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Heiliger Geist — unheilige Geister

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„Pfingsten, das liebliche Test“, schrieb einmal Goethe. Für diesen großen Dichter und großen Heiden war Pfingsten das Fest, an dem die Natur endlich zum vollen Durchbruch kam. Pfingsten, dieses große Fest der Kirche, ist für die meisten Menschen Mitteleuropas auch nicht mehr als ein liebliches, verlängertes Wochenende, das ihnen die Möglichkeit gibt, gehetzt durch die Straßen der Landschaft zu fahren und müder denn je am Ende dieser kurzen Ferien nach Hause zu kommen. Oder es ist die Chance, in Schwarzarbeit noch mehr zu verdienen als an den übrigen Wochenenden des . Jahres. Kaum ein Gedanke für das Fest bewegt sie und kaum ein Gedanke über die Wirrnis in der Welt. Denn Wirrnis herrscht allerorts in der Welt. Jetzt, 25 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, ist die Welt dem Frieden noch immer nicht näher gekommen. Der Krieg in Vietnam tobt ununterbrochen weiter, und es ist nur ein schauerlicher Trost, den die Statistiker geben, wenn sie sagen, daß die Verkehrstoten eines Jahres in den USA höher an Zahl sind als die des Vietnamkrieges. Der Krieg von Vietnam beginnt sich nach Kambodscha auszubreiten mit seinen Schrecknissen, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann er nach Laos übergreift. Die Proteste, die dem Einmarsch der amerikanischen Truppein in Kambodscha seitens ameria-nischer Bürger folgten, tragen fast schon das Zeichen eines Bürgerkrieges und mahnen an die wirren Tage vor zwei Jahren in Frankreich, da de Gaulles Thron zu wanken begann. An der israelisch-arabischen Front herrscht ein durchlöcherter Waffenstillstand, der immer wieder durch Terroraktionen und Bombardierungen gestört wird. Die Rüstungen der großen und kleinen Mächte schreiten ununterbrochen vorwärts. Die Atombombe von Nagasaki und Hiroshima erscheint schon als ein kleines Spielzeug im Vergleich zu den heutigen Rüstungen. Und doch war es wieder die Existenz dieser Atombomben, die — so merkwürdig es klingt — den Frieden durch 25 Jahre im großen und ganzen retteten. Denn im Letzten hatte jeder der Mächte Angst, diese schreckliche Waffe einzusetzen, die ohne weiteres innerhalb kürzester Zeit die Vernichtung weitester Landstriche nach sich ziehen würde.

Drohend hängt über der Welt das Schwert der Auseinandersetzung zwischen den beiden Kolossen China und Rußland, denn China ist im Begriff, ebenfalls in Kürze Raketenwaffen zu besitzen, und diese Aussicht könnte Rußland eines Tages nur zu leicht verführen, einen Präventivkrieg zu beginnen. Wirrnis herrscht in der Welt. Fast scheint diese Welt vergessen zu haben, daß der zweite Weltkrieg 55 Millionen Tote kostete, daß Hunderte von Millionen verwundet wurden und heute noch an diesen Wunden leiden, daß Millionen und Abermillionen ihre Heimat verlassen mußten. Was müßte denn, noch alles geschehen, wird sich vielleicht so mancher in einer stillen Stunde fragen, damit der Irrsinn des Krieges endgültig von dieser Welt genommen wird?

Wäre es denn nicht besser, statt an Krieg und Kriegsgeschrei zu denken, sich der ungelösten sozialen Fragen zu widmen, die die ganze Welt überwuchern? Noch immer hat die Hälfte der Menschen nicht das Existenzminimum, noch immer wird die Hälfte der Kinder der Welt nie satt. Die Einsamkeit der Menschen wird größer. Sie werden älter — dank der modernen Medizin —, sie leben länger, aber sie leben allein. Das Problem der alten, einsamen und verlassenen Menschen kommt wie eine ungeheure Kugel auf die Menschheit zugerollt und wird bald ebenso ein großes soziales Problem sein wie der Hunger.

Wirrnis herrscht in der Welt. Vom Wehen des Heiligen Geistes, von dem das Pfingstfest kündet, scheinen die wenigsten Menschen etwas zu spüren. Viel eher scheint ein unheiliger Geist die Menschen in Verwirrnis zu stürzen und mit Blindheit zu schlagen. So manchen wird es fast scheinen, als würde diese unheilige Geist auch schon in der Kirche, dem Gefäß des Heiligen Geistes, wirken. Denn hier scheint die Verwirrung schon manchmal mit menschlichem Denken nicht mehr erklärlich zu sein.

Wenn Theologen die Auferstehung Christi bezweifeln, dann leugnen sie eigentlich schon die Erlösung der Menschheit.

Wenn Theologen die Wunder mit Parapsychologie erklären wollen, dann leugnen sie eigentlich schon die Allmacht Gottes. Wenn Theologen die Transsubstantiation bezweifeln, dann fragt man sich wirklich, warum sie noch eine Messe feiern. Wenn Theologen den heiligen Josef als Vater Christi ausgeben, dann rühren sie schon an der Substanz der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person. Wenn Katholiken die Gemeinschaftsehe mit Partnertausch empfehlen, dann verdrehen sie schon den Sinn eines der Sakramente der Kirche. Wenn sie über die Existenz der Hölle leugnen, wird es nicht mehr lange dauern, bis sie auch die Existenz einer Sünde leugnen. Und gerade hier spricht die Zeit gegen diese Verwirrer. Denn man kann theoretisch sehr vieles leugnen, aber faktisch an den Dämonien der Zeit nicht mehr vorbeigehen. Sie springen zu deutlich jedem ins Auge.

„Komm, unheiliger Geist, und verwirre die Herzen der Menschen.“ Dennoch ist kein Grund zu verzagen. Wirrnisse hat es alle Zeit gegeben und wird es alle Zeit geben. Sie gehören fast zum Leben des Menschen und zum Leben der Welt. Wenn der Wein zu gären beginnt, wird er trüb. Wenn der Mensch vom Kind zum Erwachsenen schreitet, überfallen ihn Zeiten, da vieles trüb erscheint. Wenn der erwachsene Mensch zur Höhe des Alters weitergeht, können Zeiten über ihn kommen, die ihm wirr erscheinen. Sie sind oft nur Zeiten des Gärens und des Weiterwachsens zu einer anderen guten.Zeit. Und in diesen Zeiten der Trübnis und Verwirrung kann der Mensch eben oft nichts anderes tun, als durchzustehen und an das Wirken des einen Heiligen Geistes zu glauben, der der Menschheit für immer versprochen wurde, und es gilt ununterbrochen, das Gebet zu stammeln: i „Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen der Menschen und entzünde in ihnen das Feuer Deiner Liebe. Amen.“

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