6659758-1959_51_06.jpg
Digital In Arbeit

HANS URS VON BALTHASAR / DENKER DER OFFENEN KIRCHE

Werbung
Werbung
Werbung

ln Basel, am Münsterplatz, neben dem ehrwürdigen Münster Kaiser Heinrichs IL, in dem Erasmus von Rotterdam bestattet ist, in demselben Hause, in dem Carl ]. Burckhardt geboren wurde, hat Hans Urs von Balthasar sein Domizil gefunden. Die westliche Welt, vorab Frankreich, Spanien und der angelsächsische Raum kennt ihn als einen der bedeutendsten lebenden Theologen unserer Zeit, Im Raum deutscher Sprache sind den Kennern europäischer Spiritualität einige Dutzend seiner Schriften bekannt, kennt ihn ein weiteres Publikum durch seine Uebertragungen Clau- dels, der großen Spanier, und die Bücher des freundschaftlichen inneren Zwiegesprächs, die er Georges Bernanos, Reinhold Schneider, Karl Barth und Martin Buber gewidmet hat. Oesterreich ist er durch Vorträge und Vorlesungen, einige in Wien und Salzburg erschienene Arbeiten bekannt. In dem „Kleinen Lageplan zu meinen Büchern“, den er selbst 1955 anläßlich seines fünfzigsten Geburtstag es schrieb, bekennt er in Erinnerung an sein erstes Werk eine Frucht seiner germanistischen Studien in Wien („Apokalypse der deutschen Seele“, drei Bände 1937 bis 1939): „In Goethe liebe ich den späten Aristoteliker, dessen unbeirrbare Objektivität sich sogar um Tasso und Faust schloß und mit ihnen fertig wird, alles Beben der Seele, alle Resonanz der Tiefe dazu benützt, das Preislied der Seienden gerechter, gültiger zu gestalten — und so wird mich auch nichts von Mozart und von den höchsten Schöpfungen Haydns zu scheiden vermögen, von dem immer neuen schrecklichen Erlebnis, daß es Dinge gibt, die zu schön sind für unsere Welt.“ Schönheit: Schönheit der Welt, die vergänglich ist und die doch dem Kosmos zugehört, der offen ist: der Erlösung, der Verwandlung zu. Schönheit: wer hat sie inniger bedacht, reiner geschaut, größer geahnt als die Griechen? Hans Urs von Balthasar, der am 12. August 1905 in Luzern aus einem alten Patriziergeschlecht der Innerschweiz geborene Theologe, Denker und Seelsorger, hat, wie kaum einer in unse rer Zeit vor ihm, die Denkmacht der Griechen beschworen, um in ein eng, timid, ängstlich und banausisch gewordenes, ich- verliebtes und arg rechenhaft gewordenes kleineuropäisches Christentum den großen Sturmwind hereinzubitten: Wind des Pneuma, des Heiligen Geistes. Macht die Tore auf,

öffnet die Fenster der Herzburg; laßt Gott- Geist herein, macht euch auf. Abhold jedem Revoluzzertum und jeder, gerade auch jeder geistlichen Demagogie und Propagandlstik, denkt dieser stille, leise Denker zunächst und immer wieder die großen Gedanken der großen Griechen nach: „Geist und Feuer“ (so heißt seine Auswahl und Uebertragung aus Origenes). Die großen griechischen Väter der Kirche, Origenes und seine beiden Schüler Gregor von Nyssa und Maximus Confessor, haben Kosmos und Kirche im Advent ge-

schaut: der Prozeß des Lebens, aller Wirklichkeit ist ein Prozeß des Werdens, des Wachsens, des Geistes, der Liebesmacht des dreifältigen Gottes. Man hat des öfteren mit Recht darauf hingewiesen, daß Hans Urs von Balthasar ein Denker der Begegnung von Kirche und Welt, von Kirche und Kultur, von Kirche und Zeitgeist ist. Dies gilt es richtig zu verstehen: nicht um Denkspiele geht es ihm, um listige Anempfindungen, sondern um ein Denken Aug in Aug mit den großen Experimenten des prometheischen europäischen Geistes, lange vor Nietzsche und bis über Heidegger hinaus, im Angesicht der Offenbarung, schöpfend aus den Quellen der griechischen Gottesfreunde.

Fundamentaltheologe: Wenn dieser Name einen Sinn hat, dann steht er Balthasar zu. Dieser aller lockenden „Oeffentlichkeit“ abholde Denker und Beter flieht jedoch nicht vor den heißen Eisen, die heute in der Kirche und Christenheit dunkel-glühend in der Nacht leuchten. Was er selbst Bernanos und Reinhold Schneider, dem lieben Freunde, nachsagt, daß hier zugegen sei „ein in der katholischen Kirche heute etwas selten gewordener Mut, die Wahrheit nicht nur zu denken, sondern sie unverbittert zu sägen“, gilt für ihn selbst. Da er es für unvereinbar mit seiner innersten Berufung hielt, hat er sich 1950 in Freundschaft von dem Orden getrennt, dem er angehörte und dessen Geistigkeit er selbst miterneuert hat: von der Gesellschaft ]esu. Menschen zu bilden, „mitten in der Welt, ohne seinen Posten zu verlassen, den Räten ]esu zu folgen“, ist sein Auftrag. Seine Ueberzeugung: „Die Einheit von Gehorsam und freier Verantwortung, schlicht dargelebt, wäre eine der fruchtbarsten Grundlagen frisch erblühenden theologischen Denkens in der Kirche und über sie — wenn es überhaupt im Plan der Vorsehung liegt, der Kirche der nächsten Zukunft viel Theologie zu schenken und nicht eher neu im Heiligen Geist den ,Erweis von Geist und Kraft‘ — mitten in der Welt und nicht von der Welt.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung