6712101-1964_25_15.jpg
Digital In Arbeit

Hauptmann und Nestroy

Werbung
Werbung
Werbung

Warum ist eigentlich Gerhart Hauptmanns Alterswerk (1931) „Vor Sonnenuntergang“ heute so schwer erträglich? Voll von literarischen Anspielungen auf Goethe und Shakespeare, gibt es in diesem bürgerlichen „König Lear“ viele gesellschaftskritische, Ibsensehe Züge, aber dort, wo eine bemühte Regie (Karl Heinz Stroux) durch weglassen des letzten Aktes dieses beklemmende Trauerspiel in seiner gewissen naturalistischen Umständlichkeit zu straffen und auf Kosten des Zeitkolorits ins Zeitlose zu heben versucht, gelingt das nicht. Die Tragödie des Johannistriebes, die Liebe des 70jjhrigen Geheimrats Clausen zu dem blutjungen Mädchen Inken und dessen tiefe Neigung zu dem Greis, enthält wohl Elemente aus der Gefühlswelt des alternden Hauptmann, welche die Intimsphäre berühren. Aber die nüchterne, oft papierene Sprache dieser Spätleidenschaft auf den Spuren von Goethes ..Marienbader Elegie“ („Natur, Kunst, Philosophie und Imken: diese vier Dinge sind mir gleich“), macht die heikle Peinlichkeit, die abwegige Verlorenheit nicht glaubwürdiger.

Der Geheimrat Clausen ist eine Rolle für große Mimen. Nur ihre schauspielerische Glut vermag dieses Stück erträglich zu machen. Zuletzt (1952) waren es im Burgtheater Werner Kraus und neben ihm Annemarie Düringer in der fünf-aktigen Fassung von Ernst Lothar, deren Leistungen in der Erinnerung haften blieben. Jetzt spielt Ernst Deutsch, ein virtuoser Schauspieler und Sprecher, den spätheiratslustigen Geheimiat, aber er mimt ihn nur, ohne uns die Leidenschaft und verzaubernde Kraft im Spätherbst des Lebens glaubhaft machen zu können. Auch Christiane Hbrbiger vermag als Inken Peters nicht zu überzeugen. Wohl ist sie voll wienerischer Anmut und verletzlichem Stolz, doch die aufs Ganze gehende Lebenskraft und Opferliebe traut man ihr nicht zu. Die Atmosphäre der reichen, bürgerlichen Familie ist halbwegs dicht und nuancengetreu getroffen. Hervorzuheben: Eva Zilchner als bucklige, süßsäuerliche Tochter Bettina, Judith Holzmeister als übelwollende, Intrigante Schwiegertochter, Erich Auer als der weltfremde, selbstsüchtige und Ernst Anders als der jüngste Sohn Egmont. Michael Janisch als plebejischer Emporkömmling, Robert Lindner als verständnisvoller Sanitätsrat. Die eindrucksvollen Bühnenbilder stammten von Ita. Maximouma. Ein Teil d„Eufelik.un>f>.J, sptndew Emst Deut vor.? dwftii Vorhang erscheinen konnte, begeistert Beifall.

Nestroys Posse „Die schlimmen Buben in der Schule“ mit dem Untertitel „Protektion währt am längsten“ ist ein etwas langgezogener Einakter und als solcher sicherlich eine Nebenarbeit des sonst so kritischen Satirikers. Bar jeder diabolischen Hintergründigkeit, aber nicht ganz ohne politischen Nebensinn, wollte Nestroy hier wohl auf die schandbaren Schulzustände von einst anspielen. Vor allem aber hatte er mit dem vorlauten Schulknaben Willibald eine Paraderolle für sich geschrieben. Regisseur Gundolf Buschbeck pflegte seit Jahren abseits des Ausstattungsglanzes der Staatstheater Alt-Wiener-Volkstheater zu spielen. Diesmal zog er von der Pawlatschenbühne ins Akademietheater und inszenierte mit Kräften des Burgtheaters die Erzgaudi von Nestroy und anschließend die nicht mindere von Ferdinand Kringsteiner (1775 bis 1810), dem damaligen Hausdichter des Leopoldstädter Theaters. Nestroy nicht ganz unähnlich, versuchte auch Kringsteiner in seinen Travestien auf klassische Stücke seinem Publikum nicht nur Wiener Volkstypen zu präsentieren, sondern ihm auch — für die Ohren des Zensors nicht gleich vernehmbar — einiges vorzuräsonieren. Sein „Othello, der Mohr von Wien“ ist eine köstliche Travestie auf Shakespeares Tragödie. Die Zuschauer lachten denn auch Tränen, unter ihnen echte Shakespeare-Könige und -Königinnen, die sich an dem entfesselten Komödiantentum auf der Bühne höchlichst ergötzten, ohne daran Anstoß zu nehmen, daß sich solches auf der Nebenbühne des ehrwürdigen Burgtheaters und nicht auf einer Vorstadtbühne zuträgt. Allen voran brillierte Inge Konradi als vorwitziger Willibald und als Hausmeisterstochter Desdemonerl. Das Talent dieser Schauspielerin für Komik dürfte weit und breit nicht seinesgleichen finden. Neben ihr bestanden: Hans Obonra als feuerfuchsiger Jagerl (Jago) und Fritz Lehmann als munterer Barbiergeselle Cas-serl (Cassio) sowie Richard Eybner als schwerhöriger und darum gutmütiger Baron Wolkenfeld, während Hugo Gott-schlich als Lehrer Wampl und als Mohr nicht ganz seine Rollen ausfüllte. Sehr hübsch das lustige Bühnenbild in Form eines Karussels von Lais Egg für den „Othello“ und die ohrengängige Bühnenmusik von Alexander Steinbrecher dazu. Stürniisch j,JHeiterkeitaerfolg.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung