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Grazer Sommerspielmisere

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Von der Problematik der Crazer Sommerspiele wurde an dieser Stelle schon mehrmals gesprochen. Rekapitulieren wir kurz: mit dem Aufkommen der „Festi-valitis“ nach dem Kriege fühlte man sich auch in Graz bestimmt, nach Saisonschluß noch etwas für das kulturelle Prestige der Stadt zu tun. In der Tat hat Graz ja auch einige schöne und geeignete Stätten für Freilichtaufführungen zur Verfügung. Allein — diese Grazer Festspiele, später dann ein wenig bescheidener nur nocn „Sommerspiele“ genannt, litten von allem Anfang an am chronischen Mangel einer zwingenden Idee. Es fehlte zwar nicht an interessanten Vorschlägen; bei ihrer Verwirklichung aber blieb man eben immer wieder auf halbem Wege stehen. Die Grazer selbst sind durch eine relativ reichhaltige Theater- und Konzertsaison kulturell „ausgelastet“. Man erfreut sich zwar im Anschluß daran ganz gerne an der einen oder anderen sommerlichen Darbietung (sofern man nicht schon auf Urlaub ist), ein wirkliches Bedürfnis darnach ist jedoch nicht vorhanden. Gäste von auswärts anzulocken, wurde zwar versucht; das Ergebnis hingegen entspricht nicht dem Aufwand. So hatte man sich in den letzten Jahren damit abgefunden.^ ein freundliches, doch eher bescheiden zfir nennendes Anhängsel an die Saison mitzumachen, weil es eben zur Gewohnheit geworden war.

Der schleichende Krankheitszustand der Sommerspiele verschlechterte sich heuer aber zu einer ausgesprochenen Krise. Werfen wir einen kurzen Blick auf die Reihe der Veranstaltungen. Der Höhepunkt war das Gastspiel des Old-Vic mit „Romeo and Juli et“. Die Londoner Truppe war aber gewiß nicht wegen der Grazer Sommerspiele allein gekommen, sondern weil sie sich eben geTade zu dieser Zeit in Österreich befand. — Das Grazer Schauspiel steuerte die „feierliche“ Eröffnungsvorstellung bei: es war aber beileibe keine eigens für die Sommerspiele geschaffene Aufführung, sonders- wegen des Scheiterns anderer Pläne, einfach ein Stück aus dem Repertoire (Nestroys „Haus der Temperamente“), das zuvor bereits mehrmals, ja sogar als Nachmittagsvorstellung, dem Publikum gezeigt worden und somit bestens bekannt war. Den „Sommer nachts träum“, dem heuer die Witteruns übel mitgespielt hat. sehen sich die Grazer immer wieder an, weil sie den Burggarten und seine Romantik lieben. Die Inszenierung aber läuft nun schon über ein halbes Jahrzehnt und hat während dieser Zeit einigen Staub angesetzt. Dennoch entschließt sich kein Mensch zu einer Erneuerung. Der Rittersaal des Barockschlosses Eggenberg bot sich als Schauplatz für die österreichische Erstaufführung von Alain Rene L e s a e e s „Monsieur Tu r rar et“ an. Das hätte vielleicht ein Ereignis werden können, wenn nicht Lesages bittere Satire auf die Geldleute seiner Zeit gleichzeitig auch eine etwas trockene Komödie wäre und Fritz Zecha diese „pi^ce engagee nicht als ziemlich unverbindliches Divertissement inszeniert hätte.

Der Beitrag der Oper (die Strawinskijs „Rake's Progress“ hatte bringen wollen), beschränkte sich nach mancherlei internen Schwierigkeiten auf eine durchaus unfestliche Aufführung aus dem Repertoire der „Carmen“ und die Neuinszenierung von „Samson und D a 1 i 1 a“. Die Oper von Saint-Saens mit ihren oratorien-haften Szenen, ihren Wagneranklängen, aber auch mit ihren absoluten Leerläufen, ihrer plüschenen und parfümierten Sinnlichkeit, ist so herzlich uninteressant, daß auch ein zehnmal besserer Regisseur als der von einer französischen Musikakademie herbeigeholte Professor M e d e-cin Mühe gehabt hätte, sie fürs heurige Publikum zu retten. Musikalisch war viel Bemühung vorhanden (Dirigent Gustav Czerny). die Regie jedoch versagte völlig, und das Bühnenbild war im zweiten Akt fast eine Groteske. Auch hier war also weder für ortsansässige noch für auswärtige Besucher Nennenswertes zu holen.

Bliebe denn als Positivum eine Reihe von Kammerkonzerten mit der Stimmungskulisse des Eggenberger Schlosses. Kostbare Raritäten aus Gotik und Renaissance brachte der Wiener Concentus m u s i c u s, einem erfrischenden Wirbelsturm glich das herrlich-straffe Musizieren des Slowakischen Kammerorchesters, Werke der Vor- und Frühklassik boten die „W i e n e r Solisten“ unter Böttcher, ferner waren noch das K o n z e r t ha u s- und das Weller-Quartett zu hören. Der Grazer Walter K 1 a s i n c begleitete auf dem Hammerklavier die vortreffliche Gitarristin Marga Bäumt an einem reizvollen Abend und verband sich später mit dem Meisterorganisten Franz 111 e n-berger in einem Bach-Konzert im Dom, mit dem die Sommerspiele ausklangen: Klasinc spielte hier eine der Sonaten für Violine allein (in a-moll) und Illenberger umrahmte das herrliche Werk mit Choralvariationen und der Passacaglia und Fuge in c-moll. Diese Weihestunde war vielleicht der schönste, weil tiefste Augenblick der drei Wochen, weil er in schlichter Form zur Besinnung führte.

Derlei Marksteine aber waren eben rar. Der Gesamtverlauf der heurigen Spiele müßte eigentlich auch dem ärgsten Lokalpatrioten und größten Optimisten gezeigt haben, daß es so nicht geht. Entweder es gelingt, einen stützenden und repräsentativen Gedanken als Strukturelement zu finden und diesen dann auch mutig in die Tat umzusetzen, oder man läßt es ganz bleiben. Wahrscheinlich hätten die Grazer mehr Freude an einem volltönenden, durch Höhepunkte markierten Saisonschluß — wobei zur sommerlichen Auflockerung einige Schloßkonzerte und Freilichtaufführungen noch im Rahmen der zu Ende gehenden Spielzeit dienen könnten —, als mit einer träge sich hinschleppenden, vom Zufall und den Reiserouten internationaler Ensembles diktierte Theater-und Konzerterfolge, die sich hochtrabend „Grazer Sommerspiele“ nennt.

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