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Grobe und kleine Komodie

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Das Akademietheater hat die schwierige und lobenswerte Aufgabe übernommen, dem Wiener Publikum eine hier noch unbekannte Komödie T. S. E 1 i o t s, „Der P r i v a t s e k r e t ä r“, vorzustellen. In die Arbeit der Uebersetzung teilen sich Nora Wydenbruck, seit Jahren um eine Eindeutschung der Werke des englischen Dichters bemüht, und Peter Suhrkamp. Eine fast unlösbare Aufgabe; an der Sprache Eliots hängt nämlich bereits in einer sehr eigentümlichen Weise Sinn, Inhalt und Form dieses interessanten und sehr beachtenswerten Versuches. Eliot bemüht sich, die Phrasen der englischen Alltagssprache, der Sprache einer sehr scharf ura-rissenen Gesellschaft, zum Klingen zu bringen: so daß die kleine, abgegriffene Münze des Tages plötzlich hellen Klang gibt und etwas verrät von den Menschen, die sie gebrauchen als Maske, um sich vor sich selbst und vor ihren Mitspielern zu verbergen. Aus Angst, aus falscher Scham, aus Sorge, aus sehr verschiedenen Motiven. Eliot gelingt es, ein Alltagserleben, das „Gewöhnliche“ und „Banale“ transparent werden zu lassen dadurch, daß er in zarten, leisen Wendungen und Nuancierungen den Redensarten der Alltagssprache Flügeln gibt, Schwingen, die es den darob erstaunt aufhorchenden Mitspielern ermöglichen, über ihren eigenen Schatten zu sehen, morgen vielleicht sogar zu fliegen. — .Dieses sehr diffizile, sehr diskrete Spiel — die Verzauberung des Alltags, mit dem Ziele, die Menschen über sich selbst zu erhellen, so daß sie morgen besser zusammenspielen können —, stellt nun an die Ueber-setzer, an die Schauspieler auf der Bühne und an ein nicht englisches, nicht in einer Gesellschaft mit einem bestimmten Alphabet lebendes Publikum sehr hohe Anforderungen. Ein großer Teil des Premierenpublikums scheint, den Gesichtern nach zu schließen, kaum geahnt zu haben, was für ein subtiles Kunstwerk da vorgestellt wird. Das spricht nicht einfach gegen das Publikum, wohl aber für die Schwierigkeit, diese Komödie einem mitteleuropäischen Publikum vorzustellen. — Der äußere Inhalt dieses Stückes dient nur dazu, seine Gedanken aufzuhängen an einigen Kulissen. Sir Claude Mulhammer und seine Gattin Lady Elizabeth Mulhammer lernen sich zum ersten Male in ihrem Leben verstehen durch einige Zwischenfälle mit und um drei junge Menschen, die ihnen bis zum kritischen Moment, in dem ihnen der Schleier von den eigenen Augen genommen wird, als Kinder, bzw. als unangenehme junge Leute gelten. Attila Hörbiger und Alma Seidler, gegenwärtig einzig dastehend als Schauspielerin im Ensemble unserer Staatstheater, spielen dieses Ehepaar, Josef Meinrad, Inge Conradi, Hermann Thimig und Heinrich Schweiger helfen ihm, sich selbst zu finden. — Es wäre zu wünschen, daß dieses Stück Kammermusik den Anlaß zu einer Aussprache über Möglichkeiten des heutigen Theaters bilden möge.

In den Kamm erspielen wird, in der Bearbeitung eines Herrn Thaddäus Troll (ein Pseudonym), der Roman HaSeks, „Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“, als eine seltsame Komödie auf die Bühne gestellt. Haseks „Schwejk“ ist, mit dem Blut und den Tränen, die an seinet Geschichte hängen, in die Weltliteratur eingegangen; als ein Don Quijote und Till Eulenspiegel des „kleinen Mannes“, der sich vor dem Zerdrücktwerden durch übermächtige Große durch Schläue, Schwäche und Herzenseinfalt zu retten vermag. — Die dramaturgische Bearbeitung durch Max Brod und Reimann bot bereits einen sichtlich veränderten Schwejk. Der Schwejk des Thaddäus Trolf verwandelt den tragisch-dramatischen Stoff der großen Komödie in ein Lachkabinett. In diesem Sinne war es richtig, Heinz Conrads, den bekannten Kabarettisten, mit dieser Rolle zu betrauen; er macht denn auch einen Haupttreffer aus ihr. Diese Posse, die auch richtig als Wehrbetreuungstheater — Anno 1917 — aufgezogen wird, wird leider durch eine Reihe falscher Töne und schiefer Lichter arg ins Zwielicht gehalten. Was soll sich ein Ausländer (oder: ein Oesterreicher) denken, wenn er da. von der Kärntner Straße kommend, in die Kammerspiele hereinplumpst und gleich zu Anfang des Stückes ein Gewitzel über die Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand vorgesetzt bekommt, sodann, mit makabrer Grundierung, mit Marschmusik Alt-Oesterreich in „urkomischer“ Weise ins Grab taumeln sieht — in urlustigen bayrischen Gestalten (der Gendarmeriewachtmeister Hermann Erhardts) und in anderen, weniger lustigen, von denen der Bericht am besten schweigt? — Schade; es liegt nicht am Schwejk; nicht an Jaroslav HaSek; nicht an Brod. Es liegt hier, in Wien, März 1955, am Fehlen des Taktes, des guten Geschmacks.

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