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Guter Mensch noch nicht im Museum

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Gute Menschen sind rar und so selten wie wertvolles chinesisches Porzellan. Doch um sie erleben zu können, müssen wir nicht wie Commissario Brunetti ins Museum von Venedig pilgern. Man kann ihnen auch in Büchern begegnen. In zwei Neuerscheinungen wird diese sonderbare Spezies vorgeführt. Daß dies durchaus glaubwürdig geschieht und die handelnden Personen als reale Möglichkeit unseres Lebens erscheinen, macht die Qualität der Schilderung aus. Bei Commissario Brunetti, der wie seine Erzeugerin, Donna Leon, in Venedig lebt und ermittelt, haben wir es geahnt. Seine Erfolge sind bislang an fünf Fingern abzuzählen. Das fünfte Buch „Aqua alta" läßt alle Zweifel schwinden. Brunetti ist ein guter Mensch.

In diesem Fall von Kunstschmuggel und Intrigen muß der Familienmensch Brunetti auch ein Museum besuchen und macht Bekanntschaft mit den überlebensgroßen Terrakottastatuen chinesischer Soldaten. Der Eindruck ist für ihn unvergeßlich, „und er wußte noch, wie er reglos davor gestanden und sich das Gesicht angesehen hatte, aus dem Treue, Mut und Ehre sprachen, Zeichen eines gemeinsamen Menschseins, das zwei Jahrtausende und die halbe Welt umspannte." Diese Ideale sind nicht mehr gefragt, höchstens pervertiert im Ehrenkodex der Mafia. Diese und die Ausläufer in die ehrenwerte Gesellschaft sitzen immer im Trockenen, auch wenn das jährliche Hochwasser die Stadt überflutet. Der Kampf gegen das Verbrechen ist eine aussichtslose Sache, doch Brunetti ist noch nicht verbittert, er hat noch Gefühle und hegt keinen Haß. „Jeder Schmerz steht für sich allein. Es fällt ihm schwer, persönlichen Haß für einen Mann zu empfinden, den er zuletzt laut weinend in den Armen eines Polizisten gesehen hatt*, der nur darauf bedacht war, den Mann die Leiche seines Sohnes nicht sehen zu lassen."

Wir wissen, Brunetti hat noch ein langes Leben vor sich, bald werden wir beide Hände brauchen, um seine Bemühungen um Gerechtigkeit zählen zu können, bald werden wir alle Gassen Venedigs kennen, doch wird uns dort dank Donna Leon nicht langweilig werden.

Unspektakulär ist auch das Ende des neuen Bomans des Italieners Antonio Tabucchi „Der verschwundene Kopf des Damasceno Monteiro". Die deutsche Übersetzung des Romans, der in Porto spielt, kam gerade zum Portugal-Schwerpunkt der Frankfurter Ruchmesse zurecht.

Gute Menschen sind auch in dieser Geschichte Mangelware. Der Reporter Firmino, der sich lieber mit Literaturtheorie beschäftigen würde, muß den Fall einer kopflosen Leiche recherchieren. Mit seinen Rerichten macht die Zeitung ein tolles Geschäft, die Geschichte ist spektakulär und am Ende wird klar, daß die Polizei in den Mord verwickelt ist.

Trotz der Toten, trotz der anonymen Anrufe, trotz der Sensationspresse scheint der Mord und dessen Aufklärung nicht das zentrale Thema zu sein. Zu emotionslos wird erzählt, die Spannung schlägt keine Schaumkronen. Es geht um einen unterirdischen Strom, der in der Wohnung des Anwalts Don Fernando für den Leser sichtbar wird. Es geht nicht darum, was man tut, sondern wie man es tut. Don Fernando, nach dem massigen, liebenswerten Schauspieler Charles Laughton kurz Loton genannt, ist exzentrisch, kultiviert und reich genug, um für seinen Kampf für die Armen kein Geld zu nehmen und weiß, daß es in diesem Kampf immer nur Teilsiege gibt. Lotons Botschaft lautet, daß wir im Alltag nicht auf den Sinn des Lebens vergessen sollen: „Millionen Sternennebel, und wird beschäftigen uns hier damit, daß man Elektroden an Genitalien festmacht." Ob der Polizeichef verurteilt wird, ist beinahe gleichgültig. Vom philosophischen Plädoyer Lotons erfahren wir nicht in einem spannenden Hollywood-Finale, sondern nur bruchstückhaft, weil Firminos Recorder nicht funktioniert. Jeder ist gezwungen, den verstümmelten Text selbst zu ergänzen. Ein Auftrag, die unterirdischen Ströme aufzuspüren und vielleicht aus ihnen eine Kraft zu schöpfen, die in einem fast schon banalen Bekenntnis zur Menschenliebe gipfelt. Loton zu Firmino, dem er eine neue Kronzeugin, einen Transvesti-ten, vermittelt, der den Mord und die Verstümmelung selbst gesehen hat: „Sie ist ein Mensch, sagte er, denken sie daran junger Mann, sie ist vor allem ein Mensch... versuchen Sie vorsichtig mit ihr umzugehen, mit großem Takt, Wanda ist zerbrechlich wie Glas, ein falsches Wort, und sie bricht in Tränen aus."

Wm ACQUA ALTA

COMMISSARIO BRUNETTIS FÜNFTER

H Von Donna Leon S8 Diogenes Verlag, Zürich 1997 371 Seiten, geb. öS 285,-

DER VERSCHWUNDENE KOPF DES DAMASCENO MONTEIRO

Von Antonio Tabucchi

Carl Hanser Verlag, München 1997

251 Seiten, geb., öS 291,-

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