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Herders Staatslexikon: 1. Band

19451960198020002020

Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft. Herausgegeben von der Görresgesellschaft. Sechste, völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Erster Band. Abbe bis Beyerle. Verlag Herder, Freiburg.8 Seiten + 1246 Spalten

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Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft. Herausgegeben von der Görresgesellschaft. Sechste, völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Erster Band. Abbe bis Beyerle. Verlag Herder, Freiburg.8 Seiten + 1246 Spalten

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Mit uneingeschränkter Bewunderung begrüßen wir die Neubearbeitung eines altbewährten Nachschlagewerkes, das dem politisch Interessierten, dem Volkswirt, dem Juristen eine Uebersicht ihrer Wissensgebiete in lexikalischer Form darbietet und,das darüber hinaus einen jeden Gebildeten angeht. Gleich dem Großen Herder sucht auch dieses Monumentalwerk unbefangene, sachliche Information zu vermitteln, ohne den eigenen katholischen Standort zu verleugnen. Das ist wiederum aufs beste gelungen. Darin liegt ein erster Vorzug des auf acht Bände berechneten Unternehmens. Eine zweite rühmliche Eigenschaft finden wir in der Zeitgemäßheit, die aber keineswegs mit Zeitgebundensein gleichzusetzen ist. Gegenüber früheren Auflagen hat sich die Stoffverteilung gewandelt. Wirtschaftliches, Technisches jwird nun stärker berücksichtigt. Dennoch behält der Geist, der über allem Materiellen schwebt, seinen Vorrang. Der Blick auf die Menschen und auf ihre Gemeinschaften ist weltenweit und klar. Drittens, die Auswahl der Mitarbeiter und die Koordinierung ihrer Beiträge ist wohlgeraten. Auch da verdient die Vorurteilslosigkeit der Herausgeber unsere Anerkennung. Viertens, die im ersten Band erörterten Schlagwörter lassen nur wenige Wünsche nach Ergänzung offen; die Proportionen zwischen den einzelnen Artikeln sind fast ausnahmslos richtig gewahrt. Fünftens, das synthetisch mustergültig Zusammengefaßte entspricht, soweit der Rezensent zum nachprüfenden Urteil sich befugt glaubt, den höchsten Anforderungen an Zuverlässigkeit. Einziger Einwand, den er, ach, so oft und meist vergebens wiederholen muß: die Aufmerksamkeit kehrt sich mitunter zu sehr auf die deutschen Verhältnisse, und sehr häufig kommt das Ausland bei den Literaturangaben zu kurz. Das gilt besonders für Veröffentlichungen in slawischen Sprachen, doch auch für italienische und spanische Werke.

Die Biographien des Staatslexikons behandeln führende Politiker, Denker, Gelehrte aus den Fachgebieten der Staatswissenschaft, der Jurisprudenz, der Nationalökonomie und manchmal einen Erfinder, einen Industriellen, einen Kaufmann, die für die Volkswirtschaft von Belang waren. Unter diesen überragenden einzelnen gewidmeten Schlagwörtern heben wir hervor: Albertus Magnus, Aristoteles, Augustinus. Zeitlich näher sind uns Atatürk, Ballin, Bat'a, Bebel, Benesch. Benz. Wir vermissen Babeuf, Bachofen (Mutterrecht!), Berija, besonders Beccaria, vielleicht auch Bakunin und Otto Bauer.

Einer der Mittelpunkte dieser Enzyklopädie sind die Länderartikel, voran die vorzüglichen über Afghanistan, Aegypten (etwas zu günstig für Nasser, kein Hinweis auf die Rolle Ueberlebender des Dritten Reiches in der heutigen arabischen Welt), Arabische Bewegung, Argentinien. Aethiopien, Australien, Baden-Württemberg, Balkan (zumal der historischpolitische Teil von Stadtmüller, doch sogar hier völliges Fehlen maßgebender östlicher Literatur zum Thema), Baltische Staaten, Bayern, Belgien (glänzend) und, an Reichtum des Stoffs und der Gedanken ebenso vorbildlich wie durch Gliederung und Beherrschung der Materie, Afrika (von Erwin M a i und Josephine H u p p e r t z). Neben dieser Leistung fällt die auf acht Spalten (gegen 42 für Afrika) zusammengepreßte Darstellung Amerikas nicht nur dem Umfang nach ab.

In hohe Geistesregionen geleiten uns kleine Monographien wie die über das Abendland (Dempf), den Absolutismus (H a n t s c h), den Amerikanismus (P. Jordan, der da seine Sachkunde ganz anders zum Ausdruck bringt, als im vorerwähnten allzu verdickten Liebig-Extrakt über Gesamtamerika), Anarchismus, Antisemitismus, Aufklärung, Autorität (Richard H a u s e r, vorzüglich). Wichtige politische und soziologische Probleme werden behandelt, so unter den Schlagwörtern Adel (auf sieben Spalten, dennoch ungenügend, weil fast ganz unter deutschem Blickwinkel), Akademiker (ähnlicher Vorbehalt, so ist weder die Situation in Frankreich — B e n d a s „Trahison des clercs“ — noch die östlich des Eisernen Vorhangs — Dudinzev, Po Prostu. Petöfi-Kreis — entsprechend gewürdigt), Arbeiter (Götz Briefs), Bauer (Oskar Köhler), beides in jeder Hinsicht vollkommen, Bevölkerung, samt der Bevölkerungslehre und der Bevölkerungspolitik.

Ueber Gegebenheiten und Sachverhalte unterrichten ausgezeichnet die Artikel Abgeordneter, Abrüstung, Arbeit (3 3 Spalten), Ausländer, Aus-und Einwanderung, Auswärtiger Dienst (sehr löblich, doch wiederum nichts über den Osten), Beamte, Beruf. Aehnlichen, wesenhaft informativen Charakter zeigen die Darstellungen bedeutsamer volkswirtschaftlicher Themen: Absatz, Agrarmärkte, Agrarpolitik, Agrarreform, Agrarsoziologie, Agrarverfas-sung, Aktiengesellschaft, Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarkt, Arbeitsrecht, Arbeitsschutz, Automobilindustrie, Banken, Baugewerbe, Baumwolle, Bergarbeiter, Bergbau, Beschäftigungspolitik, Betrieb, Betriebssoziologie, Betriebsverfassung, Betriebswirtschaftslehre. In die Psychologie spielen hinüber die Fragen der „Anpassung“, des „Bedürfnisses“ und der „Begabung“. Die Naturwissenschaft meldet sich vernehmlich mit den sehr beifallswürdigen Artikeln über Atomenergie, Automation.

Selbstverständlich sind in diesem bei Herder durch die Görresgesellschaft herausgegebenen Staatslexikon die religiösen Angelegenheiten Gegenstand kundigster Sorgfalt. Das bestätigen sowohl die Ausführungen über den Altkatholizismus (A I g e r m i s-s e n), die Anglikanische Kirche, die Baptisten und die Bekennende Kirche — alle im Geiste verstehender, liebevoller christlicher Brüderlichkeit — alt auch in gedrungener Sachlichkeit die Darstellungen der Anthroposophie und des Athe'ismus (beide von J. Lenz) und des Benediktinerordens. Drei Artikel hat sich der Rezensent für den Abschluß vorbehalten. Den einen, weil er mit ihm sehr wenig einverstanden ist, über Alldeutsche, die beiden anderen, weil sie sein hellstes Entzücken weckten und zusammen mit dem „Abendland“ Dempfs, wie mit der Afrikadarstellung wohl das bemerkenswerteste Vollbringen in diesem Bande verkörpern: die meisterhafte Anthropologie (wiederum von Dempf und von J. K ä 1 i n), dann die unübertreffliche Bewältigung eines so komplexen und umstreitbaren Gegenstandes wie die Auswärtige Politik durch Arnold B e r g s t r ä s s e r. Da ist jeder Satz klug durchdacht und das Ergebnis immenser Kenntnisse wie das einer vollendeten Kunst klarer Darstellung. Sogar, oder sollen wir sagen vor allem, an der Bibliographie beider Darstellungen erprobt sich und bestätigt sich jeder der zwei Verfasser in seiner virtuosen Zuständigkeit.

Mit gespannter Erwartung, die sicher ist, nicht enttäuscht zu werden, sehen wir den folgenden Bänden des so glücklich begonnenen erneuerten Staats-lcxikons entgegen.

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