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Gott gab mir die Kraft zu verzeihen

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Durch eine Briefbombe verletzt, aber in ihrem Engagement für Flüchtlinge und andere Hilfesuchende ungebremst: Maria Loley, eine außergewöhnliche Frau.

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Durch eine Briefbombe verletzt, aber in ihrem Engagement für Flüchtlinge und andere Hilfesuchende ungebremst: Maria Loley, eine außergewöhnliche Frau.

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DIEFURCHE Nachdem Sie eine mehrfach preisgekmnte Hilfe für Bosnierflüchtlinge im Bezirk Mistelbach aufgezogen hatten, wurden Sie Opfer eines Briefbombenattentats. Wie kam es zu diesem? Maria loley: In der Lokalpresse gab es einen verhängnisvollen Artikel, in dem Poysdorf als Flüchtlingshauptstadt bezeichnet wurde. Er enthielt viele Unwahrheiten. Das hat uns enorm geschadet. Die anfänglich positive Stimmung in Poysdorf ist gekippt. Es kamen immer mehr Briefe mit Drohungen. In einem Brief hieß es, man würde mir und meinen Mitarbeitern die Häuser anzünden, wenn wir nicht aufhörten. Am Tag des Attentats war bei der Post ein Brief mit dem Absender „Liga der Menschenrechte". Normalerweise öffne ich meine Post zu Hause. An diesem Tag war es eine besondere Fügung der Vorsehung, daß ich ihn auf der Post geöffnet habe.

DIEFURCHE: Wie haben Sie das Attentat bewältigt?

LoiEY: Ich muß vorausschicken, daß Gott mich schützend vorbereitet hat: Monate vorher las ich beim Schriftlesen den Satz: Ich werde dich nicht loslassen, dich nie im Stich lassen. Diese Zusage hat mich innerlich so erfaßt, daß ich ihn immer wieder gelesen habe. Er war mir,einfach präsent. Durch die Ausgrenzung in meiner Umgebung war die Sicherheit, Gott läßt mich nicht im Stich, eine Stütze. Dann passiert das Attentat. Als ich noch im Schock auf die Operation gewartet habe, hatte ich die erwähnte Zusicherung noch in meinem schwindenden Bewußtsein. Es war damals für mich das Zugehen auf das Sterben. Nach der Narkose wache ich auf. Mein erster Gedanke: Ich lebe doch! Das Zimmer war voller Kriminalbeamten, Journalisten. Man fragt mich, was ich empfunden habe für den Täter. Mir war im Moment schon klar: Jetzt will ich nicht angeben und sagen, ich vergebe. So habe ich gesagt, ich bin ihm nicht böse. Ich habe gespürt, wie sich in diesen Tagen in mir eine Mächtigkeit entfaltet hat - eine unfaßbare Nähe. Die Erfahrung Gottes ...

DIEFURCHE Haben Sie ganz vergeben? loley: Mir wurde klar: Ich kann die Spirale des Hasses nur durchbrechen, wenn ich vergebe. Das hat mich sehr getragen - auch durch die Verleumdungen und Verhöhnungen, die ich nach meiner Rückkehr in Poysdorf erlebte. Sie waren schwieriger zu vergeben, als so ein spektakuläres Ereignis.

DIEFURCHE Sie haben Ihr Leben lang Menschen beraten Was. ist das Geheimnis erfolgreicher Beratung? loley; Jeder muß sagen können, wie es ihm ums Herz ist. Ich muß erkennen, wie mein Gesprächspartner seine Situation erlebt. Das ist ganz wichtig. Er muß auch Gefühle äußern können, sei es nun Enttäuschung, Wut, Traurigkeit oder Verzweiflung. Erst heute vormittag habe ich mit einem Mann gesprochen, der mir immer wieder gesagt hat: „Ich bin so verzweifelt, ich sehe keinen Ausweg." Nun ist seine Situation scheinbar wirklich aussichtlos. Vor allem kann ich sie nicht lösen ...

DIEFURCHE Geben Sie also keine Batschläge?

loley: Ich denke, empfinde mit - so gut ich kann. Hat der Gesprächspartner echt das Gefühl anzukommen, so verändert sich die Situation entscheidend. Dann bekommt der Mensch Raum, Luft, gewinnt an Terrain, weil er es in meine Innenwelt hinaus erweitern kann. So werden verschüttete Kräfte frei.

DIEFURCHE: Wieviele Menschen kann man denn intensiv begleiten? LoiEY: In meiner Dienstzeit meinte man, ein Mensch halte höchstens vier Intensivbegleitungen aus. Das kann ich mindestens mit zehn multiplizieren. Das wechselt nämlich: Einmal braucht der eine mehr Aufmerksamkeit, dann steht ein anderer im Vordergrund. Dann kommen in einem Konfliktfall wiederum beide Partner. Im Jugendamt in Mistelbach hatte ich den halben Bezirk im Außendienst zu betreuen, dann kam die Familienberatung dazu. Man wird bekannt ... Kaum war ich in Wien, wurde auch schon ein erster Ausländer an mich vermittelt. Mittlerweile sind es in Wien schon wieder über 100 Flüchtlingsfälle.

DIEFURCHE: Das kostet doch Kraft Woher nehmen Sie diese? loley: Zunächst spielt es eine große Rolle, wie weit ich eine psychische Hygiene lebe. Autogenes Training ist eine wertvolle Hilfe. Ums Loslassen geht es. Wenn ich denke, ich muß alles in der Hand haben, schnappe ich über. Ich lasse los und weiß, daß ich im Dienst Gottes stehe. Das ist für mich entscheidend. Gott ist der eigentlich helfende Partner. Ich stehe nur im Dienst und sehe meine Arbeit nur subsidiär.

DIEFURCHE: Stoßen Sie nie an Grenzen? loley: Natürlich kenne ich Müdigkeit, Erschöpfung, Traurigkeit, Bedrücktheit, weiß, wie es ist, wenn man am Boden liegt. Jeder, der sich mit Menschen einläßt, macht solche Erfahrungen.

DIEFURCHE: Können Sie den Glauben, der Sie trägt, anderen weitervermitteln1 loley: Oft stoßen die Leute in ihrer tiefliegenden Not ganz von selber auf religiöse Fragen. Das ergibt sich sehr oft. Aber-es muß sich ergeben.

DIEFURCHE: Sieforcieren das nicht? LoiEY: Nein. Es würde den Menschen nicht dort erreichen, wo er seine Frage

an Gott hat. Ich erlebe das in fast jedem Gespräch: Der Heilige Geist hat die gesamte Situation in der Hand. Natürlich kann ich versagen, etwa wenn ich mich von Affekten hinreißen lasse. Aber dann muß ich eben schauen, wie ich wieder ins Lot komme. Ich erlebe oft unglaubliche Wendungen in einem Gespräch, wenn ich mich ganz einlasse. Plötzlich tut sich etwas auf. An der Beaktion des Gesprächspartners bekomme ich das bestätigt. Ich möchte vor allem Bejahung vermitteln.

DIEFURCHE: feo immer nur positiv reagieren?

LOLEY: Das geschieht durchaus auch dadurch, daß ich sage: „So, wie du das siehst, liegst du falsch." Oder wenn mir einer sagt, er hasse seinen Partner, muß ich ihn schon darauf aufmerksam machen: „Da stehst du an." Da muß das Gespür geweckt werden, daß es auf diesem Weg nicht geht.

DIEFURCHE haben Ihr Leben der Hilfe für sozial Schwache gewidmet Was ist die typische Not unserer Zeit3

,EY: Sie hat ihre Schwerpunkte in der Angst, in einer enormen Unsicherheit, Hoffnungslosigkeit und in einer zunehmenden Ungeborgenheit. Ich übertreibe nicht, überlege mir da jedes Wort. Die Menschen erleben immer stärker eine Bedrohung von irrealen, nicht vorstellbaren Mächten, die sie nicht greifen können.

DIEFURCHE: Meinen Sie mit diesen Ängsten die Ausländer? Loi ,ey: Ich möchte fast sagen, daß diese Gefühle stärker bei den Einheimischen anzutreffen sind. Und dabei haben die Ausländer natürlich auch Zukunftsängste. Jeder weiß, wie die Asylpolitik in Österreich aussieht.

DIEFURCHE: Wächst diese Not3 LoiEY: Ja, das muß ich sagen. Meine Erfahrung ist, daß die Menschen aus dem Glauben keinen Lebenshalt gewinnen. Sie erleben Gott nicht in seiner Väterlichkeit, in seiner absoluten Zuverlässigkeit, in seiner liebenden Nähe in Jesus ...

DIEFURCHE: Erleben sie Gott überhaupt noch?

LoLEY: Kaum. Dabei bin ich bei solchen Aussagen vorsichtig, um nicht schwarz-weiß zu malen. Das gesellschaftliche lieben ist heute belastend: der Umgang miteinander, der Egoismus, die Habgier. All dies ist unvereinbar mit der Erfahrung eines väterlichen Gottes.

DIEFURCHE: Hängt die Familiensituation mit der Ungeborgenheit zusammen3 LOLEY: Ja, ganz enorm. Als Jugendfürsorgerin habe ich diese Erfahrungen laufend machen müssen. Schon ab den sechziger Jahren, mit zunehmender Tendenz. Das Generationengefüge ist zerbrochen. Die Jungen sind abgewandert, die Alten zurückgeblieben. Die Schwerpunktverlagerung des Lebens in die Arbeit hat das Auseinanderbrechen der jungen Familien gefördert. Sicher: Jede Familie hat ihre Probleme. Aber viele Familien heute können nicht mehr den notwendigen Halt vermitteln.

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