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Herbert von Karajan

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Die Wiener Philharmoniker hatten wieder einmal einen ihrer großen Tage. Er stand am 13. Jänner im Zeichen Herbert Karajans, der das Sechste Abonnementkonzert des berühmten Orchesters dirigierte und im Sturm die Herzen der Zuhörer wie der ausübenden Musiker gewann. Herbert von Karajan ist in Wien kein Unbekannter. Doch wurde er, obwohl aus Salzburg stammend, seit Jahren der Hauptstadt seiner Heimat geflissentlich ferngehalten. Man gab den Künstler in Berlin aus engherziger Konkurrenzsucht nicht frei.

Wir erinnern uns noch daran, wie Herbert von Karajan schon in seinen Studentenjahren in Salzburg ,sich öffentlich als Dirigent zeigte, wie er einmal mit wenigen Proben und einem aus allen Windrichtungen zusammengeholten Solistenensemble in einem der opernlosen Salzburg Winterhalbjahre eine Aufführung von Richard Strauß' „Salome“ herausbrachte, die bei aller Unzulänglichkeit der Mittel und der improvisierten Vorbereitung vom Dirigentenpult her Profil erhielt und für den jungen Draufgänger eine erstaunliche Kraftprobe darstellte. Seit dann der Künstler den heimatlichen Bereichen entrückt war, drang manches Gerücht, manche Kritik an unser Ohr„ die etwas an Sensation gemahnte. So sah man nach manchem Jahr einer Wieder-begnung mit Spannung und vielleicht auch mit einer Kleinigkeit von Skepsis entgegen.

Nun, die Skepsis verflog bereits nach wenigen Takten der Introduktion zum ersten Satz von Joseph Haydns D-dur-Symphonie, mit der der Dirigent sein Konzertprogramm eröffnete. Ein schlanker, fein-gliedriger Mann betritt das Konzertpodium. Jugend und reife Gefaßtheit kennzeichnen in selten anzutreffender Ergänzung den ersten Eindruck dieser Künstlererscheinung. Sobald er den Taktstock führt, erhält sein Ausdruck einen visionären Zug, und wie in schlafwandlerischer Entrücktheit scheint er, ein Medium höherer Macht, seine inneren Gesichte geschlossenen Auges auf seine Musiker zu übertragen. Er-bedarf nicht der Gedächtnisstütze der Partitur, bedarf nicht der Hilfe des verständigenden Blicks, seine nervigen Hände scheinen die tönenden Gewalten zu modellieren. Die Bewegungen der Arme sind im allgemeinen maßvoll, nur an besonders markanten Stellen wird solche Zurückhaltung abgelegt. Immer aber bleibt der Ausdruck erfüllt und von faszinierender Kraft. Die Intensität bildet bei dieser Dirigierleistung das Entscheidende.

Herbert von Karajan zählt zu den Dirigiervirtuosen im guten Sinne des Wortes. Er weiß jederzeit sich dem Orchester verständlich zu machen, spielt aber nicht mit dieser Gabe, um billige Effekte dadurch zu erzielen, sondern bedient sich seiner technischen Virtuosität zur Befreiung vom Druck der zur Mitteilung drängenden Klangvisionen. Es liegt in seinem Dienst am Werke etwas Weihevolles.

Zum Programm ist nicht viel zu sagen. Haydns Symphonie Nr. 104, die „Salomon“ bezeichnete letzte Londoner, die auf Kosten all ihrer lieblichen Schwestern seit Jahr und Tag im Konzertsaal unentthronbar eine Vorrangstellung einnimmt, ließ die dargelegten Vorzüge des Dirigenten sogleich in Erscheinung treten. An ihrer Schlichtheit und einfachen Gemütstiefe deutelte hier kein Interpret herum, der es auf' eine neue, besonders „originelle“ Auffassung abgesehen hatte. Sie wirkte in ihrer unverfälscht Haydnschen Art, wunderbar klar und ungemein lebendig. Flammen der Leidenschaft schössen bei der Wiedergabe von Richard Strauß' Tondichtung „Don Juan“ empor, die ihr Alter von fast sechs Jahrzehnten Lügen zu strafen schien und in der Glut ihrer Farben nicht das geringste eingebüßt hat. Sehr fein wußte der Dirigent inmitten der drangvollen Bilder zugleich auch den Zusammenbruch des Helden vorausblickend vorzubereiten. An Spannungen reich der Bau der I. Symphonie von Brahrns, wie er /on Karajan überzeugend disponiert wurde. Von wundervoller Pikanterie im Klanglichen das Seestück des Allegretto e grazioso. Die großangelegte Steigerung des Finales mit dem strahlenden Sonnenaufgang in dessen Einleitung gab ' dem Konzert einen Ausklang, der das Publikum zu begeisterten Ovationen hinriß.

Die Wiener Philharmoniker gaben ihr Bestes. Sie erfühlten mit sicherem Instinkt die starke künstlerische“ Kraft des Mannes am Dirigentenpult und wußten sich mit diesem sogleich eines Sinnes. Man hat das Orchester schon lange nicht so passioniert spielen gehört.

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