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Heimiceiii

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„Voetsak!“ Das Wort wurde wie ein Stein auf die staubige Landstraße geprellt. Und noch einmal: „Voetsak! Verfluchter Hottentott 1“ Der Junge, dessen Stimme das Schweigen des Sonntagnachmittags gebrochen hatte, ballte vor Wut seine Fäuste. „Was fällt dir ein, dich in meine Angelegenheiten zu mischen?“ kläffte er aus der vollen Empörung eines Elfjährigen, und dann weiter: „Dreckskerl!“

Der Mann schaute den weißen Jungen, der ihn in diesem Ton angeredet hatte und barfuß im Straßenstaub stand, mit freundlichen Augen an. Ringsum lag das im Glast der Oktobersonne brütende Dorf ausgebreitet, einer von unzähligen südafrikanischen Flecken ähnlicher Art. Auf der Stoep eines geräumigen, doch unansehnlichen Kaufhauses schnappte ein Hund nach Fliegen. In der Ferne, am Rande der versengten Karroo, flimmerten die blauen Bergkuppen im Dunst. Heiß hing über dem stillen Städtchen der Friede, der nun von neuem durch die Stimme des kleinen Jungen gestört wurde.

„Laß mich in Ruh und troll dich, wohin du gehörst!“

Das Gesicht des Mannes, an den die Worte gerichtet waren, ließ ein hohes Maß an Feinfühligkeit vermuten, und seine gelblichbraune Hautfarbe verriet, daß er kein Europäer war. Er hatte eine scharfgeschnittene Adlernase und tief-bfäün%B“tl ar. Sei* BlIek.'wah^igeMgfllwÄw den Augen, die vom dunklen Farbton des Ge-slchtef'elgeftartig a&s#cfreTi,“'k äfft “ein ^mSriS-nisvolles Zwinkern. Sie ruhten zuerst auf der gekrümmten Gestalt des kleinen Mischlings und begegneten hernach dem Blick des aufgebrachten Europäerjungen.

„Du sollst ihn nicht schlagen“, sagte er mit sanfter, voller Stimme, „auch er ist dein Bruder“.

„Er mein Bruder! Kein Hottentott ist mein Bruder! Voetsak!“ Der weiße Junge wandte sich ab und eilte davon. Im Straßenstaub verblieben die Spuren seiner nackten Füße.

Der Mann betrachtete nun das farbige Kind. „Komm zu mir, kleiner Mann!“ sagte er freundlich.

Der Junge war mißtrauisch. Er stand etwas abseits und musterte mit seinen pechschwarzen Augen verstohlen bald die elende Gestalt des Fremdlings, bald das unförmige Bündel, das neben ihm auf der Erde lag. Plötzlich drehte er sich um und rannte, so schnell ihn seine mageren Beinchen trugen, die Straße hinunter.

Der Mann bückte sich, hob mühsam seine Last auf die Schulter, schleppte sich bis zum nächsten Haus, dessen weißgetünchte Mauern in der Sonne blitzten, und hielt zögernd an. Ein großer Bastardhund sprang ihn an; eine Frau öffnete mit Getöse die Tür.

„Ja, was wollt ihr?“ Schnauzender Ton.

„Nur einen Schluck Wasser, gnädige Frau“, klang es tief und voll zurück.

„Wißt ihr Leute noch nicht, daß für euch die Hintertür da ist? Vorne wird nur1 Europäern geöffnet. Und daß du mir nicht wieder unter die Augen trittst, bevor du weißt, wohin du gehörst!“

Entrüstet schloß sie die Tür, während er sein Bündel kräftiger anfaßte und weiterzog. Vor einem Kaufladen, in dessen Nähe ein paar weiße Jugendliche saßen, hielt er wieder an, unschlüssig, ob er sie anreden sollte oder nicht.

Trübe Augen glotzten ihn an.

„Nanu, Hottentott, was willst? Das Geschäft ist sonntags geschlossen!“

Er schwieg.

„Mach deine Fresse auf, wenn ein Weißer zu dir spricht!“

„Ich wünsche einen Schluck Wasser, bitte.“

„Alles, was euer Gehirn zu fassen vermag, ist Wein. Lumpenpack, das ihr seid! Warum nicht zugeben, daß du Wein haben willst, verdammter Heuchler? Ihr wollt doch nix als Wein saufen.

Was bezahlst? Habt ja stets Geld für so was, ihr Schweine!“

„Bitte, nur einen Schluck Wasser!“

„Seht mal an, Burschen, da ist 'n Hottentott, der uns pleite machen will. Wünscht Wasser statt Wein, das Lügenschwein!“

„Gib ihm doch! Da, sauf!“ Eine faule Tomate wurde ihm unter rohem Gelächter ins Gesicht geschmissen. Mit müder Gebärde wischte er sich ab. „Der Saukaffer — als wäre ich 'ne Wasserpumpe!“

Die Sonne brannte auf den Fremdling nieder, als er seinen Weg auf der staubigen Straße fortsetzte. So also wurde man behandelt, wenn man zurückkehrte. So litt man, wenn man nicht als Weißer geboren war. Er konnte es schon ertragen, wie er es früher ertragen hatte. Nur machte es einen so traurig, zu denken ...

Durch die engen, armseligen Straßen des Mischlingsviertels schleppte der Mann sich mühsam vorwärts. Staub und Fliegen überall; die Luft heiß und stickig. In einer der Elendsgassen, vor einer baufälligen Hütte, blieb er stehen und schielte durch die rissige Türe. Drinnen herrschte die Armut. Eine Frau saß an einem Tisch von rohem Holz. Drei dickbäuchige Kinder spielten mit der räudigen Katze.

Er klopfte sanft an. „Bitte, nur einen Tropfen Wasser.“

. „Kommt, hgrein“,j_sagte die Frau mit entschiedener Teilnahmslosigkeit „Jannie, geh, hol hinterm Haus -einen1 -Krug WasseriPlßn3“ü *9*

Er bemerkte, daß sie schwanger war. Sie ließ sich wie eine ganz alte Frau auf einen wackeligen Stuhl nieder und holte eine leere Büchse hervor. „Nimm Platz! Tut mir leid, aber ist kein Kaffee im Haus.“

„Das macht nichts, ich wünsche nur Wasser.“

Ungemütliches Schweigen

„Kommt der Herr von weit?“

„Ja, ich bin hier fremd geworden.“

Sie warf ihm einen raschen Blick zu. In seiner Stimme und auch in seinen Augen war etwas Fremdes, das sie nicht verstehen konnte. „Wir sind arm hier“, sagte sie mit entschuldigendem Lächeln, „es gibt dieser Tage nicht viel zu essen.“

Der Junge kam mit einem Krug voll lauwarmen Wassers zurück, von dem er einen Teil in die Büchse goß. Gierig trank der fremde Gast.

„Gehören diese Kinder euch?“

„Ja, sind ihrer fünf. Mein Mann verließ mich vor einiger Zeit, aber ich schlag' mich mit Waschen durch.“

„Sie Arme“, sagte er. Dann folgte wieder das unangenehme Schweigen. „Ich habe eine weite Reise hinter mir, und sie ist noch lange nicht zu Ende“, sagte er, um etwas zu sagen.

„Wundert mich nur, daß der Herr nicht im Zug reist. Ist heuer für einen Mischling nicht gemütlich, herumzuwandern. Die Kaffern sind überall. Ich traue keinem einzigen von ihnen. Auch die Weißen gehen jetzt nicht eben sanft mit einem um. Sie traten einst meinen Mann mit Schuhen, weil er ein weißes Mädel anschaute. Ist zu viel Unruhe im Lande!“

„Warum sie wohl deinen Mann getreten haben?“

Sie sah ihn spöttisch an, war es doch seltsam, einen farbigen Mann zu finden, der diese Dinge noch nicht begriff. Vielleicht kam er von Kapstadt, wo es noch nicht so schlimm zu stehen schien. . .

„Nun seht, mein Herr: Der liebe Gott schuf uns alle so, wie wir sind, und es ist eine Sünde, sein Blut mit fremdem zu mischen. Weiß muß weiß und schwarz muß schwarz bleiben. Und auch wir Mischlinge sollen uns an unseres-gleichen halten. Wir nahmen es Leunnie alle sehr übel, als sie mit dem Kaffernlehrer von da drüben ging. Kaffer bleibt Kaffer Er wird nie sein, was wir sind, denn Gott schuf uns verschieden.“

Er kraulte dem Jungen, der zunächst bei ihm saß, das Haar. Ja, dachte er, Gott schuf uns verschieden. Da saß eine Frau vor ihm, die trotz ihrer Armut auf einen Afrikaner herabschaute, nur weil er eine dunklere Hautfarbe als sie besaß. Es war in der Tat nicht leicht, diese Dinge zu begreifen.

„Gehst du Sonntag abend zur Kirche?“

„Ja, Herr, unsere Kirche liegt drunten am Dam. Die Europäer haben ihre eigene an der Landstraße.“

Er hätte beinahe gefragt, warum, schwieg aber aus Taktgefühl. Mit Muße erhob er sich und warf das Bündel über die Schulter. „Vielen Dank, und möge Gott dich segnen. Versuche das Licht zu sehen. Es ist nicht schwierig — versuche es nur.“

Er kam an einer protestantischen Kirche vorbei, die an der Landstraße stand. Sie war ein stattliches, ebenmäßig und neuzeitlich gebautes Gotteshaus, dessen elegante Turmspitze sich dem Himmel entgegenreckte. Die Vorderseite zierte eine Eichentür, deren vierteilige Täfelung durch Kreuze verkleidet war. Drinnen sang die Gemeinde; herrliche Stimmen verkündeten den Ruhm des Allmächtigen.

Der Mann hielt an und horchte. Es müßte schön sein, auf einige Augenblicke eintreten und den Stimmen zuhören zu dürfen Es müßte schön sein, den prächtigen Psalmen, dem Lobgesang zu Ehren des Himmelsgottes eine Weile von drinnen zu lauschen Kurz entschlossen stieg er die Stufen zur Tür empr, trat ein und schlich lautlos in eine der hinteren Bänke. Niemand bemerkte ihn. Er betrachtete das wundervolle Schnitzwerk an Altar und Kanzel, die frommen Bilder, die in zierlichen Rahmen an den Mauern hingen, und das Volk, das nun, als der Gesang zu Ende war, mit gespannter Erwartung gegen die Kanzel blickte, 'wo der Pastor stand.

„Geliebte Brüder und Schwestern in Christo“, begann er, „die Gnade Gottes sei mit euch... Laßt uns heute abend unserer Pflichten gegenüber unseren Mitmenschen und unserem Staat gedenken. Unser Gott, der ein Gott der Weisheit und der Liebe ist, hat uns hierhergesandt, damit wir Zeugen Seiner Botschaft und lebendige Sinnbilder Seines mächtigen Wirkens seien, damit wir den Heiden Bildung, den Armen Brot, den Brüdern Hilfe bringen . .. Unsere Gemeinde blickt mit berechtigtem Stolz auf die Missionskirche, die sie für die Mischlinge errichtet hat. Wir dürfen indessen nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen, denn noch besitzen die Eingeborenen unserer Gemeinde kein eigenes Gotteshaus. Es ist unsere heilige Pflicht, sie in ihrei Anstrengungen um einen Kirchenbau zu unterstützen. Laßt uns nicht die Stirn runzeln über ihre ersten Gehversuche oder annehmen, alle Mühe sei umsonst. Wir sind hier,, um die Heiden zu erziehen, den Stiefkindern des Glücks das Wort zu verkündigen, den Kleinen und Geringen zu helfen ...“

Der Fremdling gedachte der armen Frau und der Missionskirche, von der sie gesprochen hatte. „... unsere Aufgabe ist nicht leicht. Lehrt die Mischlinge und die Schwarzen verstehen, wohin sie innerhalb der Gemeinschaft von Rechts wegen gehören...“ Und dem Fremdling fielen die Worte ein, welche die übereifrige weiße Hausfrau zu ihm gesagt hatte: „ ... daß du mir nicht wieder unter die Augen trittst, bevor du weißt, wohin du gehörst!“

„ ... Gottesdienst und Pflichtgefühl hängen eng zusammen. Gott...“ Der Fremdling sann wieder vor sich hin. War er zurückgekehrt, um diese Dinge zu hören? War das die Welt, die sich der Mensch Untertan machen sollte? Ungerechtigkeit des einen gegen den anderen, Grausamkeit gegen die eigenen Brüder?

Eine Frau drehte den Kopf in Richtung nach der Tür und wurde seiner unauffälligen Anwesenheit gewahr. Ihr Gesicht verwandelte sich in eine starre Maske der Entrüstung. Sie beugte sich zur Nachbarin und flüsterte ihr ins Ohr. Bald war er das Ziel vieler verstohlener Blicke. Ein offenbar angesehener Mann erhob sich und ging auf den Zehen zu dem etwas weiter hinten sitzenden Kirchendiener. Im Flüsterton wechselten sie ein paar rasche Worte. Dann stand der Küster seinerseits auf, machte sich durch ein Amtshüsteln bemerkbar und ging auf den Zehen zu dem Fremdling hinüber. „Wisset, ihr habt eure eigene Kirche drunten am Dam“, sagte er. „hier dürft ihr euch nicht aufhalten.“

„Warum nicht? Ich möchte nur Gott dienen.“

„Ja, aber euer Volk hat seinen eigenen Versammlungsraum. Dieses Gotteshaus ist nicht für euch da.“

„Christ kam zur Erde, um alle Menschen zu erlösen.“

„Nun, darüber gibt's mit mir nicht zu palavern. Geh so schnell und so leise wie möglich hinaus!“

„Wer da lebt und glaubet an Mich, wird nicht sterben . . . tönte es von der Kanzel.

„Los, geh hinaus! Hier ist dein Bündel!“

Er wurde unsanft auf die staubige Straße hinausgestoßen; das Bündel flog hinterdrein. Auf seinem Gesicht, das von einer fast unnatürlichen Zartheit, einem fremden, beinahe heiligen Licht durchleuchtet war, lag ein Ausdruck von trauriger Zufriedenheit. Tiefes Verstehen sprach aus seinen glänzenden Augen, den Augen eines Mannes, der gelitten hatte und nun aufs neue litt.

Mühsam warf er sein Bündel über die Schulter, genau wie Er, vor ungefähr zweitausend Jahren, auf dem Weg nach Golgatha das Kreuz auf sich genommen hatte, und als er sich die staubige Straße emporschleppte, schien er den gewundenen Pfad zu gehen, der zum Vater im Himmel führt. Sein Gesicht war verklärt; in seinen Augen brannte ein himmlisches Feuer. „Vater“, sagte er, „siehe, ich kehrte zu ihnen zurück, und sie verachteten mich, denn ihre Herzen verstanden nicht. Mein Herz blutet für die Welt und für den Menschen, und wieder sage ich wie einst auf dem Berge Golgatha: Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

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