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Gottsucher auf Flux-Trips

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Glauben ohne Kirche: Das religiöse Profil wird unscharf. Die Menschen wählen aus dem vielfältigen weltanschaulichen Angebot beliebig aus.

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Glauben ohne Kirche: Das religiöse Profil wird unscharf. Die Menschen wählen aus dem vielfältigen weltanschaulichen Angebot beliebig aus.

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Vor ein paar Jahren erzählte mir eine Bekannte (damals noch verheiratet, zwei schulpflichtige Kinder) von ihrem Gang über glühende Kohlen während eines Seminars im Waldviertel. Achthundert Grad Hitze, bloßfüßig, nichts gespürt. Und warum dieser Feuerlauf? Lediglich ein wenig angeödet vom Haushaltstrottt, sagte die junge Frau. Sie wäre irgendwie froh, daß ihr die Sache gelungen sei.

Ähnliche Beispiele für die Flux-Beligion, wie ich sie hier nennen möchte, gibt es in Menge. Mit der herkömmlichen Beligion hat der neue Flux so viel zu tun wie der österreichische Bundeskanzler mit Karl dem Großen.

Die alte Beligion, wie sie (noch) im Zeugnis steht, ist im Verschwinden begriffen. Nach einer eher vorsichtigen Projektion wird ihr binnen zwanzig Jahren nicht einmal mehr die Hälfte der Bevölkerung (nominell) angehören. Und die andere Hälfte? Sie wird fluktuieren. Angesagt ist Beweglichkeit.

Im Zeitalter des Wassermanns, das angeblich bereits begonnen hat, macht der Mensch eine Fastenkur, absolviert im Februar einen, Zen-Kurs, geht im März zu einer Vortragsreihe über astrologische Partnerwahl, tanzt im April mit; einem Derwisch, läßt sich im Mai in abgelebte Existenzen zurückführen, wandert im Juni durch Nepal, lernt im Juli eine Schamanin kennen, besucht im August einen Workshop in themenzentrierter Interaktion, hört im September eine Vorlesung über die Weltreligionen, beschäftigt sich im Oktober mit Bergkristallen, erlebt im November eine Todesmeditation und wünscht sich zu Weihnachten eine Gehirnwellen-Maschine.

Nur mit einiger Mühe lassen sich im Flux der Engagements, Objektwahlen und Interessen zwei oder drei konstant bleibende Motivationsbündel ausmachen.

Zunächst fällt eine Gestimmtheit des Lebensgefühls auf, die nach Protestaktionen verlangt. Die Gegenstände der Verärgerung wechseln (Bassismus, Krieg, Atom, Waldsterben, Sexismus, Bauchen), die Empörungsbereitschaft hält sich stabil. Öfter mal was Böses, ist die Devise.

Ferner bleibt wichtig, einen mächtigen Erfahrungshunger mitzubringen. Nicht der Bücherwurm ist gefragt, der zuerst Sanskrit oder Arabisch lernt, ehe er oder sie sich mit dem Tantrismus oder den Sufis einläßt. Leitfigur ist eher jener sanftblickende Typ, der nach dem siebenundzwanzigsten Wochenendkurs noch neugierig auf die Erleuchtungen des nächsten Seminars ist. Schließlich macht sich, quer durch die unterschiedlichsten Trips, ein erstaunlicher Wille zur Stilisierung bemerkbar. Erst in der wechselseitigen Abfärbung ästhetischer, religiöser, hygienischer, politischer, erotischer, ökologischer, feministischer, therapeutischer, diätetischer Engagements gewinnt das Projekt Selbstverwirklichung eine Kontur.

Getragen wird es nicht mehr von sozialen Schichten wie vordem die Arbeiterbewegung, sondern von „Milieus". Dementsprechend wichtig werden, so der Bamberger Soziologe Gerhard Schulze („Die Erlebnisgesellschaft", 1992), Fragen des Geschmackes im sozialen Feld. Im Selbstverwirklichungsmilieu Schul-zes hat der Mensch unter 40 Matura gemacht, ist in der Sozialarbeit oder in einem Becycling-Unternehmen beschäftigt, fährt mit dem Bad zum Biokostladen, engagiert sich gegen Haider, kleidet sich salopp, mag Jazz und Szene-Lokale, war vor 15 Jahren im Ernte-Einsatz auf Kuba und hat das Kirchen Volksbegehren unterschrie -ben.

Angefangen hat die Selbstverwirklichung vor 40 Jahren, als an der Universität Harvard ein paar Studenten mit LSD experimentierten. Ihre Erlebnisse gestalteten sich so sensationell, daß sie sich bis Kalifornien durchsprachen und in der dortigen Subkultur nachprobiert wurden. Es war dies die Zeit, in der die Doktorarbeit eines gewissen Carlos Castaneda zum Millionenseller wurde, auf dem Höhepunkt der studentischen Unrast.

Das junge Publikum, das sich für Castaneda interessierte, rauchte Marihuana, lauschte der Musik von John Cage und hielt das politische System der USA für schwachsinnig. Daß einer dieser „Baby-Boomers", wie sie genannt werden, gegenwärtig als Präsident im Weißen Haus sitzt, macht die christlichen Fundis rasend. Im alten Europa lief die Sache etwas später an, in zwei Phasen. Zuerst leistete die den Wasserwerfern der Polizei heftigen Widerstand, und hernach suchte sie ihr Glück an den Ufern des Ganges.

Das Selbstverwirklichungsmilieu wird laut Schulze in der Zukunft „kulturell dominant" sein. Wer sich in ihm bewegt, kann auch mit 80 sein oder ihr Selbst verwirklichen - zumindest so lange, als er oder sie in Österreich bleibt und nicht nach Teheran übersiedelt.

In Teheran ist zur Zeit die Beligion immer noch eine ernste Angelegenheit, wie in den vormodernen Zeiten. In den vormodernen Zeiten gehörte zur Beligion eine generati-onsüberschreitende, unbezweifelbare Glaubensgewißheit aller Beteiligten, gab es regelmäßige kultische Verrichtungen in den dafür vorgesehenen Gebäuden, und heilig gehaltene Zentren wie Lhasa, Benares, Mekka, Jerusalem, Born. Die Zentren sind immer noch da, und das Flux-Milieu bedient sich aus dem religiösen Erbe wie im Supermarkt, beständig auf der Suche nach neuen Erlebnissen, Sinn-Angeboten, Entlastungsmöglichkeiten. So entsteht eine Art Schnupper-Men-talität in Glaubensdingen, eine Lockerung der Umgangsformen mit dem göttlichen Bereich. Allerdings nicht durch die Bank. Destruktive Kulte (Sonnentempler, Aum), autoritäre Netzwerke (Scientology, Opus Dei), Geheimbünde (Engelwerk), Bewegungen (Charismatiker), Großverbände (Vereinigungskirche) rekrutieren ihre Anhängerschaften sicher nicht aus dem Flux-Milieu, so wenig wie die militanten Religionsterrori-sten christlicher, muslimischer, jüdischer Provenienz. Sie alle, ob weltweit agierend oder in der Provinz, holen sich ihre Energien aus antimodernen Affekten, marschieren mit dem Bücken voran in die Zukunft, den Blick in die Vergangenheit gerichtet, deren Ordnungsprinzipien ihnen Geborgenheit geben.

In Österreich finden straffe Religionsvereine wenig Anklang. Das kann mit der Weinkultur zusammenhängen, und auch die bösen Erfahrungen mit dem Braunauer mögen eine gewisse Skepsis gegenüber großen Gefühlen und starken Überzeugungen in der Bevölkerung zurückgelassen haben.

Kein Grund also zur Panik in Beli-gionsangelegenheiten. Allenfalls wird das Verhältnis der österreichischen Seele zum lieben Gott noch ein bißchen schlampiger werden, als es immer schon war.

Der Autor ist

Religionsphilosoph in Wien.

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