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Grazer Theater

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Das Grazer Theater scheint heuer, um seine Lage zu meistern, zu einem bewährten, aber gefährlichen Mittel zu greifen: zum Virtuosentum. Das Gastspielfieber hat beide Häuser ergriffen, große Namen erglänzen als Lockmittel von den Plakaten.

Das Landestheater begann mit einem Werner-Krauß-Gastspiel in Shakespeares „Othello“. War der Charakter dieser Aufführung im wesentlichen ein repräsentativer, so griffen die beiden folgenden Schiller-Abende weitaus tiefer. „Maria Stuart“ im kleinen, intimen Rittersaal war zweifellos ein kühnes Wagnis. Aber gerade die Möglichkeiten des neuen Raumes bewiesen die Echtheit des rein Menschlichen in den Schillerschen Charakteren, die sonst oft von der großen Geste und dem vom Schauspieler noch gesteigerten Pathos der Sprache verdeckt wird. So wäre gerade diese intime Klassikeraufführung zu einem bedeutenden Ereignis geworden, hätte die Regie noch konsequenter den Schritt vom Weitausgreifenden zum innerlich Ergreifenden gewagt, hätten sich einige Darsteller nicht doch vom Pathos hinreißen lassen, und hätte endlich der Bühnenbildner im kleinen Raum weniger ausgeführt, mehr angedeutet.

Einen anderen Eindruck gewann man bei

Her Premiere der „Räuber", die die städtischen Bühnen herausbnachten. Das Jugendwerk des größten Idealisten unter den deutschen Dichtern stellt freilich an den Zuseher von heute besondere Anforderungen. Zu sehr haben wir es erlebt, wohin die Revolution der Gewalt führt, und so lebensecht uns die egoistischen kleinen Machthaber und Mitläufer wie die Spiegelbergs und Schufterles erscheinen, so lebensfremd, ja unwirklich die Gestalt Karl Moors, des Wunschhelden einer gewaltfernen vergangenen Epoche. Was die „Räuber" einer Jugend vor den Kriegen gewesen sind, sind sie heute nicht mehr. Um dennoch dem Genius des Werkes gerecht zu werden, müßte die Inszenierung mit vielem brechen, was bisher der Bühne an diesem Werke lieb gewesen ist. Diesen Schritt wagte man in Graz leider nicht, und so blieb die Sterbeszene Franz Moors als die zeitlos stärkste das größte Erlebnis des Abends.

Die Aufführung von Schönherrs „Glaube und Heimat“ (Schauspielhaus) war ein starker, eindrucksvoller Abend. Man faßte es nicht mehr als romfeindliches Tendenzstück auf. Der Reiter des Kaisers, wie er besonders in dieser Inszenierung dargestellt wurde, ist kein Vertreter der Kirche, sondern ein Gehetzter, ein innerlich Unsidierer, ein Soldat mit schlechtem Gewissen. Und die Tat, die ungeheure Tat, zu der das ganze Werk hintreibt, die Überwindung des Hasses im Besitze der Macht, ist kein protestantisches Sonderbekenntnis, sondern Verwirklichung christlicher Lehre, und zwar jenes Kapitels, das uns heute das notwendigste geworden ist.

Franz Nabls „Ein Mann von gestern“ (Baron Trieschübel) war die bisher verdienstvollste Aufführung des Landestheaters. So persönlich, so einzig auch das Schicksal des Barons ist, dem plötzlich ein erwach senes Mädchen als seine Tochter vorgeführt wird, erkennen wir doch hinter allen Menschen der Handlung die großen Schatten der Zeit: dieser frühzeitig abgedankte Bezirkshauptmann und seine Geliebte, Repräsentanten sind sie einer versinkenden Gesellschaft. Einer feinen, vornehmen Gesellschaft, die Abstand bewahrte vor allem Dunklen und Häßlichen, voll Gemüt war und doch bei allem Maß, bei allem Anstand nur die Gesetze dieser Welt, nicht aber jene der anderen erfüllte. Es war ihnen selbstverständlich, daß ihre Liebe nicht zur Ehe führen dürfe, daß sie kinderlos bleiben müßten, um die Stimmung, die leicht tragische Stimmung ihrer Freundschaft nicht zu zerstören. Ein Traum von Gefühlen war beider Leben gewesen, eine Flucht vor dem wirklichen Erfülltsein der Herzen. Ein Traum von Gefühlen — das war der Traum einer Generation, die am Rande des Abgrunds tanzte, blind gegenüber dem rasenden Weitenschreiten der Zeit. Bis es sich aus der Tiefe erhob, das andere Menschsein, das verworfene nicht romantisierende, bis es vor jene Gesellschaft trat, „um fürchterlich Abrechnung zu halten“, so wie jene Jugendgeliebte des Barons, die ihm einst ein Spiel gewesen, jetzt verworfen erscheint und doch im Grunde nur getreten ist. Zwei Welten stehen einander gegenüber, eine in Verzweiflung untergehende und eine aus Verzweiflung geborene. Mit dem Selbstmord des Barons und dem Grauen des daran schuldig gewordenen Weibes endet das Stück; was aus dem kaum erblühten Kinde wird, wer weiß es? Vielleicht leben wir alle heute sein Schicksal.

Daß das Stück sein Publikum gefunden hat, beweist, daß man es ruhig wieder wagen könnte, statt von der Gästeauswahl, von der Stückauswahl her seinen Spielplan zu gestalten.

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