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Hausse in Barten

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Es spricht sich herum: der Bart ist im Kommen. Man mag es begrüßen oder ablehnen. Das ändert nichts an der Tendenz. Die Barte liegen sozusagen in der Luft.

Ganz verschwunden aus der Physiognomie der Männer waren sie nie. Unentwegte pflegten sie still und verbissen, verspottete Hüter der mehr und mehr verkümmernden Männlichkeit. Man hatte zwar keine große Auswahl. Die Barte waren genormt vom Typ Menjou über den mittleren Assyrer bis zum großen Hundhammer. Dazwischen lag noch die Möglichkeit des dämonischen Gefreiten. Damit war es aber auch schon aus. Denn wer verstieg sich schon zu einem Patriarchenbart in Gürtellänge?

Eines aber ist gewiß: Erst der Bart macht den Mann. In den alten orientalischen Kulturen war es eine Schande, seinen Bart zu verlieren. Man schwor auf ihn und man raufte ihn zum Zeichen der Verzweiflung und der Trauer. Heute drückt der wütende Mann nervös auf den Gashebel. Welch ein Abfall! Die Römer rasierten sich glatt, um sich gegen die Barbaren abzuheben. Allein: ihre Porträtbüsten haben etwas peinlich Privates. Nackt sehen ihre Gesichter aus, kalt und berechnend.

Denn mit dem Bart wächst ein Stück Urwald ins Gesicht. Es wird zur Landschaft und bekommt mythischen Charakter. Der Mann — der Eroberer und Patriarch —, er muß bärtig sein. Die glatten, farblosen Intellektuellengesichter unserer Männer geben nichts mehr her. Die jungen Existentialisten spurten ganz richtig. Auf dem Weg des Bartes wird der Mann wieder zur Figur.

Nun lauern leider auch auf dem Pfad der Gesichtsaufforstung Hindernisse und Gefahren. Ein hoffnungsvoller Sproß aus der Nachbarschaft zum Beispiel — er mag 22 Jahre alt sein —, schoß mit seiner erwachenden Männlichkeit ins Kraut. Ins Rotkraut gewissermaßen. Denn als er mutig und entschlossen sein Bärtlein zusammenstoppelte, wuchs ihm um das Kinn eine stramme feuerrote Bürste. Welche Tücke der Natur, einem strohblonden Jüngling einen flammenden Kinnbart aufzubrummen! Aber er hielt durch. Und heute fügt er sich mühelos in das exzentrisch grellfarbige Inventar der Bar an der Ecke.

Weniger fügsam erschien dagegen zunächst meine Freundin Gabriele. Es wurde Frühling, und sie spürte: über Carel, ihrem Mann, braute sich etwas zusammen. Stundenlang konnte er auf das frisch angesäte Rasenstück hinter dem Haus starren und dabei gedankenvoll sein Kinn streicheln. Er wird melancholisch, dachte Gabriele, aber sie tippte, wie das leider die Frauen oft tun, haarscharf daneben. Als beide vor Wochen auf ihrer Hütte im Gebirge weilten, irrte er durch die Wälder. Gabriele begleitete ihn, um ihn zu zerstreuen. „Was ist das für eine merkwürdige Baumkrankheit?“ fragte sie und zupfte etwas Langes, Gräuliches von einem Ast.

„Das ist Bartflechte“, entgegnete er hintergründig. Ich weiß nicht, ob Gabriele diese Fakten in ihrer Erinnerung überbewertet; auf alle Fälle gab ihr die Entwicklung der Dinge recht. Carel pflegte daraufhin zu Hause mit gesammelter Düsternis in Familienalben zu blättern. Er muß bei seinen Vorfahren geistig Bartmaß genommen haben. Denn bald darnach fing es an.

Zuerst gab er vor, sein Rasierbesteck sei kaputt, dann war er zwei Tage lang scheinkrank. Am vierten Tag aber ließ es sich nicht mehr verheimlichen. Er versteckte sich im Cafe hinter seiner Zeitung, denn er sah so aus, daß man ihn unwillkürlich mit dem gesuchten Mörder auf dem letzten Polizeiplakat verglich. Er selbst schien sich seiner Identität wegen unsicher zu fühlen, und er machte ein Gesicht, als ob er erwartete, daß im nächsten Augenblick ein Komplice mit seinem Revolver vor seiner Nase herumfuchteln werde. Das Gekicher von Backfischen umgirrte ihn. Er schaute aus elegischen Augen um sich wie ein spät und wider Willen vom Meeresboden gepflückter Tiefseetaucher.

Gabriele machte Szenen. Carel aber winkte müde mit der Hand ab und wuchs mit passiver Resistenz seinem Wildwest-Trauma entgegen. Gabriele suchte inzwischen ihren Rechtsanwalt auf. Sie habe Carel ohne Bart geheiratet, und sie sei nicht gewillt ... und wo stehe es geschrieben, daß man als Ehefrau mit einem zugewachsenen Affengesicht ... Vom dritten Besuch beim Rechtsberater kehrte Gabriele resigniert heim, denn auch bei diesem zeigte sich unverkennbare Spuren von Urweltlandschaft um die Kinnpartie.

Neulich habe ich Gabriele und Carel im Theater getroffen — versöhnt, verliebt. Sie in koketter Weiblichkeit, mit rosa Volants am Rock und schwarzen Samtbändern, er im leuchtend blauen Anzug, mit sandfarbener Weste und einem herrlichen Vollbart. „Jetzt sieht er aus wie ein Mann“, flötete sie mir zu. „Ich hatte es im Grunde lange satt, dieses intellektuelle Milchgesicht über die Klippen des Alltags zu bugsieren.“ Sie hing an seinem Arm wie eine Orchidee über einem Ast im Dschungel. Endlich hatte sie den passenden Hintergrund für sich gefunden.

Vielleicht könnte man den Bart industriell ausschöpfen und ihn als Requisit aktiv in die Herrenmode einplanen. Man sollte ihn als Umhängebart in vielen Farben herstellen und ihn passend zu den Anzügen und Westen tragen. Barbarossa, Blaubart, Silberbart — sie haben schon Mythe und Geschichte bewegt. Warum sollte sich der Mann während des Tageslaufes nicht wandeln wie die Frau: vormittags glatt und sachlich, der Arbeitskamerad. Abends dagegen wie ein aufpolierter Seeräuber mit dem ungewissen Air männlicher Abenteuer?

Dann, ja dann hätten wir Frauen alles, was wir wollen.

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