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Heiterkeit

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Ist Heiterkeit eine Tugend? Und ob das eine ist! Eine Prachttugend sogar! Schon deshalb, weil zur wahren Heiterkeit viel Selbstverleugnung gehört. Wir finden ja leider recht wenig Anlaß im Leben dazu, zur Heiterkeit nämlich. Das wollen wir gleich anfangs feststellen: wer darauf wartet, daß er von außen zur Heiterkeit angeregt wird, der wird vielleicht erst am Totenbette ein müdes, aber ehrlich heiteres Lächeln aufbringen. Da ist er nämlich dessen gewiß, daß ihm nun das Paket von Mißerfolgen, Enttäuschungen, Bitternis und Trübsal, das man Leben nennt, von den Schultern genommen wird. Nein, von außen ist nicht viel zu er-

warten: Heiterkeit ist eine Tugend, das heißt eine innere Haltung des Menschen. Deshalb ist es auch nicht wahre Heiterkeit, wenn im Kino die Späße eines amerikanischen Lustspieles mit Gewieher beantworte,: werden. Das ist eine reine Nervensache, ähnlich, wie man entgegengesetzt einen Tritt aufs Hühnerauge mit einem Schmerzensschrei erwidert. Heiterkeit ist auch nicht das krampfhafte Bemühen, alles komisch zu finden. Leute, die über alles lachen, gehören ins Irrenhaus. Bei einem Kongreß von Irrenärzten wurden die Möglichkeiten einer Gehirnoperation erwogen, durch die angeblich Geisteskrankheiten mit einem Schlag behoben werden könnten. Ein bissiger Arzt meinte: „Lassen wir doch die Kranken wie sie sind. So hat wenigstens ein Teil der Menschheit Freude am Leben, wenn es schon dem größeren Teil durch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung unmöglich gemacht wird." Mit krampfhafter Heiterkeit ist es also auch nicht getan. Wem gehen diese Leute nicht auf die Nerven, die ständig betont quietschvergnügt sind, denen man aber deutlich anmerkt, daß diese vergnügte Haltung ungesund und lebensfremd ist?

Umgekehrt: wer als Trauerweide durchs Leben wankt, ist auch kein angenehmer Staatsbürger. Wirklich nicht. Es gibt Leute, die eine eigene Begabung haben, jeden Frohsinn in ihrer Umgebung abzuwürgen. Gewiß ist das Leben schwer, aber man muß das doch nicht fortwährend betonen! Da ist ein heiterer Kreis beisammen, der endlich die Bitternis dieses Daseins ein wenig vergessen hat. Man plaudert, lacht und ist vergnügt. Da schleicht wie ein böser Geist eine Gestalt herein, mit Trauerflor behangen, ein Gefäß mit Wermut in der Hand

(ich meine hier nicht eine Flasche Cinzano!), und setzt sich auf einen Stuhl aus Safgholz. Dieses alles ist natürlich bildlich zu verstehen und soll die Wirkung dieser Gestalt andeuten. Und- dann öffnest sie die blutleeren Lippen und senfw-rsife, euqhbgeht’s gilt, Was, wißt ihr vom„ Leben! Wenn jemand soviel mitgemacht hat wie ich, dann würde ihm das Lachen vergehen . ,i " Dabei stimmt das gar nicht, denn den anderen ist das Lachen auch so schon vergangen. Und nun werden erschütternde Begebnisse aufgerollt, der ganze Jammer der Menschheit faßt uns an, und schließlich geht man betreten und verdrossen weg. Wenn nicht die Grabgestalt sich schon vorher erhoben und mit müdem Lächeln verabschiedet hat: „ … aber laßt euch in eurer Fröhlichkeit nicht stören. Für mich ist das nichts. Ich gehe." Wobei dieses „ich gehe“ in einem Tonfall gesprochen wird, als ginge es geradewegs zum Schafott. Was sollen die Hinterbliebenen jetzt machen? Wenn nicht einer einen Wutanfall bekommt und sich in derartigen Schmähungen ergeht, daß die Stimmung wieder belebt wird, dann bleibt nur ein trauriger Kreis zurück wie nach einer Testamentseröffnung, wenn die Steuerschulden die Erbschaft bedeutend überschreiten. Der einzig Heitere könnte in diesem Falle eben jene Trauerweide sein. Sie hat ja ihren Zweck erreicht: Freu’ ich mich nicht, soll sich auch kein anderer freuen.

Es wäre eine tiefgründige Untersuchung wert, warum man eigentlich so gerne Klagegesänge anstimmt. Fürchtet man sich vor dem Neid der Götter und Menschen? Hat man Angst, frohe Laune könnte auf eine gefüllte Brieftasche und Gebefreudigkeit schließen lassen? (Gefährliche Dinge, wenn sie zusammen vorkommen: an beiden erleidet man bald Einbußen!) Oder ist es eine Art von Gemeinschaftsgefühl: alle jammern, also jammere ich auch? Oder will man sich wichtig machen oder klagt man, um tröstend getätschelt zu werden? Oder spielt alles zusammen mit?

Man müßte bedenken, daß unsere Art und Haltung sich leicht auf den andern überträgt. Darf man dem Nächsten das Leben noch schwerer machen als es ohnehin schon ist? Entweder bricht er unter all den fremden Lasten zusammen oder er gewöhnt sich eine dicke Haut an. In beiden Fällen hat man ihm nichts Gutes getan.

Also soll man alles selbst schlucken und sich nie aussprechen dürfen? Doch, man soll sich aussprechen. Aber nicht wahllos. Natürlich soll man jemanden haben, einen Freund oder Vertrauten, bei dem man gelegentlich seine schmerzerfüllte Seele umstülpen kann. Das tut uns gut und gibt dem andern Gelegenheit zu einem Liebeswerk. Das ist aber etwas ganz anders, als jeden Beliebigen, der uns in den Weg läuft, mit Jammerschlamm zu übergießen.

Und man soll sich nicht jemanden für diese Seeleneröffnung aussuchen, der selber gerade zur Beratungsstelle für Lebensmüde geht.

Wenn doch mehr Heiterkeit in der Welt wäre, um wieviel leichter wäre das Leben! Wenn man wenigstens ein paar Menschen träfe, die Lebensmut und Zuversicht haben! Dabei kommt’s vor, daß gerade diejenigen sich um so trauriger gebärden, die ohnehin nicht soviel Anlaß zum Kummer haben wie andere.

Die Tugend der Heiterkeit sich anzuerziehen, das wäre ein großes und verdienstvolles Werk. Es wäre heute vielleicht das Werk der Nächstenliebe. Kann man das aber überhaupt fertigbringen? Nun, es kommt oft nur auf die Ansicht an, die wir von den Dingen und Begebnissen haben oder zu der wir uns erzogen haben. Man soll nicht blind durch die Welt gehen, weder blind für das Traurige in ihr, noch weniger blind aber für das Erheiternde. Gibt es denn wirklich sowenig Erfreuliches im Leben? Uebri- gens, auch die ewig Traurigen können manchmal, wenn sie sich unbeobachtet wähnen, recht munter sein. Gerät man dann in ihr Blickfeld, so ordnen sich ganz von selbst Kummerfalten in ihrem Gesicht. So etwas macht die andern mißtrauisch und herzlos.’ Ein beleibter Herr klagte mir einmal bewegt seine Not. Als ich mit einem taktlosen Blick auf sein dickes Bäuchlein bemerkte: „No, irgend etwas am Leben wird doch auch Ihnen Freude machen?“,

da legte er betrübt seine fettgepolsterten Patschhändchen auf die Leibeswölbung und meinte traurig: „Lauter Kummerspeck, lauter Kummerspeck, Herr Hochwürden!“

So vieles am Leben, was einen ärgert, könnte einen genau so gut auch erheitern. Und wenn es auch eine Art Galgenhumor ist: Galgenhumor ist immerhin auch Humor.

Vor allem der Christ! Eigentlich hat er allein Grund und Anlaß zur wahren Heiterkeit. Das Leben des Heiden ist wesentlich hoffnungslos und er kann sich nur betäuben oder mit greller Lustigkeit wegtäuschen über den Jammer der Erde. Für den Christen kann das Leiden einen Sinn haben, wenn er ein rechter Christ ist. Er kann es zum Kreuze wandeln, und gerade das ist der Grund der wahren christlichen Heiterkeit. Freilich gehört allerlei dazu. Erstens einmal ein unbedingter Glaube an das Reich Gottes. Wer in diesem Leben nur etwas Vorläufiges sieht und wahrhaft glaubt, daß das eigentliche Leben erst nachher kommt, der wird das diesseitige Leben samt seinem Kummer nicht so entsetzlich ernst nehmen. Zweitens der feste Glaube an die Gnade und das Kreuz. Daß nämlich unser zukünftiges Leben vom Maß der Gnade abhängt, das in uns ist, und daß dieses. Maß durch das Kreuz vor allem vermehrt wircl Wer das hat, der hat alles, um heiter zu sein. Was ihn niederdrückt, das ist zugleich der Weg nach oben, in das Reich und das Herz Gottes hinein. Wie gesagt: auf die Ansicht der Dinge kommt es an. Der Glaube zeigt uns die erfreuliche Seite des Leidens, die Auferstehungsse:te des Kreuzes.

Tiefer Glaube führt uns zur Heiterkeit. Deshalb ist sie ja so selten.

Wir müssen uns wirklich um Heiterkeit bemühen. Dem Reiche Gottes wäre ein großer Dienst getan, wenn seine Anhänger heiterer wären. Wenn man die verbissen frommen Gesichter so mancher Frommer sieht und ihre wütenden Blicke auf alles Weltliche, dann wundert’s einen nicht, daß Kinos und Fußballplätze besser besucht sind als die Kirchen. Christlich und griesgrämig scheint für viele das gleiche zu sein, Lachen und Munterkeit ist unkatholisch. Nur den freudigen Geber hat Gott lieb, sagt der heilige Paulus im 2. Korintherbrief, 9, 7. Auch die Menschen haben nur den freudigen Geber lieb. Schenken wir doch der Welt die tiefe, innige Heiterkeit des Christen, der die Welt überwunden hat.

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