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Nicht recht überzeugend gerät Christoph W. Bauers Roman zur Stadtgeschichte Innsbrucks.

Von Christoph W. Bauer lagen bisher fünf schmale Bücher vor, allesamt sprachlich eigenwillig, formal Genregrenzen sprengend - beim Band "fontanalia", der sich als Leporello präsentiert, sogar buchtechnische - und mit genialen Titeln versehen. "Aufstummen" nannte er etwa, "verstummen" und "aufbegehren" überblendend, seinen artifiziell komponierten Abgesang auf eine totgelaufene Beziehung, der einen Rezensenten mit Formulierungen wie "gekonnt spielerische Sprachdichte" und "wortkarge Eloquenz" ordentlich ins Verquaste abgleiten ließ.

Sehr konventionell

"Im Alphabet der Häuser" ist Bauers bisher umfangreichstes Buch und sprachlich wohl das konventionellste. Als Wahl-Innsbrucker wollte sich der 1968 in Kärnten geborene Autor offenbar seinen "Roman" dieser Stadt erschreiben und vertiefte sich in das Studium der Tyroliensia, wie das umfangreiche Literaturregister im Anhang zeigt.

"Ein Haus bekam ich vor die Nase gesetzt, ein Haus ums andere, bis mein Blick zugemauert war und ich eine Geschichte erfand, um etwas sehen zu können, sagte er, schaute mich unverwandt an." So hebt der Roman an, und das fehlende "und" zwischen den beiden Verben der Erzählebene lässt vermuten, dass nur imaginativ zwei Figuren in eine Innsbrucker Bar gestellt werden, um den Erzählvorgang in Gang zu setzen. Die belesene Figur erzählt Geschichten auf Geschichten. Die Funktion seines Gegenübers erschöpft sich wie in den klassischen Lebensbeichten auf das Zuhören; mit Zwischenfragen - die mitunter etwas einfältig geraten - und kurzen Einwürfen hat es von Zeit zu Zeit unter Beweis zu stellen, dass es noch Ohr ist und also weitererzählt werden kann. Der Geschichtenerzähler weiß, dass er viel verlangt, vom Zuhörer wie vom Leser, deshalb wechselt er gegen Ende hin das Erzählmodell und verwandelt das lauschende Gegenüber in einen teilnehmenden Beobachter der Szene im Innsbruck der Gründerzeit.

Doch die Erzählkonstruktion wirkt aufgesetzt, zumindest als Nicht-Innsbrucker folgt man dem Geschichtenstrom nur mühsam, auch wenn Bauer versucht, der konkreten Lokalhistorie europäische Stadt- und Kulturgeschichte einzuschreiben. Schließlich bringen "Zuwanderer die Städte zum Blühen" und auch die Tiroler Landeshauptstadt verdankt ihr Gesicht zu einem guten Teil immigrierten Talenten der Baukunst und des (Kunst)Handwerks. Außerdem traten historische Entwicklungen und Katastrophen in vielem europaweit auf. Dass etwa Ludwig der Brandenburger im 14. Jahrhundert in Innsbruck durch Gratiszugang zu Flusssteinen die Steinbauweise beförderte, war eine übliche Maßnahme im noch ungelösten Problem der großen Stadtbrände.

Blinde Flecken

Bauers "Reisen in die Häusergeschichten" erzählen von ihren Besitzern und Bewohnern und aus den konkreten Familienschicksalen, aber auch aus Reflexionen über Leerstellen und blinde Flecken entstehen kulturgeschichtliche Schlaglichter vom Leben im Mittelalter, vom Stadttratsch zur Zeit Maximilians, von fahrlässigen Türmern, hygienischen und medizinischen Vorstellungen anno dazumal, vom Beginn der Verwaltung der Armut mit Bettlerrichtern und Almosenkassen, von der Vertreibung der Wiedertäufer, Hexenverfolgungen, der Verpflasterung der Stadt durch Zuchthausinsassen als "erstem unfreiwilligen Verschönerungsverein Innsbrucks", von antisemitischen Ausbrüchen quer durch die Jahrhunderte, von Prostitution und Hinrichtungen, von Pestepidemien und der Barockisierung der Stadt, von Kaffeehäusern und der ersten Druckerei, von den Napoleonischen Kriegen und den Mandern des Andreas Hofer. Die geraten allerdings so kurz wie die Südtirol-Frage, beides sind vielleicht Themen, die nur ein Eingeborener so recht durchblicken kann.

Während die Abschnitte zu Liberalismus, Industriegeschichte, Erstem Weltkrieg und Zwischenkriegszeit eher dünn geraten sind, wirkt das Kapitel über die NS-Zeit monumental, wenn auch sprachlich etwas unbeholfen. Die Aneinanderreihung der Willkür- und Gewaltakte von Verfolgung, Arisierung und auch Momenten des Widerstands verleiht den Opfern nachträglich Gesicht und Lebensgeschichte. Über das Weiterwirken der Arisierer und Akteure des NS-Regimes nach 1945 lässt Bauer keinen Zweifel offen, auch wenn er hier mitunter auf Namennennungen verzichtet. Den Innsbruckern werden die genauen Verortungen der zugehörigen Häuser im Stadtraum die Rätsel leicht lüften, für den Rest der Welt ist das Modellhafte der historischen Ereignisse nicht nur in der Frage Faschismus evident. Trotzdem kann Bauers Projekt sprachlich und von der Präsentationsform her nicht recht überzeugen.

Im Alphabet der Häuser

Roman einer Stadt

Von Christoph W. Bauer

Haymon Verlag, Innsbruck 2007

120 Seiten, geb., € 19,90

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