Gute Geschäfte und schlechte Geschenke

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Ein Geschenk sagt viel über den Schenkenden und sein Verhältnis zum Beschenkten aus. Der Hintergrundgedanke zählt längst mehr als der Geldwert.

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Ein Geschenk sagt viel über den Schenkenden und sein Verhältnis zum Beschenkten aus. Der Hintergrundgedanke zählt längst mehr als der Geldwert.

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Vermutlich ist das Schenken so alt wie die Menschheit. Schon früh haben sich die Menschen den zweckdienlichen, manchmal überlebenswichtigen Effekt des richtigen Präsents zunutze gemacht: Ich gebe eine Gabe oder Dienstleistung an jemanden weiter, von dem ich etwas will - in der Hoffnung, der andere stehe nun in meiner Schuld. Vor gar nicht allzu langer Zeit noch war es in der Politik akzeptiert, ja erwünscht, bei der Visite üppige Mitbringsel als Friedensangebot oder als Signal des gegenseitigen Wohlwollens zu überreichen.

Ob sich das Phänomen des Schenkens gar bis ins Tierreich ausweitet? "Schwer zu sagen", meint Ethnologie-Professor Wolfgang Kaschuba von der Humboldt-Universität Berlin. "Sobald man ein Geschenk als Investition betrachtet, verliert es ja den eigentlichen Geschenk-Charakter. Wenn ein Kind seiner Mutter zu Weihnachten ein Bild malt und dafür einen bestimmten Wunsch erfüllt bekommt, kann man debattieren, ob es sich um ein Geschenk oder ein Geschäft handelt." Im Tierreich sei das Schenken überall dort zu finden, wo die erfolgreicheren Jäger den Schwächeren - also nicht nur der eigenen Brut - etwas von der Beute abgeben.

(Zu?) viele Optionen

Geschenk ist also nicht gleich Geschenk. Erst im 20. Jahrhundert löste das Luxusgeschenk in breiten Schichten Funktionsgeschenke wie Lebensmittel ab. Handverlesen, originell, persönlich soll es heute sein, am besten noch mit einem Augenzwinkern versehen und mit einer Prise Exotik gewürzt. "Dieser hohe Anspruch hat sich erst mit dem breiten Wohlstand in den Siebzigerjahren entwickelt und eröffnet ein schier unendliches Spektrum an Geschenksoptionen", weiß Kaschuba.

Durch das Geschenk will man zeigen, dass man weiß, wie der andere tickt: "Heute ist nicht mehr das Breitband-Antibiotikum gefragt, sondern eine spezifische Idee, die sich auf die Identität der beschenkten Person bezieht." Diese Individualisierung des Geschenks wird auch von der Geschenkindustrie forciert - wie auch der Appell an das schlechte Gewissen. Denn wenn wir Stress haben, geben wir erwiesenermaßen mehr Geld aus. "Also erinnert uns die Industrie an den Valentinstag oder an Weihnachten und macht Vorschläge, wie man noch individueller schenken könnte", sagt Kaschuba.

Mit der Wahl des Geschenkes drückt man auch seinen eigenen Geschmack aus. "Je ähnlicher sich Schenkende und Beschenkte sind, was Alter, Milieu und Geschlecht betrifft, umso höher sind die Erwartungen an ein passendes Geschenk. Je verschiedener die Betroffenen, mit umso mehr Nachsicht kann man rechnen", meint Kaschuba. Durch die Qual der Wahl empfinden viele das Schenken zunehmend als Belastung - oder gar als überflüssig, weil sich die meisten Geschenksartikel wie Bücher selbst leisten können.

Eigennütziges und Selbstloses

Kein Wunder, dass Bargeld und Gutscheine laut der eBay.at-Weihnachtsstudie 2014 den österreichischen Wunschzettel anführen. Zeit und Zuwendung zu schenken ist eine weitere zeitgeistige Alternative. Ebenfalls im Trend liegt "Self-gifting": Darunter verstehen die Amerikaner das sich selbst Beschenken, das mit der wachsenden Anzahl von Singles einhergeht. Im Deutschen ist weniger schmeichelhaft von "Ego-Shoppern" die Rede. Oft handelt es sich um Impulskäufe, passend zur Werbebotschaft, man sei es sich doch wert und müsse sich etwas gönnen. Und dann gibt es noch jene nicht ganz selbstlosen Geschenke, von denen der Schenkende ebenso profitiert wie der Beschenkte, etwa Reisen oder Utensilien für die gemeinsame Wohnung.

Auch kursieren immer öfter selbst erstellte Online-Wunschlisten, mit denen man in sozialen Netzwerken seiner Umwelt mitteilt, welche Artikel alle als Geschenke in Frage kämen. Ausdruck eines narzisstischen Exhibitionismus? "Naja schon, damit verlangt die Person ja, dass sich alle anderen diese Liste anschauen", meint Kaschuba. Diese Praxis erinnere obendrein an die Aussteuer-Liste des gehobenen Bürgertums, die im nobelsten Warenhaus der Stadt auflag, um den Hausstand zu vervollständigen - mit dem Unterschied, dass es anno dazumal so eine Liste nur einmal im Leben gab, nämlich zur Hochzeit.

Wer hingegen für andere etwas tun will, dem bieten die karitativen Organisationen diverse Möglichkeiten: Von der Christkindlbrief-Aktion der Caritas, wo man einen Wunschbrief mit Adresse erhält und sich als Christkind versuchen kann, über den Spendengutschein des Roten Kreuzes, wo der Beschenkte selbst entscheidet, welches Projekt er unterstützt, bis zum Webshop der Kindernothilfe, wo man schon für fünf Euro ein Küken für notleidende Kinder in Entwicklungsländern kaufen kann.

Keine Erfolgsgarantie

Im westlichen Kulturkreis tun sich Menschen mit dem Schenken am leichtesten, wenn sich Geben und Nehmen in etwa die Waage halten. "Sonst schämen wir uns, weil wir uns selbst weniger Mühe gegeben haben oder wir ärgern uns, wenn wir weniger wertvolle Geschenke erhalten", so Kaschuba. Schließlich kennt fast jeder das unangenehme Gefühl, die Freude über ein unliebsames Geschenk vorzutäuschen -um später beiläufig nach der Rechnung zu fragen. Um diese Situation zu meiden, besteht die Möglichkeit des "Nichtangriffspaktes": Man versichert sich im Vorhinein, sich nicht beschenken zu wollen - auch keine "kleine Überraschung".

Die Wahrscheinlichkeit, das perfekte Geschenk zu finden, ließe sich steigern, wenn man das gesamte Jahr über eine Art Geschenkbarometer im Kopf hätte: "Am besten, man notiert sich, sobald wer andeutet, was er gerne mal machen würde oder was ihm gefällt", empfiehlt Kaschuba. Bleibt das Restrisiko, dass sich der Beschenkte den Wunsch bis Weihnachten selbst erfüllt hat - oder seine Meinung geändert hat. Obendrein ist jedes Geschenk ambivalent: Auch wenn es von Herzen kommt, kann der Geschenksempfänger alles mögliche hineininterpretieren. Nicht einmal der perfektionistischste Ansatz garantiert also Erfolg. Wie es mit Beziehungen halt so ist.

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