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Grazer Morgendämmerung

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Es war in den letzten Jahren soweit, daß man von Graz al« Theaterstadt bestenfalls mit einem wehmütigen, wenn nicht mit einem ironischen Lächeln sprach. Denn, von wenigen Ausnahmen abgesehen, waren die Aufführungen nur Ausdruck eines Kampfes ums nackte Dasein der Theater, um ihr physisches Dasein. Es zeigte sich aber, daß das Publikum, so unerfreulich seine Ge- • schmacksrichtungen auch oft sind, dieses „Theater um seines bloßen Daseins willen" nicht mehr ernst nahm, daß der ganze Kampf mit seinen Subsidien an musikalischen Komödien und „volkstümlichen" Sentimentalitäten ein vergeblicher war —, die Grazer Theater segelten genau so geradeaus in die Theaterkrise hinein wie alle anderen, und durchaus nicht an letzter Stelle. — Da scheint es, als ob dieser Sommer, für viele der erste, der einigermaßen wieder Kraft quell war, auch die Theater und ihre Verantwortlichen zu einer neuen Besinnung gebracht hätte: daß die Rettung nicht vom Publikum, sondern nur von der Kunst her kommen kann. Daß der Leib tot ist, wie schön er auch aufgeputzt sein mag, so er seelenlos ist. Von innen her mußte die Er neue rung kommen.

Voran ging das Landestheater unter der neuen Direktion Adolf Böhmers, besser, wie sie sich selber nennen, die Schauspieler des Landestheaters unter Adolf Böhmer. Hier ist Wille und Freude am Werk. Mit großer Begeisterung eröffneten sie ihre Spielzeit mit Shakespeares „Was ihr wollt" im herrlichen Landhaushof. Die Arkaden und Ter- , rassen wurden lebendig, alles spielte mit, der Zuseher versank in dem glitzernden, klingenden Spiel und im Wunder des Märchens. Da fragt keiner mehr nach Form und Aktualität, wenn die Welt dieses ünhisto- rischen Illyriens Vor ihm aufgeht. Wie fern und unwirklich scheint dies alles zu sein, diese liebeskranken Herzoge mit ihren Flötenspielern, diese reichen Erbinnen, die sich in Pagen verlieben, diese Trunkenbolde und klugen Narren — fern? —, wie bald erkennen wir das Märchenkostüm als lachende Maske ewiger Gegenwart, erleben wir uns selbst und die Menschen um uns in jeder dieser Gestalten, während wir mit ihnen um den Ausgang des verwickelten Geschichtchens beben, das doch in Wirklichkeit ein meisterhaftes Drama ist, nur versteckt in den bunten Kleidern des Narren. Wer noch ein wenig natürliches Empfinden mitbrachte, der konnte nach dieser Vorstellung einfach nicht diese oder jene Kleinigkeit bemängeln, wenn man bei einem späteren Überdenken auch manches auszusetzen fand. Nicht alle Darsteller waren ihren Rollen gerecht geworden, dem Anfang fehlte noch der heiße Atem des Spiels, aber Erlebnis war es, frisches Erlebnis Shake- speareschen Geistes in lachender Maske.

Taumelnder, grotesker ist „Viel Lärm um Nichts“, das das städtische Schauspielhaus drei Wochen später herausbrachte. Seine mit größter Spannung erwartete Eröffnungsvorstellung. Auch hier wird der närrischen Welt ein Spiegel vorgehalten, hier, wo Shakespeare die be.den drolligen Charaktere so liebgewonnen hatte, daß er «ie die ganze Fabel überspielen ließ, zu Helden werden ließ, die als komische Figuren gemeint waren. Daß wahrer Größe niemals wahre Güte fehlt, beweist uns gerade dies Stück, in dem Shakespeare für alle mensch liehen Schwächen und Torheiten zuletzt so ein gnädig lächelndes Verzeihen hat, daß alles in Freude und Übermut enden darf. Eine Aufführung, mit der das Schauspielhaus auf einmal aus seiner Versteinerung zu wirklichem Leben erwachte, zu lachendem, strahlendem Leben wahrer Komödie, ein fröhlicher Auftakt, an dem Zuseher und Darsteller wohl die gleiche Freude hatten.

Bewiesen diese beiden Shakespeare-Lustspiele aufs neue, daß das nervöse Suchen nach dem Zeitstück dort aufhört, wo ein wahrer Dichter zu sprechen anhebt, so zeigten auch die beiden nächsten Aufführungen dės Landėstheaters, daß Probleme die Zeiten überdauern können, wenn ein Künstler ihr Wesen erschaut. Nach dem ersten Weltkrieg hat Maurice Rostand sein Schauspiel „Der Mann, den sein Gewissen trieb“ geschrieben, keine Zeile ist veraltet, ja, wir müssen zu der erschütternden Erkenntnis gelangen, daß wir heute mehr denn je den Sinn dieses Dramas begreifen müssen. Da ist ein Mensch unter Millionen, der die Tötung des Feindes im Kriege als brennende Sünde in sich fühlt, der nicht zur Ruhe kommt in den Jahren des Friedens, bis er endlich im Hause des Getöteten durch die Tat sühnen kann, was er verbrochen; Ob freilich die vielen; die am Ende des Stückes stürmisch Beifall spenden, sich wirklich das Drama zu Herzen gehen ließen, bleibt die große Frage. Denn so manchen gab es, der den Gedanken, alle Soldaten an der Front seien Mörder gewesen, nicht tnitdenken»wollte. Wer aber länger darüber nachdachte, mußte finden, daß das Problem in viel tiefere Schichten drang, als es das Spiel zeigen konnte. Denn es klagte nicht die unwissend Gehorchenden an, sondern einer, der aus seiner eigenen Tat die Sünde des Krieges erkannt, klagte sich selber an. Erst aus der Erkenntnis wird die Schuld, zugleich aber wird dieses Erkennen der Schuld erster Wegweiser nach einer neuen Menschenordnung, Anfang zur Erlösung. Vielleicht wird es uns heute durch moderne Symbolik oder Surrealismus am Theater oft zu leicht gemacht, so daß wir hinter den einfachen, natürlichen Handlungen die großen Dinge nicht mehr gewahren wollen, am Einmaligen haftenbleiben, wo es ums Ewige geht. Dennoch traf das Werk die Herzen seiner Zuseher, und neben den immer Skeptischen gab es nicht wenige, die die Notwendigkeit der Aufführung aus vollem Herzen anerkannten.'

Es folgten schon am nächsten Abend Shaws „Helden", köstliche Entlarvung lauten Heroentums. Die tags zuvor der ernste Franzose nicht angesprochen, denen sagte es heute der lächelnde Ire in seiner Sprache. Nicht ganz auf der gleichen Linie steht Shaws Problem, und doch geht es ihm letzten Endes ums gleiche: den Widersinn des Krieges kundzutun. Wenn dennoch ein Soldat aus all den Netzen und Intrigelchien der köstlichen Komödie als Sieger hervorgeht, so ist es eben ein „Pralinesoldat", realistischer Held des ironischen Dichters. Aber im Grunde genommen, siegt auch hier das menschliche Herz, kein vom Gewissen wachgerütteltes zwar, aber eines, das begnadet ist mit der herrlichsten Weisheit: über den Dingen zu stehen. Dort, wo man eben nur mehr gut sein kann, weil böse sein — Unsinn wäre. Der suchende und der begnadete Held waren es, die wir an diesen beiden Abenden erlebten, und es war kein Zufall, daß das Geschick des einen Dramas das der anderen Komödie gewesen.

Der Publikumserfolg der „Helden“ übertraf noch den des Rostand-Dramas, wenn das Zusammenspiel auch stellenweise ein wenig zu locker war. Wenn das Landestheater den Weg einhält, den es mit seinen drei Eröffnungsstücken eingeschlagen, dann dürfen wir voll froher Erwartung sein. Halten aber auch die städtischen Bühnen ihr Versprechen, das sie mit der prächtigen Aufführung von „Viel Lärm um Nichts“ (Regie Hellmuth Ebbs) und der kurz darauffolgenden eindrucksstarken Premiere von Verdis „Don Carlos“ (musikalische Leitung Hans Swarowsky) gegeben haben, ein, dann darf die Stadt Graz endlich wieder hoffen, Theaterstadt zu werden, zu der sie aus Tradition berufen ist.

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