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Harte Salami weiches Geld

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Jeder fünfzigste ausländische Tourist, der im Urlaub sein Haupt auf einem österreichischen Kissen zur Ruhe bettet, kommt aus dem Osten. Zwar können — als Folge des internationalen Tourismus-Booms — die Gäste aus dem Osten nicht mehr annähernd so stark in unseren FremdenverkehrsÄtatistiken in Erscheinung treten wie vor dem zweiten Weltkrieg, aber auch die Zeiten, in denen sie als Quantite negligeable betrachtet werden konnten, sind vorbei. Sie kommen freilich mit schmaler Börse. Dafür nicht selten mit einer Stange Salami oder ein paar Gegenständen aus Bleikristall, um das' Reisebudget aufzubessern.

Das Geschäft mit den Osttouristen ist ein Geschäft mit eigenen, mitunter exotisch anmutenden Bräuchen und überdies ein krisenanfälliges Geschäft. Der politische Wettersturz in der CSSR etwa führte zu einem einschneidenden Rückgang der Besucher aus der Tschechoslowakei. Kamen immerhin noch nach dem Einmarsch in den ersten vier Monaten des Vorjahres 64.000 Besucher aus der CSSR nach Österreich, so waren es in den ersten vier Monaten dieses Jahres nur noch 17.800, das heißt: um 70 Prozent weniger. Daß die Besucherzahlen aus Ungarn bei leichter Rückläufigkeit stagnieren, soll andere, „ganz normale“ Gründe haben. Jener Teil der ungarischen Bevölkerung, der sich die teuren Auslandsreisen überhaupt leisten kann, hat seinen Nachholbedarf an Reisen nach Österreich und insbesondere nach Wien mittlerweile gedeckt und strebt nun nach entfernteren Ufern. Und im Sommer an das Meer.

Ein Teil dieses Dranges kommt Jugoslawien zugute, aber auch Reisen nach Italien, ja sogar bis nach Spanien sind heute für besser verdienende Ungarn oder solche, die Verwandte im Westen haben, durchaus erreichbar.

Das Visum kostet 90 Forint und ist, offiziellen Stellen zufolge, innerhalb von zwei Tagen zu haben, natürlich nicht für „gewisse Gruppen“, die, wie man in Ungarn treuherzig beteuert, auch andere Staaten nicht gerne ins Ausland reisen lassen. Wobei allerdings darauf hinzuweisen vergessen wird, daß es sich bei dem notwendigen Visum. um ein Ausreise-Visum handelt und der Paß nach der Heimkehr jeweils bei der Paßbehörde deponiert werden muß.' Anderseits dürfen Ungarn nun statt Devisen im Gegenwert von 75 Dollar um ein Drittel mehr ausgeben, wenn sie ins Ausland reisen, und wenn sie dies mit dem eigenen Wagen tun, wird ihnen für Benzin noch ein weiterer Betrag von 35 Dollar zugestanden. Die überwiegende Mehrzahl der Ungarn verzichtet auf die Möglichkeit einer kostensparenden Gruppenreise. Vier Fünftel reisen individuell. Wien gilt ihnen allerdings mehr und mehr als teures Pflaster. Folge: 117.000 Ungarn-Nächtigungen im Jahre 1969, um 4000 weniger als im Jahr zuvor. Den Löwenanteil der Touristen aus dem Osten stellen die Jugoslawen, und sie sind auch die zahlungskräftigsten Ostgäste. Einem Trip von Ljubljana oder von Marburg nach Wien steht nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch nichts mehr im Wege, Jugoslawen können ihr Land meist ebenso formlos verlassen und wieder betreten wie Österreicher. Ihre Einreise in den Westen soll da und dort schon auf größere bürokratische Schwierigkeiten stoßen.

Von 1968 auf 1969 stieg die Zahl der Jugoslawen-Nächtigungen in Österreich von 270.000 auf 350.000, wobei Wien mit 115.000 Nächtigungen alle anderen Zielorte weit überrundet hat. Doch auch die Festspielstadt Salzburg konnte bereits 96.000 Jugoslawen-Übernachtungen registrieren.

Freilich reist der Gast aus dem Osten in den meisten Fällen so billig er kann. Das heißt, daß ein möglichst geringer Teil des Reisebudgets für Hotels, Restaurants, Verkehrsmittel, Eiintrittsgebühren und so weiter ausgegeben wird, um mehr für Einkäufe der begehrten Westwaren aufwenden zu können. Die Versorgung der Gäste aus dem Osten mit Nylonmänteln, Perlonstrümpfen, westlichen Wollwaren und so weiter wurde zu einem äußerst profitablen Geschäft für Leute, die den Blick für die hier schlummernden Chancen hatten. Dieses Geschäft blühte allerdings bis vor kurzem ganz im verborgenen.

Rechercheure des Wirtschaftsmagazins „Trend“ entdeckten, daß die ankommenden Osttouristen bereits auf dem Bahnhof von richtigen, mit Kleinautobussen ausgerüsteten

Schlepperkolonnen empfangen werden, die ein Kopfgeld von dreißig Silberlingen, pardon, Schilling, für jeden abgelieferten Käufer empfangen. Die Branche siedelt in Grabennähe, in der Kirchengasse, vor allem aber auf dem Mexikoplatz und scheut, was der Rest der Wirtschaft so liebt: teure Portale. Das Geschäft, das Osttouristen anzieht, muß billig aussehen, das heißt wie ein Ramschladen. Die Umsätze, die hinter den mit allerlei Tafeln und Ankündigungen in diversen Sprachen gepflasterten Geschäftsfronten getätigt werden, sind dabei meist überaus respektabel.

Die Ware muß nicht nur preiswert sein, sondern einem Geschmack entsprechen, den der Einkäufer sehr genau kennen muß. Sie wird zwischen Hongkong, Tokio und Lissabon eingekauft, zum Teil aber auch in Wien erzeugt. Moden werden — laut „Trend“ — mitunter gemacht, indem man ein paar Stücke, etwa auffallende Wollkappen, verschenkt, mit der Auflage, sie 'auf belebten Plätzen der östlichen Metropolen zu tragen. Als Gegenwert werden nicht nur sämtliche Währungen des Ostblocks in Zahlung genommen, sondern auch Naturalien, die ebenso wie die weichen Ostwährungen einen festen Kurs haben. Salami etwa wird zum halben Ladenpreis angenommen, aber auch Krimsekt, russischer Wodka, Bleikristall und so weiter und so fort gelten auf dem Mexikoplatz als mehr oder weniger harte Währungen.

Ein Päckchen der schwarzen und starken ungarischen Fecske-Zigaret-ten notiert mit drei Schilling, wer raucht schon gerne „Gauloises aus dem Osten“.

Um noch mehr Ostgeld in seine Kassen rollen zu lassen, plant einer der Könige dieser verschwiegenen Branche, östlichen Touristen Quartier und Kost zu Selbstkostenpreisen zu bieten. Unter der Bedingung, daß sie den Rest seines Geldes bei ihm ausgeben.

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