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Das Buch "Rabbi Schneersohn und Major Bloch" dokumentiert Koalitionen der Rettung und der Vernichtung.

Wie sehr gängige politische Schemata spätestens seit 1989 durcheinander geraten sind, zeigt das Buch des ehemaligen deutschen Kulturstaatsministers. Es ist ein flammendes Plädoyer eines Linken für das gute alte humanistische Bildungsideal.

In einem theoretischen Teil führt Julian Nida-Rümelin den Humanismus auf Stoa und Renaissance zurück. Der Humanismus stiftet eine Zivilgesellschaft als stabiles, von einem normativen Konsens getaragenes Kooperationsgefüge mit akzeptierten Regeln des Konfliktaustrags. Diese gründet auf Ethos und Toleranz und ist als Demokratie organisiert, die eine weltumspannend zu erstrebende Organisationsform der Gesellschaft sei, denn sie kann eine Vielfalt von Lebensformen, existenziellen Bindungen und kulturellen Prägungen beheimaten. Die philosophischen Bausteine eines solchen Anspruchs sind Vernunft, Universalität, Toleranz, Moral.

Angesichts dieser großen Geste des argumentierenden Philosophen mutet sein immer wieder beschworener Konflikt zwischen den Geisteswissenschaften und dem "marktradikalen" Zeitgeist ein wenig kleinkariert an. Ein selbstbewusster Humanismus weiß doch um die Relativität historischer Moden. Zudem sollte er ein liberales Wirtschaftsmodell für sich in den Dienst nehmen und damit die Prioritäten in einer Kultur beherzt klarstellen. Dafür taugt freilich kein Platon, dessen Wissenskonzept den Autor so fasziniert, dass er die totalitären Anmutungen von Platons Staatsentwurf beiseite wischt. Dabei kann Nida-Rümelin durchaus anders und entschieden humanismusverträglicher: auch Kaugummis, Comics und Elvis Presley hätten zur Entstehung der offenen Gesellschaft beigetragen!

Die heute brennende Grundfrage solch kosmopolitischer Anmutungen, wie man denn die Demokratie global erstreitet, bleibt auch hier unbeantwortet. Immerhin ist klar, dass dafür jedenfalls Bildung eine Voraussetzung ist. An den amerikanischen Spitzenuniversitäten sieht der Autor "Humbold pur" verwirklicht. Er tritt ein für Eliten, wobei Ungleichheit nach John Rawls allen in der Gesellschaft nützen soll. Er plädiert - für einen Stegmüller-Schüler bemerkenswert - über die kognitive Schlagseite hinaus für mehr Persönlichkeitsbildung im Sinne des Ideals des 19. Jahrhunderts. Der zur Zeit gefeierte Bolognaprozess sei demgegenüber ein Rückfall ins Mittelalter mit kanonisiertem Modulwissen.

In einem eher praktischen zweiten Teil versammelt der Autor Stellungnahmen zu Einzelfragen. Er entwirft einen nachvollziehbaren Integrationsbegriff zwischen multikultureller Segregation und kulturchauvinistischer Assimilation. Lesenswerte Kommentare gibt es zur Architektur, zu der von Leslie Fiedler propagierten postmodernen Losung "Cross the Border, Close the Gap" oder zur Spannung zwischen der unumgänglichen Globalisierung und den Verlierern in diesem Prozess. Erwähnenswert sein Plädoyer für die Sprachausbildung junger Menschen, wobei er zunächst die Kenntnis der eigenen, deutschen Sprache einmahnt.

Im letzten Teil gibt ein Interview dem Buch eine sehr persönliche Note. Mit nicht ganz verborgenem Stolz verweist er auf seine Herkunft aus einem der letzten Künstlerhäuser Münchens, der Hildebrand-Villa. Großvater und Vater Nida-Rümelin, beide Künstler, führten das vom Bildhauer Adolf von Hildebrand gegründete Haus in tolerantem, offenem, liberalem Geist weiter. Im kurzweiligen Gespräch mit Ulf Poschardt verrät Nida-Rümelin etliche Details, Beweggründe und Rechtfertigungen zu seinen politischen Jahren in München und Berlin und erklärt seine Rückkehr auf den Philosophie-Lehrstuhl in München.

Nida-Rümelins Buch ist so auch eine Fundgrube von Nachdenklichkeiten zum Thema Intellektuelle in der Politik. Schade eigentlich, dass er seine Leitbildambition auf einen europäischen Nationalstaat, Deutschland, beschränkt hat. Was noch aussteht, ist eine ähnliche Intervention zur Kultur Europas - vielleicht zusammen mit den in der Politik gewonnenen europäischen Intelleketuellenfreunden.

Humanismus als Leitkultur

Ein Perspektivenwechsel

Von Julian Nida-Rümelin

Hg. von Elif Özmen. C.H.Beck, München 2006. 224 Seiten, geb., e 23,60

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