft ist. die sich ihrer selbst nicht mehr sicher ist und in der der Kulturzerfall der Moderne von 1900 stattfindet. Darüber kann die Hybrxs, mit der man vielfach katholischer Geistlichkeit entgegentritt, nicht mehr hinwegtäuschen. Jetzt vollzieht sich die Spätkrise der Moderne in einem [ndustriesystem, das die europäische Kulturtradition unterbricht. Der Pivot, über den die Arbeit der Wiener Katholischen Akademie stattfindet, ist die Synthese von Glaube und Wissenschaft. Und dazu: Das Studium universaler katholischer Bildung. Die nie vollends entfaltete, aber bisher noch niemals preisgegebene Idee einer Katholischen Akademie für ganz Österreich, so wie die Leo-Gesellschaft nicht sine Wiener, sondern eine österreichische gewesen ist, bedeutet auch, daß die Wiener Katholische Akademie nicht die Enklave der katholischen Intelligenz ist, sondern daß ihr Werk immer und unter allen Umständen auf das Phänomen des österreichischen reflektiert. Gerade jetzt, da die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes nach den Sternen greifen, ist es notwendig, daß für den festen Boden gesorgt wird, den der Intellekt und die Intellektuellen bei ihren Bestrebungen unter sich haben müssen. Es bleibt daher bei dem klassischen Kombinat von Forschung und Lehre, wonach die eigene wissenschaftliche Forschung des Lehrers dem Tradieren der Forschungsergebnisse vorausgeht und mit ihr unlösbar verbunden ist. Erst die jüngsten Exzesse offenbarten den Unsinn der Tendenz, den

Lehrer aus dem Hörsaal und aus seiner wissenschaftlichen Existenz herauszustoßen und die Lehrkanzel zu einer Kanzel für die Ideologieverkündigung zu machen. Nach langen Epochen, in denen sich die durch chinesische Mauern getrennten Intellektuellen nur die Monologe ihres eigenen Clans anhören durften, wird neuerdings die Produktivität des Dialogs zweifellos überschätzt und im Dialog-Unterricht dem Schüler zuweilen mehr pädagogisches Bemühen gegenüber dem Lehrer zugemutet, als der Staat dem letzteren im Umgang mit seinen Schülern gestattet. Es ist denkbar, und es geschieht auch, daß an diesem Punkt der Entwicklung mit den alles eher als geisterschlossenen Zeitmächten paktiert wird, um — wie öfters ängstlich betont wird — die ärgsten Exzesse der Revolution zu verhüten. Die Lehrtätigkeit der Wiener Katholischen Akademie verzichtet trotz solcher Bedrohlichkeiten nicht auf das Fundament; nämlich auf die systematischen Lehrveranstaltungen und auf allgemeinbildende Lehrveranstaltungen, aus denen erst die Kraft der Anschauung und des Wissens kommt, ohne daß die geistigen Konfrontationen und Diskussionen, besonders jene in den mehr weltanschaulichen Dingen, in einen flatternden Dialogismus ohne Entscheidung ausarten. Das bedeutet nicht einen Rückzug in die Enklaven und Exklaven esoterischer Zirkel intellektueller Super-men. Allein in den ereignisreichen letzten fünf Jahren haben rund 80.000 Hörer und Gasthörer an Lehrveranstaltungen der Akademie teilgenommen. Hier ist nicht von einem Erfolgsausweis die Rede. Das wäre geradezu gefährlich, denn der Zeitgeist weht mächtig, und er wehrt nicht nur zufolge der Macht seiner Ideen, sondern und vor allem kraft der Gewalt der Tatsachen. Das geistige Klima des Zeitalters der Dialoge, der Meinungsforscher und der Telekraten, die sich der Demokratie bemächtigen, ist bei weitem nicht so freiheitlich und allseits entgegenkommend, wie das ein ununterbrochenes Angebot von Toleranz, Gesprächssituationen und Bereitschaft zur Einigung im Sachlichen zu offerieren scheint. Nicht alle, die auf dem Bildschirm der Television sind und dort einen Stammplatz haben, sind auch im Bilde; und viele sind nur in der Television nicht im Bild, obwohl sie ansonsten recht gut im Bild sind. Diese Feststellungen entsprechen einem gebotenen Realitätssinn; sie verhindern atoer auch das Aufkommen eines Inferioritätsgefühls. Theodor Adorno, nicht eben ein geistig-korrespondierendes Mitglied einer Katholischen Akademie, hat kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges prophezeit, die Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität, die einerseits die Bedingung für eine gerechtere Welt herstellt, verleihe anderseits dem technischen Apparat und den sozialen Gruppen, die über den Apparat verfügen, eine übermäßige Überlegenheit über den Rest der Bevölkerung. Der einzelne wird gegenüber den ökonomischen Mächten vollends annulliert. Zu diesem Phänomen gehört in einem größeren Zusammenhang, auf den hier nicht näher eingegangen werden kann, ein bestimmter Wissenschaftsbegriff: Es ist einer, nach dem (in einer reduzierten Kurzformel ausgedrückt) allein die Methoden der mathemati-sierenden Wissenschaften noch Gewähr für theoretische Relevanz besitzen.

Dem entspricht die von Karl Jaspers formulierte Dreiteilung: Wissenschaft getrennt von Philosophie, getrennt von Theologie und in letzter Konsequenz die Eliminierung der Theologie aus diesem Zusammenhang; sowie die Reduzierung der theoretischen Bedeutung spekulativer Forschung auf jene Fälle, in denen sie sich des Experiments bedienen kann.

Solche Vorstellungen finden ihren Niederschlag in Schulprogrammen, nach denen in Zukunft z. B. in einem Fall die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer Anspruch auf zwei Drittel des Potentials des öffentlichen Unterrichts haben sollen; das restliche Drittel soll den historischen, sprachlichen, musischen und anderen Fächern überlassen bleiben.

Sosehr vom Standpunkt katholischer Geistigkeit kritische Distanz gegenüber dieser Motorik am Platze ist, so indiskutabel wäre es, würde die Wiener Katholische Akademie inmitten solcher Zeitströmungen so etwas wie eine Fluchtburg katholischer Intelligenz sein. Dem stünde und steht der Genius loci dieses Hauses entgegen. Es ist an dieser Stelle ehrend zu erwähnen, daß die Wiener Katholische Akademie im Jahre 1945 nicht auf Grund eines herrschenden Zeitgeistes gegründet wurde, denn das gestattet ihr, auch heute in einem geistigen Gebäude zu existieren, dessen Fundament nicht nach der momentanen Windrichtung ausgelegt ist.

In einer Würdigung, die nicht ideologisch, sondern historisch gedacht ist, wird sichtbar, daß das Wesen der Katholizität nicht das wiederholte Neubeginnen, das re-commencer ist, sondern der Weg über die Brücke, über die Brücke des Reicnes Gottes, die Vergangenheit mit Zukunft verbindet, weil sie vom Aufgang bis zum Niedergang reicht. Als Intellektuelle sind wir an diesem Punkt damit konfrontiert, daß wir, was den OnenDarungsglauben angeht, einer absoluten Ungeschichtlicnkeit der Wahrheit gegenüberstehen. Uber den Glauben aber schreibt Karl Jaspers auf der letzten, der 536igsten Seite seiner Untersuchungen über den Philosophischen Glauben angesichts der Ofjenbarung im letzten Absatz des Werkes folgendes: „Ursprünglich verschiedene Weisen der Lebenspia-xis und des zu ihnen gehörenden Glaubens schließen sich in der Tat aus; sie können nicht im selben Menschen verwirklicht werden.“ Sie schließen nicht aus, so meint Jaspers am Abend seines langen Gelehrtenlebens, wenn sie in verschiedenen Menschen sich in der Welt begegnen, denn jede Geschichtlichkeit kann die andere in ihrem existentiellen Ernst lieben und sich ihr in einem Ubergreifen verbunden wissen. Hier offenbart sich aus anderer als katholischer Herkunft ein geistiges Klima, das die Wiener Katholische Akademie in der Welt unserer Tage nicht zu scheuen braucht. Von den drei Wörtern, die den Namen der Akademie bilden, hat jedes eine verschiedene Valenz; aber sie stehen in einem Zusammenhang, der bemerkenswert ist:

• Wien, das ist Mittelpunkt einer geistigen Koinzidenzebene, in der, wie an wenigen Punkten der Erdoberfläche, wichtige und für das Schicksal ausgedehnter Kulturräume bestimmende Zonen geistigen Lebens zueinander kommen.

• Akademie, das heißt institutionalisierte geistige Disziplin auf Grund freiwilliger Wahl und Erfüllung einer intellektuellen Daseinshaltung.

• Katholisch, das heißt so allgemein, als es der Auftrag im unteilbaren Ganzen abverlangt, und so spezifisch, als sich die Existenz des einzelnen in Zeit und Ewigkeit im ganzen erfüllt.

Die Zeit, die vor uns liegt, ist auf den Bestand dieser Katholischen Akademie angewiesen. Würde st nicht bestehen, dann müßte dieser Tag der ihres Entstehens sein. Institutionen, die wesentlich sein und Bestand behalten sollen, entstehen nicht von ungefähr. Ihre Gründung und ihr Fortbestand muß notwendig sein, oder, um mit Arnold J. Toynbee zu sprechen, eine Herausforderung beantworten.

In diesem Sinne muß die Akademie das Nein gegenüber Gott, dem Glau-ben und der Kirche mit einem Ja beantworten. Gerade das gegenwär- . tige Nein wird das Ja zu einem tieferen und gefestigteren Erfassen des Ja zwingen und so den geistigen Wurzelboden in Zeiten der Krisis zu einem erneuten und tieferen Aufquellen bringen. Darin werden neue Aufgaben und neue Zeiten der Bewährung in der Zukunft sichtbar.

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