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GOTT IM STALLE DES LEBENS

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Giovanni Papini schildert in seinem bekannten Buche „Die Geschichte Christi“ den Sinn des Feldzuges Gottes auf dieser Erde mit seinem eigentümlich harten Realismus; Christus ist in einem Stalle geboren... Ist die Welt nicht ein großer Stall, in welchem die Menschen...

Viel Tragisches ist in diesem Bilde. Und dennoch, ist nicht der wesentliche Sinn des Feldzuges Gottes auf der Erde ein viel heiterer? Der Engel auf dem Felde zu Bethlehem spricht zu den Hirten in einer anderen Sprache: „Fürchtet euch nicht, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volke zuteil wird; heute ist euch der Heiland geboren worden, welcher ist Christus der Herr...“

In den Reihen der Menschen fehlt es nicht an unverbesserlichen Schwarzsehern, welche die Sonne mit den dunkelsten aller Gläser betrachten, in der Rose nur den Wurm sehen, im Blu-menteppich die Auseinandersetzung der Natur auf Tod und Leben, in der Lebensgemeinschaft der Menschen — den Kampf eines Haufens von Wölfen. Diese Pessimisten lassen sich durch nichts bekehren. Sogar in: der Religion sehen sie nur die finsteren Mächte und über Bethlehem — das blutige Kreuz.

Und dennoch ist der Sinn der Welt das Leben, welches das Licht der Menschen ist (Joh. I, 4), und das Leben identifiziert sich immer — selbst im Verstehen der Philosophen — mit dem Guten, mit der Wahrheit, mit dem Schönen. Wert ist viel mehr das Suchen in Bethlehem nach dem Lichte, nach der Hoffnung, Leben und Freude. In Wirklichkeit ist Weihnachten das Fest der Freude und des Lebens... Der Blick in die Krippe von Bethlehem erinnert jeden an das Leben: Sowohl die, welche Gott dort nicht sehen, als auch jene, die mit ihrem Glauben Gott suchen, der menschliche Natur angenommen hat. Der Christ sieht in der Krippe Gott, der den ausgehungerten, verlorengegangenen Sohn erretten will, welcher unbedachterweise sich in das Land der Schweine begab. Vielleicht darum erlaubte Christus Seiner Mutter, Ihn in die Krippe zu legen, um erklärlich zu machen, daß Er das Brot ist, und der Mensch sich mit Gott nähren soll.

Die durch die katholische Kirche verkündete Wahrheit von der Fleischwerdung des Wortes, der zweiten Person der Heiligen Dreifaltigkeit, hat auch einen hervorragenden humanistischen Wert und Sinn. Im Credo bekennt die Kirche von Christus: „Für uns Menschen und um unseres Heiles willlen ist Er vom Himmel herabgestiegen. Er hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist aus Maria der Jungfrau und ist Mensch geworden.“

Gott geht wiederholt in das greifbare menschliche Leben hinein, wie Er es einmal tat, als Mensch und Welt erschaffen wurden. Gott will nicht hinter dem Leben stehen. Gott hinterläßt im Leben seine unverwischbaren Spuren, welche wir bei kleiner Aufmerksamkeit überall auffinden. Durch Seinen Sohn kehrt Gott auf den Erdkreis zurück, fühlt Sich in die menschlichen Angelegenheiten ein und gibt dem Leben auf der Erde göttlichen Charakter.

Seinen Stfrttr in Bethlehem gibt Er ein menschliches Antlitz, wie einst der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen wurde. Es entspricht den heißen Wünschen des Menschen, der früher Götter aus Parnasses vermenschlichte, sowie selbst ständig die Vergötterung wünschte. „Ihr werdet wie Gott sein“, ist das. gepflegte Programm eines jeden Menschen, auch, wenn er Gott zürnt. Eigenartig, wie sogar fehlgehende Menschen sich mit dem Gedanken der Beförderung, Erhebung und Vergötterung befassen. Was tun diese nicht alles, um auf Erden die Würde der Götter zu erlangen?! Ist dieser Wunsch nicht entschuldigt durch die, eigene Natur des Menschen und dessen'Bestimmung?

Auf dem Wege zum. Ziele liegt eine Aufforderung: vorerst .sei ein echter Mensch. Ein-: mal nur, wenn auch für immer, ist Gott,' Mensch geworden I Nur ein echter Mensch hat ein Anrecht auf Gottheit. Aus diesem Grunde heraus muß das wahre Menschentum erst gelehrt werden! Vielleicht ist dieses Werk eines der schwersten. Notwendig ist daher ein Vorbild vollkommenen Menschentums. Dieses sehen wir im menschlichen Leben Jesu Christi vom kindlichen Weinen in der Krippe bis zur Erlösung der Menschheit am Kreuze Wehe der Erde, wenn die Materie vergöttert wird, wenn Gold; Geld, Maschinen, Bomben Gott werden... Die Tragödie des Menschen ist der leblose, erstarrte, materielle Gott. Bethlehem führt den Menschen zum Gott-Menschen. Das ist der Geburtstag des neuen Menschen, dem Gott der Vater Seinen Söhn, den Gott-Menschen, schenkt. Eben deswegen ist Gottes Geburt so aktuell und erfüllt uns mit Freuden, wobei wir uns vor dem Menschen verneigen.

Die Erhebung des Menschen „zur Gottheit“, nach dem Beispiel des Gott-Menschen, ist von großer, gemeinschaftlich-erzieherischer Bedeutung, Zwar widersetzt sich in den Gliedern des Menschen das „andere Gesetz“ den Gesetz des Verstandes, das gleich dem Magnet uns ständig in die Tiefe zieht. Sooft aber der Mensch seine angeborenen menschlichen Eigenschaften von sich weist, endet diese Tat mit einer Katastrophe. Sobald der Verstand nicht ehrlich die Wahrheit sucht in Obereinstimmung mit dessen Bedarf, führt er die Menschen in das Land det Lüge, den Gegensatz jeglichen Fortschritts. Wenn der Wille nicht mehr entschieden nach dem Guten strebt, verwandelt er das Zusammenleben der Menschen in eine sklavische Qual. Sollte das Herz nicht mehr gemeinschaftlich lieben, dann trägt das Volk den Namen „Selbstsüchtige“.

Bethlehem ist eine Apologie des Lebens. Dieses ist hier noch schwach, kindlich und ständig gefährdet. Jesus Christus war nicht nur in Bethlehem gefährdet, auch vot Pilatus und auf dem Kalvarienberg. Das Christus-Leben kann in jedem Menschen gefährdet sein, sogar im getauften und heiligmäßigen. Es -bringt uns das Leben, doch das Leben verlangt Pflege, ähnlich einer Blume im Blumentopf. Die Pädagogie Gottes in der Kirche zeigt das bethlehemsche Leben in Kindergestalt, um die Menschen von der Notwendigkeit andauernder Wachsamkeit gegenüber dem Leben zu überzeugen und zur Pflege des Lebens anzueifern.

Die Kirche verteidigt ohne Unterlaß dieses Leben in sich, wobei sie ständig bemüht ist, vor Verkrampfung und Formalismus zu fliehen. Gleichzeitig warnt sie vor der geistigen Sklerose. Obgleich in dieser Kirche ständig Christus lebt, der Kraft und Leben der Kirche spendet, muß sie dennoch wachsam sein, daß die Wege nach Bethlehem nicht verwachsen, wo Christus lebt und sich entwickelt. Niemand von uns ist frei von der Gefahr des Absterbens des Geistes, der Gedanken, des Willens und Herzens. So oft überhören wir die Stimme des lebendigen Gottes in uns; vielleicht einmal im Jahre weckt uns aus dem Scheintod das Weinen des Kindes von Bethlehem. Wir reagieren nicht auf da wahre Licht, sondern nehmen vorlieb mit einer kalten Kerze eines Tannenbaums. Nach unserem Begriffe ist Gott so klein, ständig unterernährt, und es fehlt uns die lebendige Vorstellung über den allmächtigen Gott. Als so ein kleines unterernährtes Kind fassen wir auch die Kirche auf, mit ihrer Lehre, Philosophie und Moral. Dabei vergessen wir, daß wir uns selbst in der Entwicklung aufhalten. Gott hat längst Bethlehem verlassen, wir jedoch befinden uns immer noch in den Windeln. Unsere Pflicht;statte;ahidtlr dem Kinde zu gehen und Platz einzunehmen zwischen Gelehrten und Akademikern, uns den Volksscharen anzuschließen, um dem Lehrer des Weges, der Wahrheit und des Lebens zuzuhören, zu fragen, wo Er wohnt, Ihn anzuflehen uns die Augen zu öffnen. Unsere geistige Sklerose ist nicht die Schuld der Kirche, sondern ist die unsrige.

Christus wurde in einem Stalle geboren ... Ist die Welt nicht ein großer Stall, in welchem die Menschen...

Heute ist der Stall in Bethlehem eine Kirche. Auf der Marmorfliese erinnert die Inschrift: „Hic de Virgine Maria Jesus Christus natus est.“

So wie in Bethlehem geschah es ähnlich in Rom, wo auf heidnischem Gebiete heute christliche Gotteshäuser stehen. Und auf der polnischen Erde, wo einst der Zauber heidnischer Götzenverehrung seinen Platz hatte, stehen heute Heiligtümer, überfüllt mit Menschen für den lebendigen, wahren Gott. Man braucht den lebendigen Gott, den das Christentum verkündet, auf daß durch die Macht des Kreuzes und des Evangeliums die erquickende Vereinigung des Volkes sich vollendet. Aus wilden Wäldern und aus der Gesellschaft mit den Tieren ging der Mensch heraus und trat in das Heiligtum des lebendigen Gottes ein, nicht um leblose Tiere zu opfern, sondern sein alltägliches Leben. Unser Gott ist der Gott der Lebenden und nicht der Toten. Diese Tatsache zwingt uns (sehr oft) zur unaufhörlichen Pflege des göttlichen Lebens in uns.

Ein vielsagendes Zeichen des tatsächlichen Werkes Gottes und Seiner Kirche hier auf Erden. Die Welt will kein Stall sein..., sondern ein Tempel. Der Mensch will nicht als Tier gelten, sondern Gott sein. Die Kirche zeigt am Beispiel des einverleibten Gottes, wie dieser Wunsch zu erfüllen ist.

O Weisheit, die du aus dem Munde des Allerhöchsten kommst — so ruft die Liturgie im Advent —, erreichend alles von einem Ende bis zum anderen und lieb stimmend; komm und zeige uns den Weg der Besonnenheit...

(Aus dem Polnischen von ]osef Pawliczek.)

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