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Michael Wallners Roman "April in Paris" wird viele Leser finden, aber Martin A. Hainz ist nicht so recht begeistert.

Dieses Buch will den Weltmarkt - und offenbar der Weltmarkt auch dieses Buch, denn, so der Verlag, in die halbe Welt seien die Übersetzungsrechte schon verkauft. Der Grund dafür ist, dass dieses Buch endlich einmal von einem Autor zu kommen scheint, der genau das macht, was Verleger und andere Experten predigen: Keine Übersetzungs-oder gar Verstehenshürden, der Titel ist sogar international verständlich; die Sprache trägt die Handlung, fordert aber weiter nichts, wie sie freilich auch nichts (zum Beispiel: zutage) fördert; der Plot - Liebe über die Barrieren hinweg - ist globalitätskompatibel, zumal Paris als Ort des Geschehens nur für Lebenskunst und Leichtigkeit, die dem Bösen trotzen, steht, also eine verschwommene Kulisse abgibt, wie auch die historische Bedingtheit gegen die Psyche der Handelnden verschwindet; kurzum: Hier werden bar jeder Zickigkeit Erwartungen erfüllt.

2. Weltkrieg in Paris

Ehe nun die Frage sich regt, ob eine derartige Nivellierung der Wirklichkeit nicht über die Fiktion hinaus unwahr geraten müsse und das dann noch Literatur sei, sei doch auf die Handlung eingegangen: Ein deutscher Übersetzer namens Roth landet im 2. Weltkrieg in Paris. Angesteckt von der Leichtigkeit spaziert er nicht, sondern flaniert in Zivil durch die Stadt, wiewohl das riskant ist - gegenüber der ihn als Fremden ausspähenden Résistance ebenso wie gegenüber den Deutschen, die derlei nur hohen Offiziersrängen und nach schriftlicher Erlaubnis gestatten. Nun übersetzt Roth zwar Verhöre, bei denen im günstigsten Falle nur die Finger ausgerenkt werden, ist aber im Grunde ein Guter. Ebenso gut ist Chantal, jedesmal, "wenn ein Schmetterling fortfliegt, überfällt" diese "eine kleine Traurigkeit", ansonsten ist sie im bewaffneten Widerstand tätig.

Im Grunde gut

Die Konstellation steuert auf eine Klimax zu, denn ganz vereinbar sind die beiden skizzierten Existenzen ja nicht - einerseits der sich heraushaltende (oder heraushalten zu können vermeinende) Deutsche, da die Französin, die auf der Gegenseite stehend nun vor allem politisch denkt, wiewohl auch dies nur so scheint. Beide irren mit dem Satz, es sei dies "nicht die Zeit zum Lieben".

Doch die Zeit zum Lieben

Der erste Kuss ist tatsächlich ein Täuschungsmanöver, nicht der beiden aneinander, sondern gegen die Umwelt, die hier nur ein verliebtes Paar sehen soll. Aber damit, dass zwei gegen die Welt stehen, ist schon zuviel geschehen, als dass nun nur eine amouröse Episode folgen könnte. Fatum also, natürlich: fatal. Hat die schöne Chantal bei der ersten Begegnung ein Buch in der Hand, das den Titel "Le Zéro" trägt, so ist zuletzt kein Raum mehr, der ein Handeln oder auch ein Ungeschehen-Machen gestattete. Ein Attentat, in das Roth von Chantal eingeweiht ist, bringt die Katastrophe - drei ss-Offiziere tot, viele verwundet, nur Roth, der Chantals Anweisung, eben jenes Lokal nicht zu besuchen, freilich zu spät als Ankündigung des Anschlags versteht, "kam etwas seltsam vor", wie er davongekommen hernach lügt. Doch - hat man soviel Glück? Und: Hat man glaubhaft soviel Glück? - Das wäre doppeltes Glück, zuviel Glück für diese Welt.

Soviel Glück?

Und hier wird das Buch, um die vorhin gestellte Frage aufzugreifen, doch unzweifelhaft Literatur. Es schildert, wie im unendlich großen Leid des Krieges die Episode nicht versickert, vielmehr der Glücksanspruch sich durch Zeiten und Notwendigkeiten nicht relativieren lässt, wobei, und das beweist große Kunstfertigkeit, das Tempo des Textes zunimmt, wobei trotz der neuen Rhythmik und der gedrängten Zeit alles etwas plastischer wird. Jedenfalls gewinnen die Protagonisten Profil, man ahnt nun, dass die Eingängigkeit des Beginns Spiegel der Haltung des Flaneurs ist, der nicht Partei ergreifen zu müssen glaubt, sondern sich zwischen Welten und Weltsichten hin-und herschummelt. Wie das Ende dann konkret aussieht, das ist leider nicht ganz so überraschend: wieder ins Unwirkliche verschoben, Tragik + Hoffnungsschimmer = Herzschmerz der vielleicht doch zu angenehmen Art. Ohne das Ende verraten zu dürfen: Ein Happyend hätte nicht aufgesetzter sein können, wäre, da Wallner dem Gebot gehorcht, kein allzu rosiges Schlussbild zu geben, vielleicht sogar unkonventioneller (oder beispielsweise ironischer und darin schwärzer) gewesen.

Kein rosiges Schlussbild

Insgesamt liegt ein Roman vor, der viele Leser finden wird, wie gesagt: global, doch die Unverwechselbarkeit des Textes fehlt zuletzt - die sich an dem Punkt einstellt, wo erzählerische Konsequenz und die Resistenz des Stoffes einander treffen, hier: träfen. Seiner Daten eingedenk zu sein, dazu fehlen hier Eingedenken und Daten letztlich gleichermaßen. Wer vom Unglück einer Liebe lesen will, die objektiv schwierig, aber aufgrund der Haltungen der Liebenden, die doch die Dringlichkeit und das Recht dieser Liebe ahnen, endgültig unmöglich wird, der lese den in seiner klaren Fiktivität realeren Walter Serner, nämlich dessen "Die Tigerin", den schon jetzt und immer unverbrauchteren Text.

Es ist schade, dass man so zu Wallner schließen muss, da auch bei ihm ja vieles gekonnt gemacht ist, der sich zum Staccato steigernde Takt, manches paradoxe Bild - "Ich fühlte Stille, obwohl es das Gegenteil war"-, der Plot, der das Notwendige scheinbar zufällig verwebt, die Anspielungen, so, wenn Chantal als erotische Kriegsgöttin in einem Varieté erscheint ... All das aber ist eben gekonnt, nicht gemusst, bleibt Artistik, die das Können nicht oder jedenfalls nicht völlig zu dessen Transzendenz steigert.

April in Paris

Roman von Michael Wallner

Luchterhand Literaturverlag, München 2006. 240 Seiten, geb., e 20,60

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