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Großer Brochhaus — auf CD:

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So, wie die Schimmelfäden langsam den Gorgonzolakäse durchwachsen, breitet sich, von Jahr zu Jahr auffallender, ein glänzendes rundes Ding in den Hallen der Frankfurter Buchmesse aus: das Speichermedium CD-ROM. Mehr Aussteller, mehr Hallen, etwas weniger Rücher. Dies ist das Fazit der Frankfurter Buchmesse 1996. Schwer zu sagen, ob die neue Einteilung der Hallen mehr Ruhe erzeugte, ob es überhaupt wirklich stiller zuging oder bloß (dem neuen Motto des Dumont-Verlags entsprechend: „Man sieht nur, was man weiß”) dem Reobachter so vorkam.

Das Schwerpunktthema hieß diesmal Irland, Bücher irischer Autoren, Bücher über Irland waren tatsächlich allenthalben präsent. Eine neue deutsche Jonathan-Swift-Gesamtausgabe gibt es, Swifts Gulliver bewacht das Messegelände: Nicht liegend an den Boden gefesselt, wie in „Gullivers Beisen”, sondern hoch aufragend. Aber trotzdem in Fesseln. Ein Symbol für so manches in der irischen Geschichte, doch sicher unbeabsichtigt.

Ansonsten ging es international zu wie eh und je: Mario Vargas Llosa bedankte sich in der Paulskirche für den Friedenspreis des deutschen Buchhandels, die Nachricht vom Nobelpreis für die polnische Lyrikerin Wis-lawa Szymborska platzte am Donnerstag mitten in den Messetrubel und erfreute nicht nur ihren deutschen Verlag (Suhrkamp). Treffend sagte ihr deutscher Übersetzer Karl Dedecius: „Ihr Denken ist sehr kompliziert, aber ihre Sprache sehr einfach.”

Die CD-BOM dringt unaufhaltsam vor und erobert all jene Bereiche, in denen es darauf ankommt, große Textmengen für schnellen Zugriff zu erschließen. Printmedien, die auf sich halten, wirkten als Pioniere. Indem sie ganze Jahrgänge oder Teile davon auf CD-ROM anbieten, signalisieren sie Wirkung und Wert über den Tag hinaus. „Der Spiegel” vermarktet seit längerem jeden Jahrgang auf einer CD-ROM. Die „Frankfurter Allgemeine” verlegt sich auf Spezialangebote. Sie bringt wie bisher jeweils zur Buchmesse ihr blaues „Büchertagebuch” heraus, ein Statussymbol aller Bücherfreunde: es enthält zwar nur die wichtigsten der jeweils von September bis August in der FAZ gedruckten Rezensionen, trotzdem wiegt es schwer in jeder Tasche. Seit dem Vorjahr sind sämtliche Bezensionen eines Jahres auch auf CD-Rom zu haben, ferner ebenfalls auf je einer Scheibe Reiseberichte, Autotests sowie der gesamte Inhalt der FAZ-Sei-ten „Natur und Wissenschaft” der Jahrgänge 1993 bis 1995.

Mittelschwere Wörterbücher und Atlanten kann man längst in Form einer leichten CD in das entsprechende Laufwerk des Computers schieben. Bald werden wohl auch die Großlexika und Großwörterbücher das neue Medium erobern -r oder umgekehrt, es sie. Von einem elektronischen Mu-ret-Sanders (dem Giganten unter den deutsch-englischen Wörterbüchern) ist noch nichts zu hören. Die Enzy-klopädia Britannica ist bereits auf einer Scheibe verfügbar und wird dem Käufer der Buchausgabe zu kulantem Aufpreis fast nachgeworfen. Auch die Bilder sind drauf. Sie können allerdings aufgrund Größe und Druckqualität denen im Brockhaus nicht das Wasser reichen.

Wann aber wird es die große Brockhaus-Enzyklopädie auf CD-BOM geben? Nach einem Gespräch der furche mit der Pressesprecherin von F. A. Brockhaus wagen wir eine Prophezei-hung: In drei Jahren.

Nur zehn Jahre nach dem Start der 19. Auflage wurde heuer in Frankfurt der erste Band der neuen Brockhaus-Enzyklopädie vorgestellt. Über den Absatz der jüngsten Ausgabe ist nicht mehr zu erfahren, als daß sich ein solches Projekt erst bezahlt macht, wenn das komplette Werk mindestens hunderttausendmal an den Mann oder die Frau gebracht ist. Die Neuauflage wurde wegen des Zusammenbruches des Ostblocks nötig und wird schon nach etwa zwei Jahren vollständig sein. Frage an Pressesprecherin Anja zum Hingst: „Und wann gibt es die 24 Bände auf CD-Bom?” Antwort: „Auf einer CD-BOM hätten sie gar nicht Platz!” furche: „Aber doch locker!” Antwort: „Nur ohne die Bilder.” furche: „Und wie steht es mit der reinen Textversion auf CD-ROM?” Antwort: „Die wäre möglich!” furche: „Offenbar wissen Sie schon mehr. Wann also?” Antwort: „Nicht vor Fertigstellung der gedruckten Ausgabe.”

Trotz der rasanten Entwicklung prophezeitdem gedruckten Buch niemand ein baldiges Ende. Nicht einmal den Lexika und Wörterbüchern. Schon deshalb, weil nur wenige bereit wären, für eine schillernde Kunststoffscheibe soviel zu bezahlen wie für 24 dicke Bände in Halbleder mit Goldschnitt. Außerdem besteht die Gefahr von Raubkopien. Die Geräte dafür kosten weniger als ein Großlexikon. Freilich wird der Kopierschutz immer besser. Doch auch die Raubkopierer schlafen nicht. Das Marketing wird daher in Zukunft wohl die parallele Nutzung von Ruch und elektronischer Version forcieren.

Dem Papier als Verbreitungsmedium belletristischer Werke können elektronische Speichermedien erst dann Konkurrenz machen, wenn es Lesegeräte gibt, die man bequem in die Tasche stecken und jederzeit ein-und ausschalten kann. Diese Meinung vertritt Florian Brody, der Verlage in Sachen Elektronik berät: „Die CD-BOM im heutigen PC erinnert mich an die mittelalterlichen Bibliotheken, in denen die Bücher angekettet waren. Ein Buch will man überall lesen können, ohne zum Computer zu gehen und zwei Minuten zu warten, bis er hochgefahren ist.”

Die Entwicklung und Marktreife augenfreundlicher und rocktaschen-geeigneter Lesegeräte wird aber noch auf sich warten lassen. Bis dahin bleibt die CD-ROM wohl das Ding zum Nachschlagen bei der Arbeit am PC. Daher haben einige große internationale Verlagshäuser, darunter Penguin Books, ihre CD-ROM-Vor-bereitungsarbeiten vorerst wieder eingestellt. Vom Markt verdrängen wird die Scheibe oder deren Nachfolgeprodukt das literarische Buch überhaupt nicht. Brody sieht die Chance der elektronischen Speichermedien eher in der Nachfolge der billigen Taschenbücher, während man die Originalausgaben seiner Ansicht nach eher noch besser und schöner als heute ausstatten wird.

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