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Goethe und die Naturwissenschaften

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Der Aufsatz, wieder ein Neudruck aus dem Goethe-Jahr 1932, ist auch zur Stunde von Interesse: al6 einer der modernen Spiegelungen Goetheschen Geistes wie als Ausdruck des Dichters und Menschen Gottfried Benn selbst. Die naturwissnsrhaftlichen Leistungen Goethes, besonders die biologischen, seine „genetische Methode“ in der vergleichenden „Morphologie“ (der Säugetiere) und der „Metamorphose“ der Pflanzen (der „größten Konzeption des nachbaconischen Zeitalters“, wie er sagt), stellt Benn, der Arzt, al6 6ehr modern, mit gut gewählten knappen Belegen, mit warm«r Sachlichkeit, wenn auch mit betonter Diesseitigkeit und monistischen Klängen dar; die Farbenlehre wird der Newtonschen Optik gegenüber zu einfach als (subjektive) „Physik des Auges“ verteidigt: „das Licht ist weiß, und das Auge entwickelt die Farben.“ Wo bliebe da Raum für die objektive Physik Goethes vom Licht, von der Finsternis und dem trüben Mittel, wo für seine Polemik gegen Newtons Theorie? Die Verfehltheit dieser Polemik wird übrigens an anderen Stellen hervorgehoben. Der zweite Teil des Aufsatzes zeigt jedoch den Dichter und Menschen Benn ganz auf 6eiten jener objektiven Physik Goethes, nämlich auf Seiten des „anschaulichen Denkens“ gegen die „Wahrheit der Suppen-würzenpromethiden ... der Konquistadoren zwischen Induktion und Industrie“, und das heißt auf 6eiten der „alten“, „archaischen“ Welt-Anschauung (ohne Fernrohr und Mikro-■ skop), der „antiken, primären“ gegen die moderne „relativierte, raumneurotische Ratio“: Der Physikalismus siegte, Newton Imperator, Darwin Rex und die progressive Zerebration.“

Diese Wendung, eine 6ehr temperamentvolle Attacke auf „Positivismus“ und Physikalismus“ des 19. Jahrhunderts und zuglech eine Goethe-Romantik besonderer Art (für Goethe als den letzten „archaischen“ Menschen), könnte eingermaßen wundernehmen bei dem biologischen Evolutionismus de6 Arztes wie bei dem wilden Naturalismus und Expressionismus de6 Lyrikers. Benn von dazumal und seinem (im Wesen) positivistischen Lebensgefühl von heute: der (in Wahrheit) ungoethe-schen Preisgabe des Ichs an die „trunkene Flut“ des Erlebens. (Vgl. die Besprechung der Gedichte Benns und seiner Selbstdarstellung „Doppelleben“ durch Reinhold Schneider, „Osterreichische Furche“, 2. Dezember 1950). Aber was 6teht hinter dieser Wendung?

„Die progressive Zerebration — phylogenetisch gesehen, ganz exakt historisch gedacht: immer zwanghafter die Distanz zwischen Instinkt und Rinde (Großhirnrinde), zwischen

Anschauung und Begriff, zwischen Farbe und Zahl, immer gefährlicher die Spannung, immer zerstörerischer der Funken- Geruch von Vernichtung und verbranntem Fleisch: Nietzsche...“

Damit stellt Benn wohl auch «ein eigenes Dasein in die Nähe des nietzscheschen, damit stellt zugleich der biologische Evolutionist „phylogenetisch“ und „historisch“ (was er kaum unterscheidet), jedenfalls ganz im Sinn des 19, Jahrhunderts, fest, daß die Dinge nicht anders kommen konnten. Sein Blick auf Goethe ist also ein romantischer Rückblick auf etwas Unwiederbringliches. (Auf die Romantik in Benns Lebensgefühl hat auch Hohoff hingewiesen.)

Bleibt als (inkonsequenter) Trost: Goethes Naturmetaphysik selbst (Nature with a capi-tal N“ würde der nüchterne Phy6ikalist Sherrington sagen, vgl. „österreichische Furche“ vom 12. Mai 1951): Die Idee der ewigen „Gestaltung, Umgestaltung“ des „ewigen Seins“, die ruhelose Dialektik des fiv Kai jtäv“, — in der sieh irgendwie auch die Bennsche Hingabe des Ichs an den Strom der Erlebnisse zu beruhigen scheint: die Machsche, positivistische Ich-Auflösung.

Aber 60 einfach löst sich in dem Goetheschen Gedicht „Eins und Alles“ die Person nicht auf. Und Benn wird mit seinem Aspekt weder dem Geist Goethes noch der modernen Physik noch den menschlichen Möglichkeiten noch der Welt Gottes gerecht. Der Rezensent verweist dazu auf seine Abhandlung „Newton — Goethe — Pascal“ (In der Wiener Goethe-Festschrift 1949, österreichischer Bundesverlag) und sein Buch „Goethe. Chaos und Kosmos“ (Herder, Wien 1950).

Das Wunder der Sprache. Probleme, Methoden und Ergebnisse der modernen Sprachwissenschaft. Von W. Porz ig. A.-Francke-Verlag, Bern 1950. 414 Seiten.

„Dieses Buch beabsichtigt, eine gemeinverständliche Darstellung der Probleme, Methoden und Ergebnisse der modernen Sprachwissenschaft zu geben“, erklärt sein Verfas-er. Wie er es zuwege bringt, ein breiten Kreisen unbekanntes Wissensgebiet in einer klaren, stets anregenden Form, fast im Gesprächston, mitzuteilen, gehört zu den besten pädagogischen Leistungen der Sprachwissenschaft überhaupt. Gerade dem Studenten wurde hier eine kaum zu überschätzende Einführung in des Wesen der Sprache geboten.

Was immer sich mit dem Wesen der Sprache, der Sprachtheorie, Sprachästhetik, Sprachpsychologie und Etymologie verbindet, wird treffend berührt und kernhaft formuliert. Eine Meisterleistung scheint mir das 7. Kapitel zu sein, da6 einen Abriß der Problemgeschichte der Indogermanistik enthält und den Leser in dieses nicht leicht zu überschauende Gebiet einführt. Die sprachlichen Beispiele 6ind schlagend, ihre Auswahl mustergültig. Mit der Sprachtheorie des Wiener Psychologen K. Bühler erklärt sich der Verfasser besonders verbunden. Leider enthält da6 gediegene Buch keine kritische Würdigung der Sprachtheorien Hamanns , Herders, Goethes, Nietzsches, Mauthners u. a. Vielleicht könnte eine Neuauflage auch darauf näher eingehen. Nur wer die Materie überlegen beherrscht, vermag 6ie 6o durchgegliedert und lebendig darzustellen.

Dr. Robert Mühlher

Albrecht Dürer. Der junge Meister. Von Leo Weismantel. Verlag Karl Alber, Freiburg-München 1950. 399 Seiten.

Die in Romanform gestaltete Lebensgeschichte Albrecht Dürers, die Weismantel mit dem Band „Albrecht Dürers Brautiahrt in die Welt“ begann, wird hier fortgesetzt. Die Jahre 1494 und 1495, die für den jungen Meister sehr ereignisreich waren, begrenzen zeitlich die Handlung. Nach der Heimkehr von der Wanderschaft heiratet Dürer, dem Wunsche der Eltern folgend, die Nürnberger Bürgerstochter Agne6 Frey, doch erst die leidenschaftliche Liebe zu der jungen Magd Dorle, die er im Hause 6eines Freundes Willibald Pirck-heimer kennengelernt hat, schenkt ihm die wahre Erfüllung seiner Sehnsucht und beflügelt 6ein Schaffen. Der Konflikt mit Agnes, der daraus entsteht, sowie der Ausbruch der Pest in Nürnberg bewegen Dürer, mit Pirdcheimer nach Venedig zu reisen. Unterwegs suchen die Gefährten Michael Pacher in Bruneck auf. In Venedig erlebt Dürer den überwältigenden Eindruck der italienischen Kunst; er begegnet berühmten Meistern, wie Bellini, Mantegna und Giotto, und reift künstlerisch am Studium ihrer Werke. Neue Wege der Gestaltung des Raumes und de6 menschlichen Körpers werden ihm erschlossen. Indessen erduldet Dorle in dem von der Pest heimgesuchten Nürnberg ein hartes Los. In die Vaterstadt zurückgekehrt, findet Dürer seine Frau in schwerer seelischer Zerrüttung, und doch kündet sich bereits die Wendung zum Guten und zu einem neuen Leben an. Weismantel fügt das Einzelschicksal In ein Zeitbild von kräftigen Farben und deutet menschliche und künstlerische Zusammenhänge mit dichterischer Phantasie. Sehr lebendig gelang ihm die Zeichnung Willibald Pirckheimers. Die Szenen mit der Magd Dorle sind zu süßlich ausgefallen. An dichterischem Gehalt ist der erste Band reicher, doch folgt man der anschaulich erzählten Handlung auch dieses Werkes mit Interesse. Ein kurzer Anhang enthält kunstwissenschaftliche Bemerkungen des Verfassers zu einzelnen Fragen der Dürer-Forschung.

Dr. Theo Trümmer

Der Trinker. Roman von Hans F a 11 a d a. Rowohlt-Verlag, Hamburg. 312 Seiten.

Dies ist das letzte Werk eines ebenso unglücklichen wie begabten deutschen Erzählers, der sein ganzes aufsehenerregendes sozialkritisches, episches Oeuvre, von der Bauernrebellion über kleinbürgerlichen Aufschwung hinab in die Niederungen des Lasters und der Gefängnisse, in einer unvorstellbar haltlosen und genieverzettelnden Weise selbst erlebt, vorgelebt hat. Hier die Geschichte eines geachteten Bürgers, der, wohl irgendwie erbmäßig anfällig, durch einen winzigen Schritt vom Wege zum Trinker wird und von da ab stufenweise abstürzt. Wohin? Wer Fallada kennt, weiß, daß dieses Leben — dieses sein Leben — nur in der dumpfen Trostlosigkeit hinter Giltern enden kann. Hier aber gleitet die faszinierende, immer wieder an Dostojewskij erinnernde Seelensezierung des Dichters in schwung- und farblose Milieuschilderung ab, die zudem zahlreiche ermüdende Wiederholungen aus dem eigenen „Blechnapf'-Roman abspult. Die immer noch fruchtbare Skepsis dieses großartigen Milieu-romanes ist hier in seinem letzten Werk einem teuflisch grinsenden pessimistisch-defaitistischen Ende gewichen. Ein genialischabwegiges Buch, Schlußpunkt eines genialisch verspielten Lebens, Schaffens und Schwankens zwischen reinsten Höhen und unsaubersten Niederungen, dem man gleichwohl menschliche Anteilnahme nicht versagen kann.

Dr. Roman Herle

Leviathan. Von Arno Schmidt. Rowohlt-Verlag 1950. 116 Seiten.

Unter den jungen deutschen Dichtern scheint uns Arno Schmidt bedeutsam hervorzustechen: diese drei Novellen zeugen von wirklichem formalem Können. Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit auf bisweilen faszinierende Art in eins fließen lassend, beschreiben sie, vielfach variierend, den Lebenskampf des Individuums wider das Kollektiv und seine Zwangsgesetze. Mag sein, daß in dieser Auseinandersetzung dem Individuum noch andere Waffen bleiben al6 Phantasie und Imagination, wie es der Autor wahrhaben will. Das tut nicht viel zur Sache. Schmidt verfügt über einen zwar nicht sehr disziplinierten, wohl aber fruchtbaren Sprachstil, der eich stellenweise zu bemerkenswerten neuen Wortschöpfungen aufschwingt. Der Einfluß Wilders ist offensichtlich, ohne als störend empfunden zu werden. Dr. Jörg Mauthe

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