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Helden oder Opfer?

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Am 19. September 1954 fand für eine Reihe österreichischer Widerstandskämpfer, die zehn Jahre zuvor im Wiener Landesgericht hingerichtet wurden, an der Stätte der Hinrichtungen eine bescheidene Feier zu ihrem Gedächtnis statt. Iii meiner Gedenkrede dortselbst sprach ich von der Notwendigkeit, gerade jetzt in Österreich das Zeugnis dieses jungen Menschen zu hören. Man feiere jetzt, so erklärte ich, so viele „Helden“ in zahlreichen Treffen und Heldengedenkfeiern. „Es wäre dem Andenken unseres Alfred Rabofsky und dem Gewinn seines Sterbens für uns nicht gedient, wenn wir diese Millionen Menschen, die da gestorben sind auf den Schlachtfeldern, denunzieren wollten, etwa als .Kriegsverbrecher'. Gerade* deshalb muß es offen und gut deutsch gesagt werden: Helden waren sie nicht. Sie waren Opfer, Schlachtopfer, deren Sterben aber keine befreiende Kraft zukommt.“ — „In die Zukunft, in ein neues Leben weist nur das Sterben der einsamen anderen, von denen Alfred Rabofsky einer war. Von diesem jungen Schriftsetzer können wir lernen, was wir heute zuallererst brauchen, eine gute Kraft und eine gute, illusionslose Hoffnung. Die Kraft, um Widerstand zu leisten auch einer scheinbar allmächtigen Machtmaschine gegenüber, und die Hoffnung, daß es immer wieder Menschen geben wird, für die ihr Gewissen entscheidender ist als Furcht und Angst.“

Ich schloß damals, am 19. September 1954, meine Rede mit den Worten: „Wenn wir aus diesem Raum hinaustreten, wollen wir das mit uns nehmen: Wir dürfen uns selbst achten und dürfen unser Leben für lebenswert halten, solange wir das Zeugnis, das Blutzeugnis des jungen Menschen annehmen, der hier vor zehn Jahren, am 19. September 1944, starb, weil er wußte, daß die größte Militärmacht und Diktatur zerbrechen muß, wenn ihr kleine Leute entgegentreten, die keine Furcht haben.“

Als ich damals, im September 1954, aus dem Wiener Landesgericht hinaustrat, wußte ich nicht, was mir bevorstand: eine monatelange Kampagne „nationaler“ Kreise gegen diese Feier und gegen meine Rede, in der man mit dem Kommunistenschreck und der Heldenverehrung aller Farben arbeitete, geschickt und erfolgreich spekulierend auf die damals besonders große Feigheit in bürgerlichen Schichten. Der Hintergrund dieser Angriffe war die weitverbreitete Meinung, „ein Kommunist ist kein Mensch“, und von den sogenannten österreichischen Widerstandskämpfern sprechen wir am besten gar nicht.

Erinnern wir uns noch an die bis vor gar nicht so langer Zeit vorherrschende Atmosphäre in Österreich: Bei Veranstaltungen zu Ehren österreichischer Patrioten, die für Österreich gestorben waren, ließen sich kaum je prominente Vertreter der beiden Regierungsparteien sehen. Nun, das begann sich ja doch inzwischen ein wenig zu ändern ...

1954 wußte ich nichts näheres über die letzte Stunde des Alfred Rabofsky. Ich wußte nur, daß er, der einer kommunistischen Widerstandsgruppe angehört hatte, ein reiner Mensch, ein österreichischer Patriot, ein treuer Freund, ein guter Kamerad gewesen war. Das genügte mir, diesen jungen Menschen zu ehren.

Am 30. März 1957 veröffentlichte der ehemalige evangelische Seelsorger im Wiener Landesgericht, Pfarrer Hans Rieger, im Rahmen einer Artikelserie in der „FURCHE“ über das Sterben in dieser Anstalt seinen Bericht über die letzte Stunde des Alfred Rabofsky. Rabofsky bat ihn um das Abendmahl. Er tröstete zuvor den Pfarrer, der keinen Talar, keine Hostie, keinen Kelch zur Verfügung hatte: „Nehmen Sie doch so ein Bröckerl Brot, und wir haben das heilige Abendmahl, wie es der Herr Jesus selbst gehalten hat. Und das Lackerl Wein, das wir brauchen, gibt Ihnen bestimmt oben im Spital die Schwester. Und wenn Sie statt des goldenen Kelchs ein Wasserglaserl nehmen, wird der Heiland darüber bestimmt nicht böse sein!“ Pfarrer Rieger bekennt sich überwältigt von dem Glauben dieses jungen Kommunisten. „Rabofsky, wenn Sie solchen Glauben haben, dann bekommen Sie heute von mir das heilige Abendmahl so, wie Sie es sich jetzt gewünscht haben: ohne Talar, ohne Hostie, und doch den wahrhaftigen Leib und das wahrhaftige Blut unseres Erlösers.“

Rabofsky kam als letzter an die Reihe bei den Hinrichtungen dieses Tages. Einer nach dem anderen wurde vor ihm abgeführt. „Rabofsky stand mit gefesselten Händen völlig ruhig da. Sein Gesicht verriet nicht die geringste Spur von Verzweiflung oder Todesangst. Er glich eher einem jener seltsam glücklichen Menschen, von denen alle Last des Lebens, alle Last der Verantwortung vor Gott und den Menschen abgefallen war.“

Diesen Bericht aus der „FURCHE“ hat Hans Walter Bahr in sein Dokumentarwerk übernommen. Und hier hakt in seiner Besprechung der Stalinist Lew Ginzburg, der Moskauer Literat, in der sehr prominenten Zeitschrift „Literaturnaja Gazeta“ am 3.“ März 1962, ein.

Lew Ginzburg läßt hier zunächst seine „Helden“ zu Wort kommen, das heißt jene Toten, die er als kämpfende Repräsentanten des Menschen anspricht. Dann wendet er sich den elenden anderen zu, den Schwachen, Feigen, den Verrätern und den Kapitulanten. Ginzburg zitiert die letzten Worte eines im Brandenburger Zuchthaus 1944 hingerichteten deutschen Kommunisten:

Im letzten Augenblick schrieb er noch ein Vermächtnis an die Lebenden . . . Hütet euch, charakterlose Menschen zu werden! Diese Worte fanden keinen Zugang bei Heinrich Lindner, Sebastian Mendelssohn-Bartoldy, Alfred Rabofsky, aber warum wollte eigentlich Dr. Bahr nicht, daß die Heutigen, die Lebenden, sie hören? Charakterlosigkeit ist die Schwester der Feigheit und des Verrates. Spießbürgerliche Passivität führte zur Großzahl der ' - Leiden und ist der Menschheit teuer zu stehen gekommen . ..

Zuvor hat Lew Ginzburg die „Kapitulation“ Rabofskys folgendermaßen für sein großes sowjetrussisches Publikum dargestellt:

Der Mensch kapituliert.

In London machte Virginia Woolf ihrem Leben ein Ende. Sie war gepeinigt vom Gekreisch der Sirenen und dem Alarm, von der ständigen Angst vor den Bombenangriffen. Der junge Revolutionär Alfred Rabofsky war in Wien in Haft. In der Zelle kommt der Gefängnisgeistliche. Rabofsky sucht Trost im Gebet: „Mir tut nur eines leid, nämlich, daß, wenn ich sterbe, ich mich nicht mehr dem Herrn opfern kann. Wenn ich am Leben bleiben würde, so würde ich ihm von heute an dienen.“ Der Geistliche beruhigt Rabofsky: „Kränke dich nicht, mein lieber Bruder, es ist leichter, dem Herrn im Himmel als auf der Erde zu dienen ...“

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