6636100-1957_16_06.jpg
Digital In Arbeit

Graf Berchtold schreibt an Pineau

19451960198020002020

Die Erregung, die der Coup des Obersten Nasser gegen die Suezkanalgesellschaft im Sommer 1956 in der französischen Oeffentlichkeit ausgelöst hatte, führte sehr rasch zu einer lebhaften Diskussion über die Berechtigung und Zweckmäßigkeit einer bewaffneten Aktion gegen das Land, dessen autokratischer Regierungschef von den meisten Franzosen als der eigentlich Verantwortliche wenn nicht für den Ausbruch, so jedenfalls für die Fortdauer des blutigen Aufstandes in Algerien betrachtet wurde. Zu diesem leider noch immer aktuellen Thema nahm die Pariser Wochenschrift „R i v a r o 1" in Form eines Briefes Stellung, den der seinerzeitige österreichisch- ungarische Minister des Aeußeren, Graf Berchtold, an den AuSenminister im Kabinett Mollet, Monsieur Christian Pineju, „aus dem Jenseits gerichtet haben könnte“. Wir geben die Ueber- setzung dieses fiktiven Schreibens, das uns von einem französischen Leser der „Furche“ zugeleitet wurde, im folgenden vollinhaltlich wieder. Die Redaktion

19451960198020002020

Die Erregung, die der Coup des Obersten Nasser gegen die Suezkanalgesellschaft im Sommer 1956 in der französischen Oeffentlichkeit ausgelöst hatte, führte sehr rasch zu einer lebhaften Diskussion über die Berechtigung und Zweckmäßigkeit einer bewaffneten Aktion gegen das Land, dessen autokratischer Regierungschef von den meisten Franzosen als der eigentlich Verantwortliche wenn nicht für den Ausbruch, so jedenfalls für die Fortdauer des blutigen Aufstandes in Algerien betrachtet wurde. Zu diesem leider noch immer aktuellen Thema nahm die Pariser Wochenschrift „R i v a r o 1" in Form eines Briefes Stellung, den der seinerzeitige österreichisch- ungarische Minister des Aeußeren, Graf Berchtold, an den AuSenminister im Kabinett Mollet, Monsieur Christian Pineju, „aus dem Jenseits gerichtet haben könnte“. Wir geben die Ueber- setzung dieses fiktiven Schreibens, das uns von einem französischen Leser der „Furche“ zugeleitet wurde, im folgenden vollinhaltlich wieder. Die Redaktion

Werbung
Werbung
Werbung

Leopold Graf Berchtold, ehemals Minister des Aeußeren Seiner Apostolischen Majestät Franz Joseph I„

an Monsieur Christian Pineau, Minister des Aeußeren der Französischen Republik

Exzellenz! Mein hochgeschätzter Kollege!

Ich habe lange gezögert, Ihnen zu schreiben. Ich habe mich gefragt, ob es wohl mit der Würde eines früheren Ministers Seiner Apostolischen Majestät, des glorreichen Kaisers Franz Joseph I., vereinbar sei, sich an den sozialistischen Minister einer doch etwas mehr als volkstümlich angehauchten Republik zu wenden. Aber die Dankbarkeit ist eine Pflicht, der sich ein Edelmann nicht entziehen darf. Das ist der Grund, weshalb ich diesen Brief aus dem Jenseits an Sie richte, um Ihnen meinen Dank dafür zum Ausdruck zu bringen, daß Sie in den Augen der Geschichtsschreiber und der Völker Ihrer Zeit die Politik gerechtfertigt haben, die ich im Jahre 1914 zur Anwendung brachte.

Ich weiß nicht, ob Sie sich gut dessen erinnern, was ich damals zu tun für richtig fand. Das Reich Seiner Majestät, Franz Josephs, war, ebenso wie Ihre Französische Union, ein Staat verschiedenartiger Völker, die durch nichts anderes verbunden waren, als durch ihre geschichtliche Vergangenheit, eine gemeinsame Verehrung für den Kaiser und einen gemeinsamen Widerwillen gegen seine Administration. Es war ein sehr altes Gebäude, wo man gut leben konnte, ungeachtet dessen, was gewisse Volksredner behaupteten. Ein Abend in der Wiener Oper, ein Frühlingsspaziergang im Prater, eine sommerliche Stunde in.. einem Restaurant irgendwo an der Donau, wo man bei einem Gfei -TokifSr Šen KlSft fe' eftiei” SVfauß- Walzers lauschen konnte oder den reizenden Anblick liebenswürdiger Wienerinnen genoß —, glauben Sie mir, das war mehr wert, als die düsteren Sitzungen des Reichsrats. Aber ich lasse mich da durch meine Erinnerungen vom Thema abbringen, und das könnte mir Ihrerseits die Beschuldigung eintragen, ein „frivoler Wiener Aristokrat“ zu sein. Kehren wir zur Politik zurück.

Wir fühlten uns durch die Panslawisten bedroht, die darauf aus waren, unser Reich zu zerstören, um aus dessen Trümmern unbedeutende slawische Königreiche zu schaffen, die ebenso viele gute Vasallen unseres guten Nachbarn, des Zaren Nikolaus II., abgeben würden. Wir wußten, daß die virulentesten dieser Elemente die Serben waren, die, erfüllt von der Ambition der Größe, davon träumten, unser vielhundertjähriges Reich zu zerstückeln, um sich an unseren südlichen Provinzen gütlich zu tun. Zu wiederholten Malen warnten wir sie, unsere Geduld nicht zu erschöpfen. Wir sagten ihnen, daß wir ihre Vorbereitungen für unsere Aufteilung nicht tolerieren könnten. Ihre Offiziere, ihre Komitadschi fuhren nichtsdestoweniger fort, zu intrigieren und zu wühlen, bis schließlich mit der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand als Erfolg ihrer Bemühungen der Tag kam, an dem wir uns entschlossen, ihnen eine Lektion zu erteilen. Was ich, der ich mit der Erledigung der Angelegenheit betraut war, im Auge hatte, war eine kleine Strafexpedition, die die gefährliche Glut auf dem Balkan ersticken und die Sicherung des Friedens in Europa wiederherstellen würde. Wir waren aufs schwerste verletzt worden und die Strafe mußte eine exemplarische sein. Was uns zugrunde gerichtet hat, war die Empfindlichkeit Ihrer Freunde in St. Petersburg, die sich unserem Vorhaben entgegenstellten. Und es waren unsere Verbündeten, die ihre eigenen Ziele verfolgten, nicht weniger als Ihr Franzosen, die Ihr darauf bestandet, von Straßburg zu träumen. Kurzum, mein kleiner Lokalkrieg, der bestimmt gewesen war, die Intriganten und die Mörder zu bestrafen, verwandelte sich in einen Krieg gigantischen Ausmaßes, in welchem unser ehrwürdiges Kaiserreich ebenso unterging wie das Reich unseres Feindes, des Zaren, mit deni Ergebnis, daß sich in Europa das Chaos installierte. Die Geschichts schreiber — und unter ihnen namentlich Ihre Landsleute — haben für all dieses Unglück mich verantwortlich gemacht. Ich nehme an, mein verehrter Herr Kollege, daß dies nun nicht mehr geschehen wird, nachdem ja Ihre Politik in der Suezkanal-Affäre anfangs — bevor Herr Foster Dulles die Bremsen anzog — genau diejenige war, die ich mir im Sommer des fatalen Jahres 1914 zurechtgelegt hatte.

Sie sind über diese Behauptung verwundert, aber denken Sie doch ein wenig nach. Sie haben erklärt, daß Oberst Nasser durch die Inbesitznahme eines Kanals das internationale Recht verletzt habe und daß es geboten sei, ihn dafür zu bestrafen. Zu der gleichen Schlußfolgerung war ich hinsichtlich der Mörder unseres Erzherzogs gelangt, und es will mir noch immer scheinen, daß die Ermordung eines Erzherzog- Thronfolgers ein ebenso ernstes Delikt ist, wie das Wegschnappen eines Kanals. Es mag sein, daß die bürgerlichen Aktionäre der betreffenden Kanalgesellschaft anderer Meinung sind, aber Ihre sozialistische Moral müßte eigentlich in dieser Frage mit meiner aristokratischen Moral konform gehen. Auch in bezug auf das zugrunde liegende Problem sollten wir, wie ich glaube, der gleichen Ansicht sein. Nicht mit Unrecht beschuldigen Sie die ägyptische Regierung; einer subversiven Tätigkeit, dpren Ziel es ist, die französischen Territorien in Nordafrika von Frankreich loszutrennen. Im Bewußtsein überlegener Stärke benützen Sie einen geeigneten Anlaß, um gegen Ihren Feind gewaltsam vorzugehen und ihn unschädlich zu machen. Aber war mein damaliges Vorgehen nicht genau das gleiche? Die serbische Regierung betrieb eine intensive Propaganda, um unsere staatstreuen Slawen zum Aufstand zu bewegen. Sie sandte uns Terroristen, wie den Studenten Princip, ins Land, ausgerüstet mit Waffen und falschen Pässen. Sie unternahm, kurz gesagt, alles, was Oberst Nasser in Algerien unternimmt. Es war durchaus normal, daß wir auf diese Komplotte reagierten, wie es geschah, um uns Provinzen zu erhalten, von denen manche seit den Feldzügen des Prinzen Eugen österreichisch waren. Wir waren die Stärkeren; wir wollten mit einem harten Schlag unsere Zukunft sicherstellen. Was Sie gewollt und getan haben, war dasselbe; die Identität springt in die Augen. Sie rechtfertigen mich vor dem Forum der demokratischen Geschichte. Ich erwarte nun, daß auch die Herrn Ancel und Renouvin mein Lob singen werden. Es mag sogar sein, daß in einigen Jahren die Geschichtsprofessoren ihren Schülern die Aufgabe stellen werden, einen Aufsatz über das Thema „Die ParaHele zwischen der Politik des Grafen Berchtold und jener des Herrn Christian Pineau“ zu schreiben. Auf diese Weise werden wir beide in der Erinnerung der Völker und in den Alpträumen der Schuljugend eng verknüpft sein, was für Staatsmänner die

Garantie ihrer Unsterblichkeit bedeutet. Ich kann mir vorstellen, daß Ihre Glaubensbrüder, die bärtigen Sozialisten von 1914, nicht wenig erstaunt gewesen wären, hätten sie erfahren, daß ihre Nachfolger mich zum Vorbild nehmen würden. Aber die Tatsachen sprechen für sich. Ich gestatte mir, mein sehr geschätzter Kollege, Ihnen dazu meine aufrichtigsten Glückwünsche auszusprechen und, zugleich mit meinem tiefempfundenen Dank, den Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung zu übermitteln.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung