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Heilpflege vom Geiste her

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„Die Seele müßtest du vor allem und mit größter Sorgfalt pflegen, wenn der Kopf oder sonst ein Glied am Körper gesund sein soll. Und du kannst die Seele nur mit Sprüchen heilen, mit gewissen Sprüchen, durch Zauber, du Glücklicher! Und diese Sprüche, dieser Zauber, das sind überall die edlen Worte. Sie wecken oder zeigen dir in der Seele die Besonnenheit, und so du die Besonnenheit einmal in der Seele hast, dann ist es ganz leicht, dem Kopf oder dem ganzen Körper Gesundheit zu bringen. Das aber ist der größte Fehler bei der Behandlung der Krankheiten, daß es Ärzte für den Körper und Ärzte für die Seele gibt, wo beides doch nicht getrennt werden kann.“

Diese Worte sprach Sokrates zu dem Jüngling Charmides, der ihn aufsuchte, um von ihm geheilt zu werden. Sie stehen in einem Platonischen Dialog und beziehen sich auf den Gegensatz zwischen den wissenschaftlich gebildeten griechischen Ärzten, die sich nicht um die Seele kümmerten, und den „unwissenschaftlichen“ Zauber- und seelenkundigen thrakischen Ärzten des Zalmoxis. Heute, nach über 2000 Jahren, haben sie an Aktualität nichts eingebüßt, denn ein Fünftel bis ein Drittel der Kranken, die einen Praktiker oder Internisten konsultieren, bedürfen nach Angaben etwa eines H. von Hattingberg psychischer Behandlung in irgendeiner Form, ohne daß ihnen in den meisten Fällen geholfen werden könnte.

Auch der Verfasser des Buches „Ärztliche Seelsorge“, Viktor E. Frankl, machte die Erfahrung, daß der Arzt auf Schritt und Tritt in seiner Sprechstunde mit weltanschaulichen Entscheidungen des Kranken konfrontiert wird. Er kann nicht „diskret an ihnen vorbeibehandeln“, sondern wird immer gezwungen, Stellung zu nehmen. Frankls Buch hat um so mehr Gewicht, da es das Ergebnis praktischer Erfahrungen ist, die sich der Verfasser im Laufe einer langjährigen Tätigkeit auf diesem Gebiet erworben hat. Es gewinnt für uns ferner ganz besonderes Interesse durch die wissenschaftliche Herkunft und den Entwicklungsgang seines Autors. Viktor Frankl stand der psychoanalytischen Schule Freuds nahe und hat zwei Jahre lang mit dem Individualpsydiologen Adler zusammengearbeitet. In den Jahren 1927 bis 1937 regte er in Wien, Prag, Budapest, Zürich und Brünn die „Beratungsstellen für Jugendliche in seelischer Not“ an und hatte im Rahmen dieser Tätigkeit besonderen Erfolg mit der Beratung der Jugendlichen nach der Zeugnisverteilung, durch die es gelang, schwere Konflikte mit dem Elternhaus und die bis dahin häufigen Selbstmorde der Jugendlichen zu verhindern. Von 1939 bis 1942 war Viktor Frankl Primarius am hiesigen Rothschild-Spital. Mit dessen Schließung begann Frankls Leidensweg: mit seinen Familienangehörigen kam er zunächst in das Konzentrationslager The-resienstadt, dann nach Auschwitz und nach Dachau. Heute kann er sich wieder seinem umfassenden Arbeitsgebiet widmen und ist Vorstand der neurologischen Abteilung der Wiener Städtischen Poliklinik.

Von der schulmäßigen Psychoanalyse und Individualpsydiologie hat sich Frankl bald emanzipiert, da er erkannte, daß es gilt, den Kranken nicht nur als psycho-physische Person, sondern auch als Geistwesen und von der ethischen Seite zu erfassen; daß die menschliche Existenz nicht nur in der Tiefe (Tiefenpsychologie), sondern auch in ihrer Höhe gesehen werden muß. Diesen Anforderungen werden, nach der Meinung des Verfassers, die beiden modernen psychologischen Schulen und Methoden nicht gerecht. Psychoanalyse und Individualpsydiologie sehen überdies nur je eine Seite der menschlichen Existenz und münden in einen alles entwertenden Psychologismus. Jenseits von Oedipus-Komplex und Minderwertigkeitsgefühl strebt Frankl eine Psychotherapie „vom Geistigen her“ an, die er Logotherapie nennt. Als Existenzanalyse besteht ihre Hauptaufgabe darin, dem Patienten seine Verantwortlichkeit eindringend klar zu machen. Denn Mensch-Sein heißt bewußt sein und vorantwortlich sein.

In dem Kapitel „Existenzanalyse“ stellt Frankl als erste Frage die nach dem Sinn des Lebens, die durch eine „kopernikanische Wendung“, wie der Verfasser es nennt, dahin richtiggestellt wird, daß nicht der Mensch zu fragen hat, sondern er, der vom Leben Befragte ist, der zu antworten, das Leben zu verantworten hat. Die Psychoanalyse ist die Lehre vom Menschen als einem von seinen Trieben Getriebenen, in

Wirklichkeit aber scheint es so zu sein, daß-„die Triebe gleichsam nur die Anträge stellen, während das Ich über die Anträge entscheidet“. Das Es treibt, das Ich will. Selbst in den Konzentrationslagern, unter den größten körperlichen Einschränkungen und seelischen Qualen, blieb — nach der Erfahrung des Verfassers — dem Menschen bis zum letzten Atemzug doch noch die leezte Freiheit, sich zu seinem Schicksal so oder so zu stellen, sich geistig und seelisch fallen zu lassen oder, trotz allem, eine menschliche Haltung zu bewahren. Auch im Leiden noch hat der Mensch die Möglichkeit, Werte zu verwirklichen, die Frankl als „Einstellungswerte“ bezeichnet und als echte Leistung auf metaphysischem Gebiet wertet. „Das Leiden, die Not, gehört zum Leben dazu, wie das Schicksal und der Tod. Sie alle lassen sich vom Leben nicht abtrennen, ohne dessen Sinn nachgerade zu zerstören. Not und Tod, das Schicksal und das Leiden vom Leben abzulösen, hieße dem Leben die Gestalt, die Form nehmen. Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt.“ Ist der Mensch einmal durch das Schwerste hindurchgegangen (der Verfasser meint hier im besonderen die aus der Hölle der Konzentrationslager befreiten Häftlinge), dann „beherrscht ihn das köstliche Gefühl, nach all dem, was er erlebt und erlitten, nichts mehr auf der ganzen Welt fürchten zu müssen — außer vielleicht seinen Gott. An den wieder zu glauben, hat so mandier im Konzentrationslager und durch das Konzentrationslager gelernt.“

Den Sinn und Wert der Arbeit sieht der Verfasser in der Leistung für die Gemeinschaft, die an keinen bestimmten Beruf gebunden ist. Dort erst, wo sich der Schaffende jenseits der Grenzen beruflicher Vorschriften bewegt, dort fängt wahrhaft persönliches und einzig erfüllendes Arbeiten erst an, dort erst kann dem Leben vom Beruf her Sinn gegeben werden. „Die Unersetzlichkeit und Unvertretbarkeit, das Einmalige, das Einzigartige liegt jeweils am Menschen, daran, wer schafft, daran, wie er schafft, und nicht daran, was er schafft.“ In dem Kapitel „Vom Sinn der Liebe“ wird diese als das Erleben des anderen Menschen in dessen ganzer Einzigartigkeit und Einmaligkeit definiert. Von den drei möglichen Formen der Einstellung zu ihr ist nur die letzte menschenwürdig und hat ethischen Wert. Uber die sexuelle und erotische Stufe, die als Verliebtheit bezeichnet wird, hat sich der reife Mensch zur eigentlichen Liebe zu erheben, indem er zu seinem Partner als einem Geistigen in Beziehung tritt. Den Liebenden kann es daher auch nicht mehr um einen körperlichen „Typus“ oder um einen seelischen Charakter zu tun sein; ihm geht es um den Menschen selbst, um den Partner als einen unvergleichlichen und unaustauschbaren Menschen. Die Liebe, so verstanden,erfaßt den Partner in seinem innersten Wesen. Das Wesen aber, die „essentia“, ist nicht angewiesen auf „existentia“ und insofern über letztere erhaben. „So und nur so ist es zu verstehen, daß Liebe den Tod des geliebten Menschen überdauern kann. Erst jetzt wird uns verständlich, daß Liebe stärker sein kann als der Tod, das heißt die Vernichtung des geliebten Menschen in dessen Existenz.“ Die geglückte Synthese aus Sexualität und Erotik erst macht den Menschen reif zur monogamen Beziehung, zur Ehe. Mehr als an einer anderen Stelle wird hier die Forderung nach einem gewissen moralischen Rigorismus des beratenden Arztes erhoben, transzendiert doch die Verantwortung dem ratsuchenden Patienten gegenüber die Gegenwart und erstreckt sich — über das Kind — auf das Schicksal einer künftigen Generation.

Entstehung und Finalität der verschiedenen Neurosen (Angst- und Zwangsneurose, Melancholie und Schizophrenie) untersucht der Verfasser in dem Abschnitt „Spezielle Existenzanalyse“. Das Schlußkapitel stellt die Frage nach einer prinzipiellen Möglichkeit und Wünschbarkeit der ärztlichen Seelsorge und stößt bis an die äußersten Grenzen des Arztseins vor. „Was die Psychotherapie, im besonderen die Psychoanalyse sein wollte, das war: weltliche Beichte; was die Logotherapie, im besonderen die Existenzanalyse sein will, das ist: ärztliche Seelsorge. Dieser Satz darf nicht mißverstanden werden. Ärztliche Seelsorge soll kein ,Ersatz' für Religion sein; sie will nicht einmal ein Ersatz sein für die Psychotherapie im bisherigen Sinne, sondern, wie schon gesagt wurde, deren bloße Ergänzung. Dem religiösen Menschen, der sich im verborgenen Metaphysischen geborgen weiß, haben wir nichts zu sagen, hätten wir nichts zu geben.“ Ärztliche Seelsorge darf sich aber auch nicht damit begnügen, den Menschen nur „frei von“, sondern sie soll ihn darüber hinaus auch „frei zu“ etwas machen. Existenzanalyse und ärztliche Seelsorge führen den Kranken bis zum radikalen Erlebnis seiner Verantwortung. Konkrete Entscheidungen, insbesondere solche weltanschaulicher oder moralischer Art, darf der Arzt dem Kranken weder abnehmen noch aufoktroyieren. Er soll den Kranken nur zur sittlichen Entscheidung befähigen.

Im Schlußwort seines Buches bezeichnet Frankl das Gebiet der ärztlichen Seelsorge als ein Niemandsland und ein Land der Verheißung. Es will uns scheinen, als habe der Verfasser es nicht nur von fern erschaut, sondern es auch mutig betreten. Und auch der Leser, der sich seiner Führung anvertraut, wird nicht ohne innere Bereicherung und hohen Gewinn einen Blick in jenes Land tun können, das unsere geistige und seelische Heimat, der Umkreis unserer menschlichen Person ist.

„Erdwandel, Seelenwandel und die Völker Europas.“ Von Univ.-Prof. Dr. Carl B r o ck-hausen. Verlag M. Rohrer, 88 Seiten, S 5.20.

Der Autor geht von der Tatsache aus, daß die Erde erst in den letzten Jahrzehnten infolge der ungeahnten technischen Fortschritte und der dadurch bedingten Verringerung aller Entfernungen auch politisch die Entwicklung von der Scheibe zur Kugel genommen habe, das heißt, daß es keinen Staat und kein Volk mehr gibt, das am „Rande“ der politischen Entwicklung zu leben vermöchte. Dies bedingt, so folgert der Verfasser, eine grundsätzliche Änderung der bisher gültigen politischen Prinzipien: an Stelle traditioneller Nachbarfeindschaft und der Einkreisungspolitik muß, wenn nicht die Katastrophen der Weltkriege in immer schrecklicherer Form wiederholt werden sollen, eine neue seelische Einstellung der Völker zueinander treten. Von diesem Standpunkt aus findet Brockhausen auch für beunruhigende Entwicklungen der Gegenwart offene und mutige Worte. Nicht verschwiegen wird, daß der „Seelenwandel“ die Grundbedingung einer friedlichen Weltordnung bleibt — was freilich eine Binsenwahrheit ist. Nicht kann man des Verfassers Meinung teilen, daß die Nachbarfeindschaft ein „naturgegebener und daher ganz selbstverständlicher Zustand“ ist. gh. t.

„Der Weg zur Demokratie.“ Von Dr. Ernst Robetschek, Verlag Dr. Anton Orac, Wien, 32 Seiten.

Dieses Buch könnte man als kleinen Katechismus der neuerstandenen österreichischen Demokratie bezeichnen. Es ist als Leitfaden für die junge österreichische Generation gedacht, die seit über einem Jahrzehnt weder die Formen noch den sittlichen Gehalt der Demokratie erleben konnte. Der kurze historische Überblick der jüngsten parlamentarischen Entwicklung in Österreich bildet die Einleitung für die gedankliche Herausstellung der Begriffe Souveränität, Parlamentarismus und Menschenrechte. Dr. J.

„Kalender des österreichischen Bauernbundes 1946.“ Herausgegeben von Hofrat Edmund Weber, redaktionelle Leitung Dr. Hans W i 11 m a n n, 320 Seiten.

Dieser Bauernlo' -i;Ir kommt ans technischen Gründen spät, aber er ist so gut, daß er •och jetzt unserem Landvolk willkommen sei wird. Das Kalendarium ist übersichtlich, die dazugehörige Bebilderung im großen und ganzen gelungen. Aus seinem Inhalt seien besonders hervorgehoben: „Rund um den Kirchturm“ von Dr. Wittmann; „Ums liebe Brot“ von dem verstorbenen Volkskünder und Dechant Teufelsbauer; desgleichen die anschauliche Schilderung „Heilige Bauernpatrone“, von Prälat Jakob Fried. Durch die Heimat fuhren eine große Anzahl guter Bilder mit passenden Beitragen.

„Däumlings Flucht aus dem Märchen.“ Von K. F. Z e 1 e n k a, Globus-Verlag, Wien, L, Wollzeile 20. 136 Seiten.

„Kleine Geschichte Österreichs.“ Von Ludwig Reiter. Verlag Julius Lichtner, Wien, VIII., Strozzigasse 41. 40 Seiten. S 2.50.

„Mariarosa.“ Roman von Almerico Ribera. Deutsche Übertragung von Ernie G i e g 1.

A.-J,-Walter-Verlag, Wien, I., Kohlmarkt 11. 456 Seiten.

„Agathon-Almanadi 1946.“ Agathon-Verlag, Wien, I., Opernring 19. 318 Seiten. S 20.—.

„Sonette für Jan.“ Von Alma Johanna König. J.-Luckmann-Verlag, Wien, L, Grill-parzerstraße 7. 28 Seiten.

„Zwölf Gedichte 1933 Ms 1945.“ Von Erika M i 11 e r e r. J.-Luckmana- Verlag, Wien, L, Grillparzerstraße 7. 20 Seiten,

„Oidiptu auf Kolono*.“ Deutsche Nachdichtung tob Rudolf Barr. Hans-Muck-Verlag, Linz, Bethlehemstraße 1. 102 Seiten.

„Österreichs Jugend — Österreichs Zukunft.“ Von Franz Kittel. Herausgeber: österreichische Jugendbewegung. 23 Seiten.

„Aus ferne Ländern.“ Von Karl Festin, Verlag vormals Leykam, Graz-Wien, 97 Seiten.

„Das sanfte Gesetz.“ Ein österreichisches Dr. Margareta Schmid, Amandus-Edition Wien. Stifterbuch. Eingeleitet und ausgewählt von 70 Seiten.

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