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Heimstatt auf Felsen

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SANKT FLORIAN IN KÄRNTEN ist so gut wie unbekannt. Das Gemeindeverzeichnis von Oesterreich nennt zwei Sankt Florian, darunter den Markt mit dem berühmten Augustiner-Chorherrenstift. Aber nach Sankt Florian in Kärnten zeigte bis vor kurzer Zeit nicht einmal ein Wegweiser. Es ist ein einsamer Weiler bei Sankt Veit an der Glan und verzeichnet nur im Amtskalender mit zwei Buchstaben: ZH. was soviel wie „zerstreute Häuser“ bedeutet. Aus diesem Sankt Florian in Kärnten nun wird jene Kraft kommen, im Zeichen des roten Andreaskreuzes mit der Not der Nöte unserer Zeit fertig zu werden, die, da heißt: Wohnungslosig-keit. Jene Kraft aber auch, die dort zupackt, wo engstirnige politische Besessenheit vor einer neuen Kirche zittert und lieber ein mehrfach teureres „Kulturhaus“ errichtet. Ein paar junge Menschen und ein Lastwagen waren in Nord-kärnten der Beginn. Im heurigen Sommer werden Hunderte von Idealisten ihnen folgen, dem Geist der Barmherzigkeit und der Liebe Untertan.

DIE IDEE DES BAUORDENS setzte der flämische Prämonstratenser P. Werenfried van Straaten, im Volksmunde „Speckpater“ genannt, in die Tat um. Nach dem letzten Kriege, wo Zerstören gleich Heldentum galt und für die Massentötung von Menschen besondere Vorrichtungen ersonnen wurden, war es dem Flamen, der in die grauenhaft verwüsteten mitteleuropäischen Gebiete kam, zunächst klar, daß man das Quälendste, den Hunger, zu stillen hatte. Es hat immer mehr Menschen gegeben, die hungernd fluchten und haßten, als beteten und liebten. Also: speisen die Hungrigen, tränken die Durstigen, bekleiden die Nackten. Als die ärgste materielle Not gestillt war — und immer war dieser Priester bittend und bettelnd für die Armen unterwegs —, reckte sich ein neues Gespenst auf. Es hieß: Verzweiflung am Sinn des Daseins in einer Wüste, in Ländern, wo man so viele liebe Angehörige vergebens suchte; bittere seelische Not unter den Schatten des verlorenen Glaubens. Hier mußte man auch helfen. Aber hier half kein Geld und kein Speck, kein Brot, keine Zigarette und Schokolade, ja nicht einmal ein mitleidiges Wort, aus dem Alltag geholt. Hier mußte das Wort Gottes ertönen, und wenn auch nur in kleinen Gemeinderäumen ohne Glanz und Prunk; damit sich erfülle, was in der Schrift geschrieben steht: „Ein jeder also, der diese Meine Worte hört und sie tut, ist einem weisen Manne zu vergleichen, der sein Heim auf einen Felsen gebaut hat.“ (Matth. 7, 8.) Die Menschen kamen. Der Glaube wuchs nach innen, die Verzweiflung der Trümmerepoche und die Moral der mit aller Not ihren Schacher Treibenden versank allmählich. Aber: es blieb nach der Stillung der körperlichen und der geistigen Not noch ein dunkles Gebiet unerhellt: die Menschen, die da gläubig, gesättigt fortgingen — wohin sollten sie gehen? Sie hatten kein richtiges Dach über dem Kopfe. Wohnungen mußten gebaut werden, weit mehr, als die öffentliche und die private Hand je erstellen konnte. Dort mußten Nützlichkeitserwägungen vorangehen, nicht Nächstenliebe.

NÄCHSTENLIEBE UND BARMHERZIGKEIT, Bewußtsein einer großen Brüderschaft waren noch lebendig im Geiste mittelalterlicher Institutionen. Die alten Bauhütten, deren Spuren der Reisende heute bewundernd durch Europa verfolgt, sind getränkt vom Geiste christlicher Liebe, vom Willen, füreinander einzustehen. Die Bauhütten aber waren selber aus baukundigen Laienbruderschaften hervorgegangen, wie es um die Wende des 11. zum 12 Jahrhundert die Comasken andeuteten. Ueberau an der Wiege der Vereinigungen stand der Gedanke selbstloser gegenseitiger Hilfe. In der Idee der Confraternitas begegneten sich Brüder mit Brüdern vor Gott. Während des Mittelalters etwa entstand eine besondere Technik des Gewölbebaues auf Grund von Kenntnissen, die namentlich im Donauraume verbreitet waren. Brücken galt es zu schlagen über reißende Flüsse, Brücken über weglose Abgründe.

BRÜCKEN GILT ES WIEDER ZU SCHLAGEN. Wie in früheren Jahrhunderten muß der Mensch wieder reißende Flüsse und weglose Abgründe überspannen. Aber es sind die Flüsse haßgetränkter Ideologien, es sind die Abgründe der Selbstsucht, des Nationalitäten- und Rassenwahnes. Flüsse und Abgründe, geduldet von hemmungsloser Besitzgier. Das läßt sich predigen. Das hört sich schön an. Bis es aber in die Tat umgesetzt ist, bis die christliche Solidarität Werte schafft, die auf Felsen gegründet sind, bedarf es vieler Opfer, und viel muß noch getan werden, auch in Oesterreich, der Brücke Europas.

ÖSTERREICH, DIE BRÜCKE EUROPAS. Wie steht es hier? Im Jahre 1954 gab es bei uns drei Baulager mit 120 Baugesellen. Der Wert der geschaffenen Arbeit betrug 93.000 Schilling. In jenem Jahre waren die Einsatzländer Oesterreich und Deutschland. Ein Jahr später, 1955, zählte man bereits sechs Baulager in Oesterreich, 500 Baugesellen schufen Werte von 5 54.000 Schilling. 1955 wurde außer bei uns noch in Deutschland, Belgien und Frankreich gearbeitet. Für das laufende Jahr, 1956, sind abermals die Lager verdoppelt worden, die Zahl der Baugesellen dürfte 800 erreichen. 1956 ist schon deswegen ein bedeutsames Jahr, weil heuer erstmals neben die belgischen, deutschen, holländischen, französischen und italienischen Baugesellen die Oesterreicher treten werden. In Aussicht genommen sind Vorhaben in sechs Diözesen. (Wer Lust hat, mitzutun, kann schon jetzt eine Karte dem Bauorden in Wien IX, Boltzmanngasse 14, schreiben.) Die Gesamtzahl aller tätigen Arbeiter wird heuer bei rund 4000 liegen. Jeder österreichische Baugeselle, der in einem Baulager bei uns gearbeitet hat, erwirbt die Berechtigung, an einem Einsatz im Auslande teilzunehmen. 200 Baustellen in Europa warten auf die österreichischen Brückenbauer! Bei uns in Wien soll jenseits der Donau, in der Leopoldau; im Burgenland in Stoob und möglichst an zwei bis drei weiteren Stellen; in Steiermark bei Mariazell und Kapfenberg; in Tirol innerhalb Kufstein, Solbad Hall, Völs bei Innsbruck, Scharnitz sowie im osttirolischen Lienz und schließlich in Oberösterreich an der Donau in Linz gearbeitet werden. Linter den Vorhaben befinden sich Wohnungen, Siedlungshäuser, ein Altersheim und eine Kirche in Oberösterreich; in Steiermark wird außer am Karmel in Mariazell noch an Häusern für Flüchtlinge gebaut; in Wien entsteht eine Siedlung für die Donauschwaben, wobei Initiator das Michaelswerk ist. Von einer Seite, von der man es zunächst am wenigsten erwartete, wird mit dem Elend der Baracken, von dem wir in einer Reportage berichteten, endlich ein Ende gemacht. Zweifellos leistet die Stadtverwaltung einen Zuschuß?

ZWEIFELLOS IST IN WIEN nichts zu erwarten. Auf das Ansuchen um Subvention -- Datum 27. Jänner 1956 — kam zunächst eine formelle Bestätigung und die übliche Mitteilung, daß man das Ansuchen an die in solchen Fällen immer auf dem Platze befindliche „zuständige Stelle“ weitergeleitet habe. Am 7. Februar, also verhältnismäßig rasch, kam die endgültige Erledigung. Man befaßte sich nicht mit dem Hinweis des Bauordens, daß es außer der Schaffung materieller Werte, außer Förderung des heimischen Gewerbes und der inländischen Industrie vornehmlich darum ginge, die Jugendarbeit auf eine breite und sichere Grundlage zu stellen, der geleisteten Arbeit einen inneren Sinn zu verleihen. Nein! Der Magistrat der Bundeshauptstadt beschränkte sich auf den einfachen Hinweis, daß man ohnehin große Mittel für den „sozialen Wohnbau“ aufwende; dies schließe aus, daneben noch „private Vorhaben“ zu unterstützen. Außerdem wies man auf die gesetzlichen Bestimmungen über den Wohnhausbau hin. Wie es mit diesen gesetzlichen Bestimmungen bestellt ist, entzieht sich unserer genauen Kenntnis, aber sie müssen stark von der Windrichtung oder dem geographischen Längengrad abhängen; in Oberösterreich jedenfalls bestehen sehr günstige Aussichten auf Unterstützung durch das Land. Aber der Magistrat der Bundeshauptstadt würde in verhängnisvoller Weise die wirklichen Grundlagen des Bauordens verkennen, bestünde man auch in fernerer Zeit auf dem ablehnenden Standpunkt. Unzweifelhaft ist das Vorhaben des Bauordens ein soziales; ja, wenn man genauer prüft, kann kaum ein Zweifel entstehen, w o der effektive Sozialismus am Werke ist. Der Bauorden erstellt Häuser, Landsiedlungen — auch für Flüchtlinge —, Altersheime und Schulen, allerdings auch Kirchen (und zwar im ungefähren Verhältnis von 80 Prozent Wohnbauten zu 20 Prpzent Kirchen). Die Häuser werden gebaut, ohne nach der Parteirichtung des Beziehenden, ohne nach seiner Sprache, ohne nach seiner Rasse zu fragen, und diese Häuser gehen kostenlos in das Eigentum über. Die Bauenden: auch hier keine Frage nach ihrer Herkunft. Der Großteil der öffentlichen Meinung in den durch Bauten beteiligten Ländern ist der, daß hier eine Gemeinschaft der Nationen, eine europäische Koordination am Werke (nicht am Rednerpult) ist. Was aber hätte der Sozialismus denn immer inniger erstrebt als einen Zusammenschluß aller arbeitenden und nicht nutznießenden oder ideologisch belasteten Nationen? Hat man bei uns ganz verkannt, daß wir außer der Barocke auch noch die Baracke unser eigen nennen? Daß österreichische Bundesbürger ohne Hab und Gut von ihren auswärtigen Besitztümern gejagt wurden? Wir möchten nicht gerne den Begriff des Sozialismus mit der Punktewertung des einstigen Wohnungsamtes oder den Eintrittsbedingungen in ein Obdachlosenheim verknüpfen. Wir sehen bloß die Tatsachen: daß Flamen, und zwar in der Haupterntezeit, nach Oesterreich und Deutschland kommen, um hier kinderreichen Familien ein Heim zu bauen und mit dem Heim überhaupt dem Begriff der Familie einen Inhalt zu geben; daß Deutsche nach dem vom Kriege schwer getroffenen Caen in die Normandie zum Wiederaufbau fahren. Weitab allem billigem Haschen nach Popularität, von abgedroschenem Abendlandgeschreibe wird durch den Bauorden ein praktisches Beispiel gegeben, wie man Dämme baut, die auch Sturmfluten Trotz zu bieten vermögen.

WIE SEHEN DIESE DÄMME AUS? Sie sind gewiß auch unter Verwendung von Eisen und Beton gebaut. Aber der Baustoff empfängt seine Festigkeit von den „drei B“. Sie heißen: Bauen, Bezahlen, Beten. Der bauende Geselle opfert drei Wochen seiner Zeit durch seiner Hände Mitarbeit. Indes: nicht jeder hat diese Zeit oder die Kraft und Gesundheit dazu. Er opfert deshalb monatlich einen Tageslohn für den Bauorden oder jährlich einmal einen halben Monatslohn. Die betenden Baugesellen können auch ältere Menschen sein, die durch diesen Beitrag zum Gelingen des Werkes ihr Teil leisten. Alle drei Gruppen zusammen bilden den Bauorden in den einzelnen europäischen Ländern. Die zahlreichsten Anmeldungen erfolgen, wie wir hören, immer bei den Baugesellen. Und das ist irgendwie bezeichnend. Die lugend Europas will nicht gegeneinander kämpfen, sie will miteinander arbeiten, leben und nicht töten, aufbauen und nicht zerstören. Daß diese jugendbildnerische Arbeit anderwärts Förderung fand, zeigte das Beispiel Westdeutschlands. Der Bundesminister für Wohnungsaufbau schickte zu einer großen Baustelle eigens einen Mitarbeiter und sprach seine Anerkennung über die „fachlich einwandfreie Arbeit auf rationelle Weise“ aus. Der deutsche Zweig des Bauordens (mit dem Sitze in Königstein am Taunus) erhielt 50.000 DM (300.000 Schilling) aus dem Bundes-jugendplan zugewiesen. Man hat dort erkannt, daß es nicht darum allein geht, Arbeit zu schaffen, sondern dieser Arbeit einen inneren Sinn zu verleihen.

DER INNERE SINN spricht aus den Briefen, die aus aller Welt in vielen Sprachen, aber doch in einem Sinn immer wieder beim Bauorden eingehen ..Die Arbeit beim Bauorden hat mir. gezeigt“, so schreibt ein Mann, „wie schön es ist, für andere da zu sein.“ Und nahezu wie ein Echo hallt die Stimme des Franzosen: „Mais mieux que de mots, nous garderons inscrits au fond du coeur ce sentiments de fraternite pro-fonde.“ (Besser als Worte bewahren wir im Herzen eingeschrieben diese Gefühle tiefer Brüderlichkeit.) Vom sturmumtosten Lande hinter den Deichen mit dem hohen Himmel und den vielen Sternen kam dieser Satz: „Het is de waarheid, dat ik rijker van dit bouwkamp ben weergekeerd dan dat ik vertrokken ben.“ (Das ist die Wahrheit, daß ich reicher von diesem Baulager zurückkehrte, als ich hinfuhr.) Und wieder ein Franzose kam zu der Erkenntnis: „Notre Dieux n'est pas le Dieux uniquement des Privilegien mais surtout le Dieux des mal-heureux.“ (Unser Gott ist nicht einzig und allein der Gott der Bevorrechteten, sondern vielmehr der Gott der armen Leute.) Ein Blondschopf, dem das Haar in die nasse Stirn hängt, meinte auf eine Frage bloß: „Wie wohl die meisten,fühle ich nicht, nachdem ich 14 Tage gearbeitet habe, daß ich etwas Besonderes geleistet habe. Es scheint irgendwie umgekehrt zu sein: Ich wollte geben und habe eigentlich empfangen.“ *

GEBEN HEISST EMPFANGEN. Die jungen Menschen, die zwischen siebzehn und sechsundzwanzig Jahre alt unten in Kärnten daran sind, der reichen opfervollen Geschichte unseres Glaubens ein neues Blatt zu schreiben, sind sich vielleicht selbst nicht restlos bewußt, welche unerhörte Bedeutung ihr Vorhaben im Atomzeitalter besitzt und weiter gewinnen kann. — Neben dem Bauorden wohl zu unterscheiden ist der unoffiziell so genannte „Orden der Baubrüder“, jene kleine Gemeinschaft in Kärnten, die von Mai bis November auswärts tätig ist und wintersüber mit einem Dieselmotor ein Sägegatter betreibt. Im Tagesprogramm findet sich Sport ebenso wie geistige Schulung, tägliche Arbeit und Andacht. In juristischem Sinne handelt es sich um ein Säkulare — zum Unterschied von einem Reguläre (Ordenspriestertum). Eine Gemeinschaft von Laienbrüdern, eine Weltpriesterschaft. Wichtig indes als Kristallisations-punkt und Organisationszentrum gemeinwichtiger Arbeit, von der Not, der großen Not der Zeit gerufen.

UNS RUFT DIE GROSSE NOT - so sangen sie oft, die Baugesellen, Schüler, Bauern, Studenten, Theologen, Professoren, wenn die Transparente mit dem roten Andreaskreuz und dem Worte „Bauorden“ ragten und irgendwo hoch auf dem Dachfirst das grüne Reis im Winde wehte. „Wir bau'n die neue Erde!“ heißt es in diesem Bauordenslied. Grünes Reis über unbefleckter Erde: ein leuchtendes Zeichen, eine Flamme ins lauernde Dunkel rings um uns. „Die Fackel ist entfacht worden“, schrieb der Innsbrucker Bischof, „nehmt sie auf und tragt sie weiter in alle Teile Oesterreichs und über die Grenzen hinweg, auf daß im Zusammenklang der Völker das neue christliche Europa werde.“

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