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Dietmar Grieser porträtiert die späten Lieben bekannter Künstler.

Nicht erst in unseren Tagen sind spät geschlossene Beziehungen und Verbindungen zwischen Liebenden mit einem großen Altersunterschied der Treibstoff für Tratsch und Phantasien, der Stoff aus dem unsere Seitenblick-Gesellschaft Fortsetzungsgeschichten webt.

Dietmar Grieser hat in seinem Buch "Das späte Glück" die großen Lieben großer Künstler recherchiert und einen weiteren Band für seine "Kulturgeschichte der Gefühle" vorgelegt. Und er zeigt, was immer schon war. Kein Ende der Liebe, auch wenn es aussichtslos scheint, keine Konvention und keine Grenze, die nicht bereits überschritten wurde, keine Verletzung, die nicht schon Alltag war. Grieser ist ein Meister der Miniatur, denn ihm genügen einige Seiten, um die Stimmung einer Zeit einzufangen, einige Zeilen, um mitten im Leben, oder besser gesagt am jeweiligen Ende des Lebens von Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich Heine oder Josef Roth zu stehen.

Grieser ist kein literarischer Paparazzo, der in den geheimsten Schatullen kramt und Briefe und Situationen ans Tageslicht bringt, die die Akteure als ihr Geheimnis gewahrt wissen wollten. Selbst wenn er es sein wollte, legten ihm die Geschichte und die Überlieferung Fesseln an.

Die letzte Liebe kann das Leben verlängern wie bei Heines Gesundheitsliebe oder auch das Ende beschleunigen wie bei Richard Wagner, der sich in das Blumenmädchen der "Parsifal"-Premiere 1882, die Engländerin Carrie Pringle, verliebte und, Weihespiel hin oder her, sich zu Bravo-Rufen hinreißen ließ. Nach einem Streit mit der "stillen Dulderin Cosima" über seine neue "Lieblingsblume" erlitt der Meister einen Herzanfall, von dem er sich nicht mehr erholte. Nicht nur die politische Aussichtslosigkeit des in das NS-System Verstrickten, sondern auch die Sehnsucht nach Gerda Janota mit ihrem gemeinsamen Kind und die Einsicht, dass "das verfluchte Versteckspiel nie zu Ende sein wird", dürften der Grund für Josef Weinhebers Freitod im April 1945 gewesen sein.

Griesers Bücher haben etwas von Katalysatoren, die Reaktion, die durch sie in Gang gesetzt und beschleunigt wird, heißt Interesse und der Wunsch, mehr zu erfahren und vielleicht die "Marienbader Elegie" wieder einmal zu lesen, die Goethe nach dem Ende seiner Beziehung mit der um 50 Jahre jüngeren Ulrike von Levetzow geschrieben hat, sich ein Bild von Richard Gerstl anzusehen, der an der unerfüllbaren Liebe zu Mathilde Schönberg, der Frau des Komponisten und Freundes, gescheitert ist und den Selbstmord gewählt hat, oder einfach nach neuen Publikationen Ausschau zu halten.

Griesers Bücher bergen Überraschungen und stoßen Türen zu neuen Sichtweisen auf. Kafkas verständnisvolles Verhältnis zu Kindern zum Beispiel, die Tatsache, dass Goethe zwar sechzehn Mal Karlsbad, aber kein einziges Mal Wien besucht hat, gehört hier ebenfalls dazu. Die Geschichten erschließen das Werk der Künstlerinnen und Künstler nicht neu, aber Aha-Erlebnisse sind vorprogrammiert. Oder können Sie sich Franz Kafka als Kellner und seine Geliebte - und nur durch die jüdisch-orthodoxe Weigerung der Familie verhinderte Gattin - Dora Diamant als Köchin in einem Lokal in Tel Aviv vorstellen? Über die Vorstellung dieses möglichen Neuanfangs ist dieser Traum nie hinausgegangen, den beide in Berlin 1923 geträumt haben. Wie ernst und wie nachhaltig es für beide war, kommt aus der Briefzeile von Dora Diamant aus dem Jahr 1949 hervor, die sich auch nach mehr als einem Vierteljahrhundert noch immer nach ihrem Franz sehnt. "Nun habe ich ein Kind - ohne Franz - und gehe nach Palästina - ohne Franz. Aber mit seinem Geld kaufe ich die Fahrkarte dorthin. Wenigsten so viel."

In der Zusammenstellung der Künstler und ihrer Lieben kennt Grieser keine Grenzen: ein buntes und vielleicht auch beliebiges Spektrum bietet er in diesem Band. Das erfordert Beweglichkeit beim Lesen und ein schnelles Umschalten vom Exil eines Josef Roth 1938 ins Frankreich des Jahres 1470, wo Leonardo da Vinci und sein Schüler Francesco Melzi ebenso zu Ehren kommen wie wenig später Edith Piaf und ihr um Jahrzehnte jüngerer griechischer Ehemann, der mit ihr noch zwei Mal auf der Bühne stand und sang.

Gut verpackt sind Griesers Geschichten, der bestes literarisches Fast Food bietet. Nicht die standardisierten Zutaten sind es, die zu diesem Vergleich drängen, aber der Heißhunger, der beim Lesen entsteht wie beim Verlassen einer Mc Donalds Filiale. Was beim Essen als lästig empfunden wird, muss beim Lesen jedoch als anregend klassifiziert werden.

Das späte Glück

Große Lieben großer Künstler

Von Dietmar Grieser

Amalthea Verlag, Wien 2003

271 Seiten, geb., e 19,90

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