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Grobe Grillparzers

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Es gibt verschiedene Formen, klassische Dramen auf der Bühne der Gegenwart zu beheimaten. Eine wirksame Form besteht darin, und hochbegabte und gewalttätige Regisseure erweisen hier ihre Meisterschaft, den mächtigen Stoff anzufallen, ihn zu pressen, zu bedrängen, mit ihm zu ringen, bis er Funken sprüht, neu transparent wird. Eine andere, vielleicht dem Oesterreichischen gemäßere Form besteht darin, sich überaus behutsam dem Werk der Vergangenheit zu nähern, in sorgfältiger Arbeit ihm nahe zu sein, so lange um Wort, Gestalt, Sinn-Bild bemüht, bis dieses von innen her aufglüht. Sanft leuchtend. Diese zweite Art wird eindrucksvoll in der Neuinszenierung von Grillparzers „Des Meeres und der Liebe Wellen“ durch Ernst Lothar im' Burgtheater präsentiert. Statuarisch, in großen, in sich ruhenden, aus ihrer innersten Kraft leuchtenden Bildern, so stellt sich hier die große Tragödie vor, die allzuoft und allzusehr „nur“ als. ein Liebesdrama gewürdigt wird! Nicht, wie sie es verdient, und hier durch die in sich ruhende Kraft des Wortes, unterstützt durch die Wucht des Bühnenbildes (Theo Otto) klar herausgearbeitet wird, als ein religiöses, ja „politisches“ Drama. Grillparzer, der aufgeklärte Christ und Josephiner, hat, vergessen wir das doch nicht ganz, hier, verdichtet, erhöht, in eine reinere, aber auch schärfere Luft erhoben jene großen religiös-politischen Themen der Zeit, die vom Zeitalter Josefs II. bis Anzengruber und darüber hinaus in der Publizistik des Tages und im Tendenzdrama eine so überaus große Rolle spielten, und heute gerade in den romanischen katholischen Ländern an der Tagesordnung sind. Die Fragen also um Kult, Kirchenrecht, Recht der Kirche, um notwendige und aufhebbare religiöse Bräuche; die Frage nach dem Sinn des Monastischen und des Zölibats. Die Frage: Wie fordert Gott vom Menschen die Leistung der Liebe? — Es gibt kaum eine religiös-politische Zeitfrage, die in „Des Meeres und der Liebe Wellen“ nicht angetönt, nicht berührt wird. Und es ist nicht das geringste Verdienst des Stils dieser Aufführung, dies sichtbar zu machen.

Ueberaus glücklich erweist sich hier die Besetzung der Rolle des Oberpriesters durch Paul Hartmann. Würde und Bürde des Hierarchen, der die Institution und das Sakrale in seiner objektivierten Form vertritt, und schweren Schrittes nicht nur über das Leben Heros und Leanders, sondern auch über sein eigenes Herz schreitet, werden in dieser verhaltenen, leidstarken Prägung des Hohenpriesters in Geist und Gestalt verkörpert. Naturgemäß wendet das Publikum sein Augenmerk dem Paar zu, dem Liebespaar. Andreas Wolf als Leander wirkt zumal im ersten Auftritt wehleidig, komisch, sentimental, was, unfreiwillig, durch die frische, frohe Art seines Freundes Nauklerus (Auer) unterstrichen wird. — Aglaja S c h m i d, also Hero, die tragende Gestalt, wirkt nicht nur als Erscheinung, sondern auch als Darstellerin. Eine Schauspielerin, die an sich arbeitet. Diese Hero ist nicht einfach ein verliebtes Mädchen, sondern eine Frau, die zu sich selbst erwacht. Und in diesem schmerzlichen Erwachen ein neues Gottes-und Menschenbild gewinnt; im Tode. — Mit Würde und Maß entledigen sich Hans Thimig, E. Kallina und H. Schmidt, liebenswürdig assistiert von Inge Brückelmeier als Janthe, der nicht dankbaren Aufgabe, als Eltern, Tempelhüter und Dienerin das Lieben und Leiden der Protagonisten zu umstehen. — Eine Klassikeraufführung, die nicht zuletzt durch die Hütung des Wortes, des wunderschönen deutschen Wortes unseres österreichischen Dichters, sich seine Stellung im Repertoire sichert. *

„An einem Tag wie jeder andere“ im Theater am Par.kring: Drei flüchtige Zuchthäusler okkupieren ein amerikanisches Einfamilienhaus, sie nisten sich darin ein. Nicht friedlich. Sie zwingen die Hausbewohner mit vorgehaltenen Pistolen, für sie Besorgungen zu machen und für Unterkunft und Nahrung zu sorgen. Und für eine Kriminalgeschichte. Das dauert zweiunddreiviertel Stunden, angefüllt mit Schlägereien und Drohungen und Kugelwechsel; nicht zu- vergessen sind die Dialoge. Zwischendurch gibt es im Zuschauerraum Langeweile und ein Gähnen und nicht viel Interesse. Trotz der Revolver, man hat sich bald an sie gewöhnt. Man weiß zuweilen nicht, warum man eigentlich dasitzt. Auch die Schauspieler wissen nicht ganz genau, wie sie die Zeit totschlagen sollen; ja warum sie dieses langatmige Stück überhaupt spielen. Sie spielen infolgedessen schwach. Nicht schlecht, eher ohne Ambition. Nur Wolfgang G a s s e r und Otto Gassner und einigermaßen Hans K a m m a u f sind mit Lust bei der Sache. Aber es ermüdet. Joseph H a y e s heißt der Autor. Ein Revolverromantiker, dem die Spannung ausging. Die Regie liegt bei Otto A. E d e r in geruhsamen Händen.

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