Gott, Monster oder ...?

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Ein Sammelband auf der Suche nach der Antwort auf die schlichte Frage: Was ist der Mensch?

Gebannt starren zur Zeit viele Philosophen auf Biologen und Mediziner, die einmal mehr den Menschen naturalistisch verkürzen, sein Handeln mechanistisch erklären. Solch kränkende Dezentrierung der Krone der Schöpfung hat die Vertreter des Geistes von jeher entrüstet und so gilt es erneut, mit schwerem Geschütz auszurücken zur Verteidigung von Willensfreiheit, persönlicher Verantwortung, ja gar die Straf-und Belohnungsfähigkeit fürs Jenseits zu sichern - man weiß ja nie!

Eindimensionales Gefecht

Dass sich dabei in der Hitze das Gefecht als ziemlich eindimensional herausstellt, ist nicht wirklich verwunderlich. Aber so eindimensional war die Frage nach dem Menschen ursprünglich ja nie. Platon räsoniert in seinem Phaidros seufzend über das Wesen des Menschen: Gott oder Monster! In dieser feinen Spannweite, die wir in den Nachrichtensendungen täglich serviert bekommen, geht es um die Abgrenzung des Menschen von Gott auf der einen, vom Tier auf der anderen Seite samt mannigfacher von menschlicher Phantasie ersonnener Zwischenstufen. Daneben zog der Mensch seine Grenzen auch intern, zwischen Lebenden und Toten, Geborenen und Ungeborenen, Besitzenden und Sklaven, Inländern und Ausländern, Männern und Frauen. Das große Verdienst des Buches Grenzen des Menschseins ist es, an diese weite Dimension der Frage nach dem Menschen zu erinnern und sie auf den neuesten Stand zu bringen. Der gewichtige Band ist der achte von einschlägigen Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie in Freiburg und dokumentiert zwei Tagungen 1999 und 2001, die mit dem Partnerinstitut der Universität Wien durchgeführt wurden.

Die zeitgenössische Diskussion kommt gleich am Anfang zu Wort, eingebettet in den gegenwärtigen Stand der Phylogenese, also der Entwicklung des Homo sapiens, und Ontogenese des Menschen. Letztere wird nicht mehr nach dem Haeckelschen Grundgesetz auf die Phylogenese zurückgeführt. Vielmehr verläuft die Entwicklung des Neugeborenen in allen Kulturen ähnlich mit anschließender milieubedingter Diversifizierung. Das erlaubt ein salomonisches Urteil über die gleichzeitige Berechtigung von Universalismus und kulturellem Relativismus. Bevor man diese Brücke zur kulturwissenschaftlichen Sichtung der Innen-und Außengrenzen beschreiten kann, werden die Fragen um den Status pränatalen Menschseins - setzt man auf Potenzialität oder Realität? - sowie der menschlichen Identität angesichts der modernen Transplantationsmedizin abgearbeitet. Dass weder philosophisch noch naturwissenschaftlich eindeutige Antworten möglich sind, wird niemanden überraschen, dennoch wünscht man sich einen Beitrag zum eingangs erwähnten Modethema der Neurowissenschaft. Doch die Herausgeber nehmen die Einsicht ernst, dass eine Definition des Menschen nicht auf eine gängige Formel zu bringen, sondern nur in vielen Anläufen zu beschreiben ist.

Eine Frage - viele Anläufe

Die platonische Frage "Was ist der Mensch" wird in zahlreichen Facetten abgehandelt und an den vorgeschichtlichen Gesellschaften sowie an den Hochkulturen Ägypten, Mesopotamien, China, Indien exemplifiziert. Näher am europäischen Weg liegen die Vergöttlichung des Menschen und die Menschwerdung der Götter in der griechischen und römischen Antike, das mühsame Ringen um ein akzeptables Menschenbild im christlichen Mittelalter und schließlich die Aufklärung mit den Menschenrechten und deren Rezeption. Soviel Transformation und Grenzüberschreitung gelingt nur bei einem durchlässigen Geist-Körper-Verhältnis und das Transversieren der Seele über verschiedene Körper hinweg sowie die kosmotheologische Verschmelzung von Gott und Mensch zum All-Einen gibt es von der Antike bis zum Deutschen Idealismus. Schade, dass kein Moraltheologe die Chance erhielt, gegen die körperfeindlichen Einflüsse aus der griechischen Kultur ein Plädoyer für das leibbetonte Christentum zu halten. Uferlos sind die Übergänge und Abgrenzungen zwischen Tier, Monster und - später - der Maschine. Bei einem ohnehin nicht gerade schmalen Buch weist man ungern auf Versäumtes hin, aber im Zeitalter der "Googelisierung" ganzer Lebensbereiche und zwei Jahrzehnte nach Orwells 1984 ist das Fehlen eines Beitrags zu diesem heiklen Verhältnis eine verpasste Gelegenheit.

Work in progress

Für die Grenzziehungen der Menschen untereinander gibt es zahlreiche Motive, die ausführlich vorgestellt werden. Menschen setzen sich durch die Sprache von Untermenschen ab, Geschlechterchauvinisten bezeichnen Frauen als "zweibeinige Tiere" - so Innozenz III. zu einer Zeit, wo das Mittelalter am dunkelsten war. Herren sondern sich von Sklaven, Katholiken von Protestanten und am laufenden Band werden politische und soziale Mengenbegriffe definiert: Masse, Rasse, Klasse. Die Unterschichtendiskussion zeigt, dass wir mitten drin sind in der Frage nach dem Menschen, ein work in progress. Das vorliegende Buch ist ein mit Gewinn zu studierender Zwischenstand, zu dem knapp dreißig Autoren beigetragen haben, leider werden sie nicht vorgestellt.

Grenzen des Menschseins Probleme einer Definition des Menschlichen

Hg. von Justin Stagl und Wolfgang Reinhard. Verlag Böhlau, Wien 2006

774 Seiten, geb, Euro 70,90

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