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Götter und Walküren

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Kurz vor Ausbruch dieses Krieges gab die Frankfurter Oper ein Wagner-Gastspiel in der Hauptstadt eines Südoststaates. Mit ihrem ganzen Ensemble war sie gekommen: mit Göttern, Helden und Walküren, mit Riesen und Zwergen, und ihre eigenen Kulissen und Requisiten hatte sie mitgebracht, um — zum erstenmal in jener Metropole — den „Ring des Nibelungen“ vollständig aufzuführen. Es war eine jener Veranstaltungen des Propagandaministeriums, die bezweckte, mit Hilfe der deutschen Kunst für das Dritte Reich zu werben. Die Nibelungen-Tetralogie war mit Bedacht zu diesem Zwecke ausersehen worden. Und in der Tat: aies %erk ist repräsentativ für jenes Deutschtum und Germanentum, wie es in der Vorstellung anderer Nationen lebt. Einer seiner besten Kenner und kritischesten Betrachter, Thomas Mann, sagte darüber: „Denn außerdem, daß dieses Werk eine eruptive Offenbarung deutschen Wesens ist, ist es auch eine schauspielerische Darstellung davon, und. zwar eine Darstellung, deren Intellektualismus und plakathafte Wirksamkeit bis zum Grotesken, bis zum Parodischen geht und bestimmt scheint, ein neugierig-schauderndes Weltpublikusa zu dem Ausruf hinzureißen: Ah, ca c'est bien allemand par exemple. . .. Wagners Kunst ist die sensationellste Selbstdarstellung und Selbstkritik deutschen Wesens, die sich erdenken läßt. . . und die leidenschaftliche Beschäftigung mit ihr ist immer zugleich eine leidenschaftliche Beschäftigung mit diesem Deutschtum selbst, das sie kritisch-dekorativ verherrlicht.“ In jenem Opernhaus der Südostmetropole, im dem zumeist die freundlichen oder leidenschaftlichen Melodien einheimischer, italienischer oder französischer Meister erklangen, drohten jetzt die Tubaklänge des Hunding - Motivs aus dem Orchester, Hojotoho-Rufe gepanzerter Walküren gellten von der Bühne und die Gibichungenhalle ging in Flammen auf. Im Zuschauerraum aber saß — in der Tat! — ein „neugierig-schauderndes“ Publikum von romanisch-slawischer Prägung, das zwar von dem deutschen Text nicht viel verstand, dem sich aber eine unbekannte und bedrohliche Welt auftat. Der Effekt, den dieses Gastspiel hatte, war ein sehr starker; jiur war er anderer Art, als man ihn beabsichtigt hatte. Man war gekommen, um zu werben und Sympathie zu gewinnen — und man' hatte die Gastgeber erschreckt und eingeschüchtert. Es wird erzählt, daß ein großer Teil des Publikums das Haus mit allen Zeichen der Verstörung verlassen haben soll.

Uns freilich kann diese Welt der Wälsun-gen, der Hundinge und der Walküren nicht mehr schrecken. Wir kennen sie zu genau, und wir haben Schlimmeres gesehen. Wir verschließen uns nicht der Einsicht, daß der Mythus immer wieder den Künstler verlocken mag, die ewigen Menschheitsfragen zusammenfassend darzustellen; daß es auch nicht möglich ist, abstrakte Schemen zu Trägern der Handlung zu machen, sondern daß der Dichter und Musiker seinen Gestalten menschliche Züge verleihen muß, um ihnen unsere Teilnahme zu sichern. Aber was für problematische, vielfältig gebrochene Gestalten sind diese Götter und Helden! Sie sind gleichsam getränkt mit dem melancholischen Relativismus und Pessimismus der Philosophie des 19. Jahrhunderts, insbesondere der Sdiopenhauers. Als „Unfreiester aller“ und als „der Traurigste von allen“ bezeichnet sich Wotan, der höchste Gott. „Von Menschen verladit, verlustig der Macht“ — so stehen sie da, und wollen nur eines noch: „Das Ende ... das Ende!“ Wie aber sieht dieses Ende aus, „für das Alberich sorgt“? Weltenbrand und heroischer

Untergang zu pathetischem Tubaklang Die Musik allerdings trägt uns über all dies Fragwürdige und Doppelgesichtige hinweg. Unvergleichlidi ist Wagner vor allem in der Darstellung des Elementaren. Feuer, Wasser, Luft und Erde werden nicht etwa lautmalerisch, nach dem Rezept der Programmusik, nachgeahmt, sondern ihre Idee im Sinne Piatos mit den Mitteln der Kunst sublimiert. Auch das edle Pathos des Hun-ding-Motivs, des Wälse-Rufes oder der Wotans-Klage — auch wenn wir ihren menschlichen und transzendenten Gehalt nicht nachzuempfinden vermögen — werden den Musiker immer wieder begeistern und noch lange ihre Wirkung ausüben. Besonders, wenn ein so klanggewaltiges Orchester zur Verfügung steht wie unser Staatsopernorchester, das sich unter Rudolf M o r a 11 s sicherer, an einzelnen Stellen etwas unruhiger und nervöser Leitung voll entfalten konnte. Die Bläser wären im ganzen etwas abzudämpfen; an allen wichtigen Stellen drangen die Singstimmen gut durch. Nicht nur die Hauptrollen, sondern auch das Walküren-Oktett waren mit besten Kräften besetzt (Hilde Konetzni, Anny Wiedmann-Konetzni und Rosette' Anday; Max Lorenz, Ludwig Weber und Hans Hotter). Bedenkt man die Kleinheit des Bühnenraumes und die Schwierigkeiten, die sich heute der Realisierung jedes technischen Details in den Weg stellen, so muß der Inszenierung Erich von W y m e t a 1 s volle Anerkennung gezollt werden. Zu grundlegenden Neuerungen konnte man sich allerdings nicht entschließen, und die Inszenierung pendelte zwischen naturalistischer Detailmalerei und symbolhafter Andeutung ein wenig planlos hin und her. Es wäre an der Zeit, sich mit dem schwierigen Stilproblem der Wagner-Inszenierungen einmal ernsthaft zu beschäftigen und eine Lösung wenigsten, zu versudien.

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