Großer Töchter neue Bundeshymnen-Verse

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Ein Eingriff in ein abgeschlossenes literarisches Werk, und sei es eine Bundeshymne, steht niemandem zu, auch nicht der Mehrheit eines National- oder Bundesrats.

Nicht immer, wenn Österreich etwas "auf die lange Bank schieben“ will, hat es tatsächlich wichtigere Probleme zu lösen. Diesmal ist es jedoch so. Die Umdichtungsintentionen für die Bundeshymne sind wahrlich keine wichtige Angelegenheit, sondern eine Gender-Spitzfindigkeit ärgerlicher Art. Zum besseren Verständnis: Nicht das Gendern ist übel, dagegen ist nichts einzuwenden, sondern das respektlose Umdichten. Wer je so etwas wie ein Werk verfasst oder sich wenigstens in einer ruhigen Minute Gedanken darüber gemacht hat, wird verstehen, was ich meine. Man darf über allem Eifer nicht vergessen, dass ein Dichter nicht dem Gleichheitsgrundsatz, sondern der Kunst verpflichtet ist, was nicht jede strenge Emanzipationsvertreterin mit Mandat gleich verstehen wird wollen.

Doch von vorn. Jeder Staat, der etwas auf sich hält, hat eine Fahne, ein Wappen und naturgemäß eine Hymne. Die Republik Österreich hat ihre aktuelle Bundeshymne, für die auch der erste Vers "Land der Berge, Land am Strome“ als Titel dient, durch einen Ministerratsbeschluss vom 25. Februar 1947 bekommen. Schon davor, und zwar am 22. Oktober 1946, wurde - mit ebensolchem Beschluss - die Melodie des Freimaurer-Lieds "Brüder, reicht die Hand zum Bunde“ für die Hymne bestimmt. Am Rand sei erwähnt, dass Musikwissenschaftler heute darüber forschen, ob ihr Komponist Wolfgang Amadeus Mozart oder doch Johann Baptist Holzer, einst beide Mitglieder derselben Loge, sei. Der Expertenstreit ist anhängig.

Man könnte nun behaupten, der gesamte Festgesang sei streitverfangen, denn die Hymnendebatte hat sich zumindest seit Ende Jänner 2010, als Bundesministerin Claudia Schmied bei Christina Stürmer, einer großen österreichischen Tochter, den Werbespot, die Hymne gegendert, also mit Söhnen und Töchtern, zu singen in Auftrag gab, nicht mehr beruhigt. Frühere Wortmeldungen waren jedenfalls weniger aufmerksamkeitsheischend.

"Herabwürdigung des Staates“

Das Absurdeste an diesem Wortkrieg sind wohl die unbeholfenen, schlecht gereimten und meist absichtlich stupiden Verbesserungsvorschläge für den vierten Vers der ersten Strophe, die tagtäglich in den österreichischen Boulevardblättern zum Besten gegeben werden. Zitate seien mir - sowie den Leserinnen und Lesern - wohlweislich erspart. Auch die Persiflagen und Spottversionen stammen nicht gerade von Autoren, die der Geistesblitz gestreift hat. Eigentlich müssten die fürwitzigen Wortakrobaten sogar Konsequenzen befürchten, zumal der Paragraph 248 des österreichischen Strafgesetzbuchs die "Herabwürdigung des Staates und seiner Symbole“, wozu die Hymne gehört, strafbar macht.

Das Witzigste an diesen verbalen Scharmützeln sind noch die in unregelmäßigen Abständen gezeichneten Anregungen von Manfred Deix. Bei ihm bleibt einem das Lachen wenigstens nicht im Hals stecken, wiewohl einem die hausbackenen Boulevardvorschläge leicht in die falsche Kehle geraten können.

Und noch einmal zurück. Der Ministerrat beschloss am 9. April 1946, "zur Schaffung einer neuen österreichischen Volkshymne an die breiteste Öffentlichkeit heranzutreten“. Ein Preisgeld von 10.000 Schilling wurde ausgelobt. Damals nicht nur eine runde, sondern auch schöne Summe. Teilnahmeberechtigt waren, was im Nachhinein interessant klingt, zumal dadurch ganz junge Talente ausgeschlossen waren, "bei der Nationalratswahl 1945 wahlberechtigte Personen“. Einzusenden, und zwar an die Kunstabteilung im Bundesministerium für Unterricht, war "eine komplette Hymne“ mit Melodie. Außerdem stand in der Wiener Zeitung vom 11. April 1946, in der der Ausschreibungstext veröffentlicht wurde, dass "der Autor bzw. die Autoren sämtliche Urheberrechte an der Dichtung bzw. Komposition dem österreichischen Bundesstaat abtreten“.

Die Wettbewerbsteilnahme war rege, die Qualität der meisten Arbeiten eher bescheiden. Wie auch immer, die Kulturabteilung hatte 1800 Einsendungen zu bearbeiten, wovon 29 ins Finale gelangten. Bei den vorgeschlagenen Melodien erreichte das "Bundeslied“ aus der "Freimaurerkantate“ die höchste Punktezahl. Zum Text hieß es in der Wiener Zeitung vom 23. Oktober 1946 aus dem Ministerrat: "Da die zu dieser Melodie im Preisausschreiben eingereichten Texte den Anforderungen noch nicht voll entsprechen, wird an namhafte Lyriker mit der Bitte um Textierung … herangetreten werden.“

60 Jahre lang Ruhe

Die namhaften Lyriker von damals waren Paula Grogger, Alexander Lernet-Holenia, der heute unbekannte Sigmund Guggenberger und Paula Preradovic. Die eingesetzte Jury entschied sich für die Dichtungen von Guggenberger und Preradovic, der Ministerrat letztlich, wie allseits bekannt, für das "Land der Berge, Land am Strome“, nicht ohne "einige kleine textlichen Änderungen“ vorzunehmen.

Am 7. März 1947 erklang die "Österreichische Bundeshymne“ erstmals im Radio und am 1. Juli 1947 wurde sie im "Verordnungsblatt für den Dienstbereich des Bundesministeriums für Unterricht“ bekanntgemacht. Dann war über 60 Jahre - Ruhe.

Die Ruhe stören seitdem genderwillige Geister, die nicht verstehen wollen, welchen Schutz ein (Kunst-)Werk gemeiniglich genießt. Und stellen Sie sich vor, man würde heute hergehen, und Goethes "Faust“ auf geschlechtsneutral, frauenfreundlich oder sexualübergreifend umdichten! Eine literarische Katastrophe. Oder noch besser: Man würde Kafkas Personal in der Etage der Hauptfiguren, die allesamt männlich sind, auf halb Männlein, halb Weiblein literarisch umoperieren: "Jemand musste Josefa K. gewandelt haben, denn ohne dass sie etwas Böses getan hätte, erwachte sie eines Morgens nicht mehr als Mann.“ Ja, Sie, die Leserin oder der Leser, haben recht: Diese "Verwandlung“ wäre lächerlich!

Ich denke, diesem - nicht wahrlich brennenden - Problem könnte man durch zwei aktuelle Preisausschreiben beikommen. Zuerst sollte die Bundesregierung für den Text einer neuen "Österreichischen Bundeshymne“ ein Preisgeld in der Höhe eines Staatspreises, das sind derzeit 30.000 Euro, ausschreiben und "namhafte Schriftstellerinnen und Schriftsteller“ zur "Textierung einer beide Geschlechter und alle Volksgruppen gleichbehandelnden Hymne“ einladen und in den Bedingungen anführen, dass diese mit der Teilnahme akzeptiert werden, wobei eine wichtige die Regelung der Urheberrechtsfrage sein müsste. In Österreich wäre es ein Leichtes, eine oder zwei Handvoll einladungswürdige Autorinnen und Autoren zu finden.

Olga Neuwirth statt Mozart (?)

Der zweite Wettbewerb sollte sich an Komponistinnen und Komponisten richten. Auch hier hätte unser Land kein Problem, kompetente Künstlerinnen und Künstler - von Olga Neuwirth auf- und abwärts - zu finden.

Das Land könnte sich dann erstens der Kulturförderung und zweitens einer sogenannten modernen beziehungsweise die zeitgeschichtliche Entwicklung berücksichtigenden Hymne rühmen. Und drittens wäre man nicht dem Kulturbanausentum anheim gefallen, das einen unentschuldbaren Eingriff in ein Kunstwerk zulässt. An einem fertigen Werk hat niemand herumzuschnipseln, auch nicht ein Parlament. Da seien einerseits das Urheberrecht und andererseits ein geziemender Anstand vor.

Aber: Der letzte sowie allerletzte Stand? Der Oberste Gerichtshof hat mit seiner Entscheidung vom 15. Dezember 2010 (4 Ob 171/10s) zur Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes beider Geschlechter eine Änderung des Hymnentextes für zulässig erklärt. Und: Der Text der Bundeshymne soll am 1. Jänner 2012 nach einer "parteiübergreifenden“ Gesetzesinitiative um die "großen Töchter“ ergänzt werden. Sollte dies tatsächlich Gesetz werden, kann man(n) nur hoffen, dass die Umdichtungsanregerinnen mit den "großen Töchtern“ nicht (nur) sich selber meinen.

Der Autor ist Jurist, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler

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