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Grazer Musikleben

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Als im heurigen Sommer der letzte Ton der vier „Grazer Festwochen“ verklungen war, hatte sich mit der sommerlichen Hitze eine fast beklemmende Sorge in die Gemüter derer gesenkt, die um das organische Wachsen und Gedeihen jeder echten Kunstgattung wissen. Nicht, daß etwa der erwartete Erfolg dieser ersten großangelegten Nachkriegsfestwochen sich nicht eingestellt hätte: der äußere Erfolg zumindest war imponierend und übertraf, wie man annehmen kann, sogar alle Erwartungen. Aber doch beschlich uns die immer stärker werdende bittere Gewißheit, daß viele, ach allzu viele Grazer von den Schönheiten der Konzert- und Theateraufführungen nur den Konservengeschmack der Radioübertragungen auf die Zunge bekämen, da die Kartenpreise gleich dem Thermometerstand eine schwindelnde Höhe erreicht hatten. Würden nach diesem sommerlichen Festesrausch die „Feste im Herbst“ (wenn dieses Wortspiel mit Meister Marxens orgiastischem Werk gestattet ist) ebenso glanzvoll beginnen können? Müßte nicht die notwendige Reaktion, der Rückfall in eine provinzlerische Mittelmäßigkeit eintreten, einem seelischen Katzenjammer gleich, den zu überwinden wir die dazu erforderlichen inneren Kräfte nicht haben würden?

Dies war die beklemmende Sorge, welche uns nicht loslassen wollte — und der Beginn der neuen Spielzeit schien unsere Be-fürditungen zu rechtfertigen, ja, sie sogar zu übertreffen: das Interesse an Theater und Konzerten schien fast erloschen zu sein — es gab leere und halbleere Säle, wenig Begeisterung; mit einem Wort: es wollte nicht „zünden“.

In diesen Tagen der Depression, des Des-interessements, vollzog sicK“ in uns der umgekehrte Vorgang wie zur Zeit des Jubels um die Festwochen: wir wurden uns mit' immer größerer Sicherheit bewußt, daß es von diesem Tiefpunkt nur wieder aufwärts gehen könne. Zunächst wurde freilidi eine große Hoffnung der Grazer, plötzlich aufgetaucht, rasch wieder zurichte gemacht: die Hoffnung auf Wiedereröffnung des intimen Schauspielhauses. Hörte der Musikfreund nicht schon im Geiste den alten Vorhang mit Rumpeln in die Höhe gehen, um dem in solchem Rahmen doppelt köstlichen Parlando eines Mozartschen Singspieles Raum zu geben? Was sah nicht schon der Liebhaber des guten Sdiauspieles in kleinem Rahmen für Leckerbissen: Shakespeare, Moliere, Nestroy, Raimund . . .! Nach zweimaligem Spiel war der Traum ausgeträumt, das altehrwürdige Theater bleibt Zivilisten verschlossen.

Allerorten regte sich inzwischen aber der Wille zur Tat, zum Durchbrechen der Stagnation. Und siehe da, es gelang! Schon gibt es wieder volle Häuser und Konzertsäle (wobei allerdings die Feststellung, daß nur das Gute, das Beste heute „zieht“, allen Veranstaltern zu denken geben sollte!).

Aus der Fülle der uns haftengebliebenen Namen seien herausgegriffen: Heinrich

Berg, der unheimlich fleißige und hochbegabte Pianist, der sich absoluter Werktreue befleißigt und Großes vor hat (Zyklus sämtlicher Beethoven-Sonaten, die großen Klavierkonzerte) sowie auch öfters im Rundfunk zu hören ist, Frederic O g o u s e, der romantische Musik spielte und eine große Gemeinde in Graz hat, der auch in Wien wohlbekannte Domkapellmeister und Bruckner-Interpret Dr. Anton Lippe, Max K o j e t i n 's k y, der routinierte Opernkapellmeister, dem viele schöne Aufführungen in Oper und Konzertsaal zu danken sind, Walther Schneide r-h a n, der Erste Konzertmeister des städtischen Orchesters und Primus eines gut eingespielten Quartetts, die zum Liebling der Grazer gewordene Herma Hand! (1. Koloratursängerin der Oper), welche die Wiener bald zu hören Gelegenheit haben werden, Hertha T ö p p e r mit ihrem edlen Alt, der blutjunge Komponist Walter K1 i e n, Schöpfer frischer, kleiner Kammermusikwerke, der etwas ältere Franz K o r i n g e r, dessen Lieder eine freudige Überraschung waren, Rudolf Weißhappel, dessen Violinsonate und Serenade für Streichquartet allgemeine Anerkennung fänden, das wundervoll (vor allem De-bussy!) musizierende C a 1 v e 11 - Quartett, dann Ernst v. Dohnanyi, an dessen Namen sich die Vorstellung eines einstmals hochbedeutenden Pianisten knüpft u. a. m.

Zu den bisher mit viel oder weniger Glück, laut oder still hervorgetretenen Unternehmungen und Vereinen gesellt sich nun die österreichische Kulturvereinigung, die die Reinheit und Echtheit aller Kunstübermittlung auf ihr Banner geschrieben hat. Sie will das Verständnis für das reiche

Erbe auf allen Gebieten unseres Kulturlebens erwecken und vertiefen, stößt dabei aber auch zum Beispiel mit einem „Liederabend steirischer Komponisten“ (Gauby, Hausegger, Kappel, Kolleritsch, Marx, Mojsiso-vics, Uray, Wolf, Zak) bis in unsere Generation vor.

Von ersten Grazer Künstlern bestrittene Konzerte tragen in alle steirische Städte und größere Orte wertvolles Musikgut. Dort aber regt sich es in erfreulichem Maße selbst: es werden vielfach Orchester und Musikgesellschaften gegründet, schon Bestehendes wird ausgebaut. Nicht zuletzt sei der in Anbetracht der bescheidenen Mittel überraschend guten und vielseitigen Programmerstellung des Grazer Senders Erwähnung getan. Hier wird so manche Lücke, die in den Konzertprogrammen klafft, geschlossen. Der Musikverein für Steiermark und der Alpensender sind gemeinsam am Werk, ein für ihre Zwecke brauchbares Orchester auf die Beine zu stellen, das einerseits eine fühlbare Entlastung des überbeanspruchten städtischen Orchesters (welches Oper und Operette, nebst den Symphoniekonzerten bestreiten muß!) bringen, andererseits auf eigene Aufgaben sich konzentrieren könnte. Ein nicht auf Quantität berechnetes, sondern auf Qualität erzogenes Orchester von vielleicht 60 Mann wäre etwas, was Graz neben dem hochqualifizierten städtischen (Opern ) Orchester brauchen würde. Es bleibt zu hoffen, daß diese und ähnliche Pläne einer Auffrischung des Grazer Musiklebens nicht vor dem drohenden Gespenst des Winters zu Eis erstarren oder anderen „Elementarereignissen“ zum Opfer fallen ...

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