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Grenzüberschreitung

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Die eigentümlichen Wechselbeziehungen von Eros und Film, geheimnisvoll genährt von Zeit und Umwelt, allgemeinen und spezifischen Impulsen, und unablässig angekurbelt von absatzlüsternen Industrien, haben in unserer Zeit zu einer erotischen Hochspannung geführt wie noch kaum zuvor, auch nicht in den bekannt lebens- und nächholgierigen Nachkriegszeiten. Zwar scheint der Höhepunkt der Produktion bereits überschritten — Sexbomben entschärfen ihre Zünder, kleiden sich züchtig und überraschen durch aarstelierisch’en Ehrgeidij und ober lundstlfleeJSriiet Filmleuten und Publikum, kündigt sich langsam 4ein allgemeiner Katzenjammer an. Aber das Sehwungfäd des Verleihs beschert uns post festum ein bis zwei Jahre nach Festspielschocks noch immer Sensationen am laufenden Band. In dieser Woche gaben sich zwei Grenzüberschreitungen die Hand, die für das Phänomen bezeichnend sind.

Man ist versucht, der französischen Romanze „Les a m a n t s“ „Die Verliebten“ das Kriterium eines tiefen, ernsten Eros zuzuteilen: der Minutenstil des Films ist nicht reißerisch und aufkeschernd, die Geschichte des jungen Mannes, der ein hoTiles, leeres, verspieltes, in einer unmöglichen Ehe dahinvegetierendes Provinzsexchen zum liebenden Weib erweckt, irgendwie glaubhaft. Trotzdem verwehren zwei Dinge eine ruhige Beurteilung des Films: einmal die völlige Verrückung unverrückbarer Normen des natürlichen Sittengesetzes, u. a. die totale Gleichsetzung ehelicher und ehebrüchlicher Liebe, zum anderen aber das hybride, meines Wissens vorher nur noch von Machaty in „Ekstase" versuchte Wagnis, die, wie sie der französische Film noch dazu in spezifisch nationaler Abart wiedergibt, intimste Vereinigung von Mann und Frau auf dem menschlichen Antlitz zu reflektieren. Damit aber entäußert, profaniert der Film eine Intimsphäre, die unantastbar ist und bleiben muß. Und ein Film, dem man gerne in der Geschichte des Films einen künstlerischen Sonderrang zuweisen möchte, verfällt eindeutiger Ablehnung, ganz gleich, in welcher Schnittfassung er dem Wiener Publikum dargeboten wird. Der Geist beherrscht den ganzen Film und damit auch die „keuschesten“ Gucklöcher.

Weniger Anspruch auf ernste Abwägung hat Otto Premingets amerikanischer Film „Anatomie eines Mordes“. Gewiß glitzern an der Oberfläche tausend witzige, gescheite Lichter. Preminger war immer ein cleverer Bühnendialogbeleuchter und ist bis heute kein Filmregisseur geworden. Er hat auch in dieser Geschichte eines Affekt-Rachemörders, der nicht „Mein ist die Rache, redet Gott“ sagt, sondern nach der zweifelhaften Vergewaltigung seiner lockeren Frau durch einen BarbJsitzer, „halb zog er sie, halb sank sie hin“, als hochausgezeichneter Koreakämpfer und strammer Offizier gleich aus allen Rohren feuert, ein brillantes Feuerwerk vor dem Barreau abgebrannt. Während die Liebe des Publikums aber der blendenden Darstellerleistung des Richters und des Anwalts gehört, hat sich Preminger in das Corpus delicti verliebt. Und — Hand aufs Herz — von zwei Stunden fünfunddreißig Minuten eine knappe Stunde über das Verschwinden und Wiederauftauchen eines Damenhöschens und über sekrete polizeiärztliche Untersuchungen zu palavern — dazu gehört schon eine große Portion unreiner Phantasie. Ein österreichisches Gericht würde die Oeffentlichkeit ausschließen — Preminger aber kämpfte gegen „Zensur“ Schwierigkeiten um die Publizität einzelner Sätze, ja eines einzelnen Wortes — „aus Prinzip", um der „geistigen und staatsbürgerlichen Freiheit" willen, o Gott, o Gott, o Gott’ Das aber ist nicht mehr Abirrung des Eros, das ist, wie der Jurist sagt, „dolus“, listige Absicht. Darum ist dieser Film viel schärfer abzulehnen als „Les amnts“. Guten Glaubens, mit einer europäischen EfstatiffühfiAig afich 'einem festlichenEreignis bei- zuwohnen, erschien der Herr Bundespräsident bei der Pretfiiere. hlan 'hätte“ Ihrfr diese Einladung unbedingt ersparen müssen.

Viel eher verdiente so hohe Auszeichnung, auch wenn nur ein König dahintersteckt, der in allerhöchstem belgischem Auftrag gedrehte Expeditionsfilm „Herrscher des Urwalds“. Mögen vielleicht einige gestellte Szenen hinter der Natur- belassenheit des „Serengeti" zurückstehen — die Reinheit und Leuchtkraft der Farbphotographie ist einzigartig, die Faszination der Geräusche von Natur und Tier unheimlich. Nie hat man Exotika wie Okapi, Kongopfau, Erdferkel und Pangolin so nahe gesehen, und bei den Gorillabildern fragt sich nicht nur der Laie fassungslos, wie sie das Objektiv überhaupt in den Griff bekam.

Ein hübsches Sportlustspiel mit Toni Sailer „Zwölf Mädchen und ein Mann“ gefällt besser als die schlagerersäufte „La P a 1 o m a“. Wildwest in Reinkultur: „Tausend Berge“ und „Keine Gnade für Tom Dooley“. Noch tragbar: „Herodes — Blut über Jerusalem", undiskutabel: „Vor 1 2.0 0 0 Jahren“.

Unter den beiden Reprisen der Woche funkelt an dem Alec-Guiness-Film „Der Sonderling“ noch zeitloser Witz, über dem österreichischen „P r o z e ß" dagegen liegt schon mehr Staub als Patina.

Der Jugendfilmklub lud in seinen Räumlichkeiten in Wien, Zeltgasse, zu einer Vorführung des westdeutschen Jugendfilms „W arum sind Sie gegen uns?“ Der in der Produktion und unter der Regie des bekannten Schauspielers Bernhard Wicki hergestellte Streifen, der an Hand einer etwas antiquierten Sozialproblemstellung, wie uns scheint das Unverständnis der Erwachsenen gegenüber den als „halbstark" gestempelten Jugendlichen schildert, fand Beifall und regte zur Diskussion an,

F i 1 m s c h a u Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich Nr. 39 vom 26. September 1959: III Für Erwachsene und'reifere Jugend: „Bobby Dqdd greift ein“, „Flucht in Ketten“ , „La Paloma“, „SOS Raumschiff“ — IV Für Erwachsene: „Achtung, BIondinen-Gangster!“, „Mord in der Sierra Nevada", „Rio Bravo“ — IV a Für Erwachsene mit Vorbehalt: „Würden Sie diese Frau zum Tod verurteilen?" — IVb Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt: „Menschen im Hotel“ — V Abzuraten; „Verbrechen nach Schulschluß.“ — = bemerkenswerte Filme.

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