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Groß war das Experiment

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Im Anhang dieses Buches ist ein Brief abgedruckt, von einem Manne aus den Kreisen der Arbeiterpriester, der sich kritisch mit dem Manuskript Dan- settes auseinandersetzt. Einige Sätze aus diesem Brief liest man am besten als Einleitung und Einführung zu diesem bedeutsamen Werk:

..Die Arbeiterpriester wissen alle (obwohl gerade sie seit Jahren ihr ganzes Leben eingesetzt haben), daß sie erst ganz am Anfang einer Entwicklung stehen, in der die Kirche sich ihres Missionsauftrages gegenüber den Völkern, den Gesellschaften, den Menschenmassen der heutigen Welt, insbesondere auch gegenüber der völligen Wandlung der Sozialbeziehungen bewußt wird. — Die Krise (die sie durchwachen) ist eine Kindheitskrise.

’ Denn die entscheidenden religiösen Probleme, welche das Leben der Arbeiterpriester dem Gewissen der Kirche gestellt hat (wir sehen dabei von ihren persönlichen Vorzügen oder Fehlern ab), sind Probleme, welche zum erstenmal kollektiv und durchgreifend, ohne Beschönigungen, ohne Umschweife und ohne täuschende Diplomatie durch den Zusammenprall der Kirche mit der modernen Welt, - des geoffenbarten Glaubens mit dem menschlichen Glauben eines großen Teiles dieser Welt gestellt werden. Man beschreibt das Leben eines Menschen nicht, wenn er erst vier Jahre alt ist .. Die der Kirche gestellten Grundprobleme sind durch das Leben der Arbeiterpriester in einer viel stärkeren Weise gezeigt worden als durch diesen und jenen hier und dort aufgelesenen Situationsbericht. Die Arbeiterpriester haben das ihren Oberen immer wieder gesagt. Die Tatsache, daß so viele Priester, die treu zu ihrem Priesteramt und dem ihnen von ihrem Bischof erteilten Auftrag standen, durch ihr Arbeiterleben — sehr zum Aergernis vieler — von Grund aus gewandelt und durchgeknetet worden sind, zeigt, wie gewaltig die Entfernungen, wie unendlich groß die Schwierigkeiten einer Fühlung-' nähme zwischen der Arbeiterklasse, wie sie ist, fühlt und denkt, und der Kirche, wie sie ist, fühlt und denkt, gerade in dieser Zeit sind.“

Nach dieser „Einleitung" im Schluß bedenke man die Worte Kardinal Feltins nach dem römischen Verbot der Arbeiterpriester, Worte, die der österreichische Verlag in seine Einführung des Werkes aufgenommen hat:

„Das Zeugnis der Arbeiterpriester hat nicht nur die Barrieren der sozialen Klassen übersprungen, sondern auch die Grenzen Frankreichs.“

Das wichtige Buch des französischen Historikers Dansette über die Geschichte des französischen Katholizismus 1926 bis 1956, von dem hier die Kapitel III bis VI vorgelegt werden, untersucht, mit oft schmerzlicher Klarheit, die Tragödie und das Experiment der Arbeiterpriester, ihre Wege zwischen links und rechts, Scylla und Charybdis, zwischen einem Integrismus, der sie von Anfang an verdammt, und einem Progressismus, der sie weit hinausführen möchte über ihre Ziele. Eine der fundamentalsten Grundlagen für dieses Drama deckt Dansette offen auf:

„Als das Experiment der Arbeiterpriester einsetzt, stellt sich bald heraus, daß die Kirche nicht vorbereitet ist, es zu führen. Das ist der Preis, der für eine lange und unleugbare soziale Unzulänglichkeit gezahlt werden muß, die trotz der lobenswerten . Bemühungen' der -Sozialkatholikenbe-š steht. Sie ahnt nichts von der Welt, in die sie diese jungen Apostel sendet Sie vermag die wirklichen Tatsachen ihres Abenteuers, das ohne generelle Ausrichtung und ohne echte Koordinierung sporadisch im ganzen lande entsteht, nur sehr ungenügend abzuschätzen.“ (S. 106.)

So gehen diese Menschen in ein weites, unbekanntes Land hinein, das voll ist von Gefahren und Chancen. Die größte Versuchung besteht darin, daß ihnen im täglichen Mitleben, Mitleiden, Erfahren des Lebens im französischen Proletariat (und hier ist das Proletariat der ganzen Erde mitzuverstehen, präsent in Paris und Frankreich durch die erdrückende Not der Afrikaner und andersfarbiger proletarischer Arbeiter) der Großkörper dieser Unterdrückten, Hungernden und Elenden an die Stelle des mystischen Leibes Christi, der Kirche tritt beziehungsweise mit diesem verschmilzt. Diese Arbeiterpriester identifizieren sich tatsächlich in einer — seit Franz von Assisi nicht mehr erfahrenen Weise — mit dem „Volk", so daß diese „Kommunion" den Abscheu und das Entsetzen ihrer Gegner erregt. Mit dem sicheren Instinkt des großen Hierarchen erklärt Papst Pius XII. am 5. November 1953 den französischen Kardinalen, die für ihre Arbeiterpriester und für die Erhaltung dieser neuen Mission als Bittsteller zu ihm nach Rom gekommen sind:

Er erklärt ihnen, daß sein Entschluß unwiderruflich sei: die Institution der Arbeiterpriester, wie sie jetzt sei, müsse verschwinden. Für den Papst sei das eine Gewissensfrage. Es gehe um die Integrität des Priestertums. „Es ist besser, daß kein Apostolat geübt wird, als daß das Priestertum seinem Stande entfremdet wird.“ (S. 239.)

Der bedeutende Papst trifft den Nagel auf den Kopf und, ohne es zu wollen, eben dadurch viele Menschen ins Herz: tatsächlich läßt das Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche, wie es sich vom 12. zum 19. Jahrhundert gebildet hat, ein solches Phänomen als Institution nicht zu: ein Priestertum, einen Klerus, der sich voll und ganz inkarniert, spirituell und im konkreten Leben, in dem Leben seiner nichtklerischen Zeitgenossen. Eben hier setzen Fragen und Aufgaben der Gegenwart und der Zukunft ein: Fragen, die eben durch die Tragödie der Arbeiterpriester als offene Fragen, als Wunden, sichtbar geworden sind. Schon zeigen die Ereignisse in China und Asien, daß das, was in einem Jahrzehnt in Frankreich da versucht, erfahren, erlitten wurde von den Arbeiterpriestern, heute und morgen der ganzen Kirche als Aufgabe und Drama bevorsteht: eine Einwurzelung im Leben unserer Zeit- und Weltgenossen, die sehr anders sind als die Menschen, die in den tausendjährigen Häusern und Gehäusen des Abendlandes heranwuchsen. Das Ende der Arbeiterpriester weist auf die Not und Notwendigkeit neuer Ansätze, neuer Experimente, neuer Mittel und Methoden hin; wobei niemand sich darüber täuschen sollte: auch hier wird es nicht um Rezepte, Programme, Aktionen gehen, sondern um das Wagnis von Menschen, die ein „neues Leben“ wagen werden: mitten unter denen, die sie, in der Kirche und außerhalb der Kirche, nicht verstehen, vielleicht nicht einmal sehen. Wichtig ist da wieder: nitht, daß sfe gesehen werden, diese Erben und geistlichen Söhne der Arbeiterpriester von gestern, sondern daß sie Same sind; der, zermalmt, in die Erde fällt, und Frucht bringt.

Friedrich Heer

Es ist nicht leicht, ein so inhaltsschweres Buch kurz zu besprechen. Ueber die ersten drei Kapitel zu schreiben bedeutete doch, heißes Eisen anrühren. Viele haben dabei ihre Feder verbrannt. Daß ein solches Buch erscheinen kann, beweist, daß bereits eine große Flurbereinigung zwischen den Naturwissenschaften und der biblischen Theologie vollzogen wurde. Beide haben die Grenzen ihrer Zuständigkeit erkannt. Die Bibel ist ein religiöses Dokument des frühen Israel. Der Verfasser nimmt dies als Ausgangspunkt seiner Deutung. Welche Antwort konnte das Israel um die erste vorchristliche Jahrtausendwende auf die Daseinsrätsel geben, woher die Welt, woher der Mensch, was ist der Sinn dieses leidvollen Lebens? Er kündet Ewiggültiges in der Bild- und Formsprache seiner Zeit. So werden die ersten drei Kapitel der Bibel zu einem tiefen „theologischen Mythus“ im guten Sinn des Wortes mit historischem Kern, weil darin die Grundwahrheiten christlicher Existenz gedeutet sind. Bei stärkerer Beiziehung ethnologischen Materials dürfte man wohl manchen „Symbolen“ größeren historischen Kern zuerkennen. 1st der Paradiesesbaum wirklich nur Sinnbild einer Entscheidung? Erinnert er nicht doch an die älteste Stufe menschlicher Kultur, an die Sammlerstufe, wo ein Baumverbot sehr sinnvoll ist? — Fließend geschrieben, ohne wissenschaftlichen Apparat, jedem an biblischer Existenzdeutung Interessierten zu empfehlen.

VENĮ SANCTE SPIRITUS. Die schönsten Texte über den Heiligen Geist. Gesammelt von Yolande d’Or messen Arsėne-Henry. Deutsche Ausgabe bearbeitet von Franz R ü s c h k e. Verlag Räber u. Cie., Luzern. 381 Seiten. Preis 18 DM.

Eine erstaunliche Blütenlese über den Heiligen Geist! Noch erstaunlicher, daß sie von einem Menschen in diplomatischen Diensten inmitten der Unruhe und den Zufällen eines Wanderlebens, wie es ein solcher Beruf mit sich bringt, eingesammelt wurde. Die Texte sind für sich selbst zeugend ohne ausweitende Erklärungen aneinandergereiht. Die ersten hundert Seiten bringen Geiststellen der Schrift, die folgenden fast 300 Seiten solche aus der gesamten theologischen Literatur, angefangen von den apostolischen Vätern bis zu den modernen Autoren. Das Mysterium des dreieinen Gottes, der sich vor allem im Ausströmen des Geistes seiner Kreatur erschließt, an Hand dieses „geistlichen Schatzkästchens“ neu zu durchdenken und zu durchbeten, wäre sicher seelischer Gewinn.

UM DAS ERSCHEINUNGSBILD DER ERSTEN MENSCHEN. Von Paul Overhage. Mit einer Einführung von Karl Rahner. Quaestiones disputatae Nr. 7. Verlag Herder, Basel-Freiburg-Wien. 106 Seiten.

Eine sehr wichtige Publikation, die bestens über den jetzigen Stand der Auseinandersetzung in bezug auf den Ursprung des. Menschen informiert. Aus der Einführung von Rahner heben wir zwei Gedanken hervor: a) Die scharfe Scheidung des Menschen in Leib und Seele ist irreführend, als ob beide getrennt existieren könnten und nicht wesentlich aufeinander zugeordnet wären. „Der menschliche Leib ist spezifisch menschlicher Leib, weil und insofern er die Verleiblichung des Geistes ist, der von der tierischen Entelechie wesensverschieden ist“ (S. 18) — b) Ob es den Paläontologen gelingt, auch an Hand von Knochenfunden diese Andersheit des Menschen zu erweisen, bleibt offen. Jedenfalls besteht das „Wunder“ der höheren Ordnung (Geistseele) nicht in der Aufhebung der Gesetze und Eigentümlichkeiten der niedrigeren Ordnung. Daher kann der Theologe und der Philosoph dem Naturwissenschaftler das Feld freigeben, ohne selber apriorische Postulate über das Erscheinungsbild der ersten Menschen aufzustellen. — Im Korpus der Untersuchung behandelt Overhage: I. Das Nebeneinander theromorpher und sapiens- tümlicher Merkmale (Anthropusformėn, Neandertaler usw.); II. das Zustandekommen des Nebeneinanders verschiedenartiger Merkmale; III. das neue Bild der biologischen Menschheitsgeschichte. Ergebnis: „Die Auffassung gewinnt immer mehr Boden und Berechtigung, daß die körperliche Entfaltung der Menschheit während des Eiszeitalters von Anfang an um einen mittleren Formtypus, um eine „forma typica“ gleichsam herumpendelte … Das Aufsehenerregende dieser neuen stammesgeschichtlichen Perspektive liegt darin, daß das Bild des Menschen im Blickfeld der Biologie immer menschlicher erscheint. An die Stelle des brutal-tierhaften Urmenschen, wie er in der Phantasie von E. Haeckel lebte, ist heute ein Menschenbild getreten, aus dessen Antlitz seit Beginn der Hauch des Geistes wehte“ (S. 78 ff.).

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