6535064-1946_11_13.jpg
Digital In Arbeit

Hermann Bahr — der Österreicher

Werbung
Werbung
Werbung

In etiler lauwarmen Sommernacht liest der zwanzigjährige Hörer der Grazer Universität Hermann Bahr oben auf dem Schöckel einer kleinen Schar von Studienkollegen aus Nietzsches „Zarathustra“ vor. Seine lebhaften braunen Augen verraten inneres Feuer; die Worte, die sich plastisch, zwischen den Lippen formen, weisen auf eine starke rednerische Begabung. Das hat man schon in Wien erkannt und ihn darum eingeladen, die Trauerrede auf den Tod Richard Wagners zu halten. Aber dem impulsiven jungen Linzer war das Temperament durchgegangen.

Doch auch in Graz leidet es den Unrast nicht lange. Als ihm sein Kreis nichts Neues mehr geben kann, setzte er sich eines Tages rasch entschlossen und die Brücke hinter sich abbrechend — das ist nun einmal so seine Art — auf die Bahn und fährt nach Czerno-witz. Kurze Etappenstation seiner Wanderjahre. 'Der Bohemien, schon damals bis in die Fingerspitzen nervös — er nennt das „Modern sein“ — sieht auch hier nur Philister. Und die mag er nicht leiden. Alles ist so bürgerlich und fleißig! Und davor graut ihm. Da spottet er, frech wie er ist, darüber, spielt sich auf den Frauenverächter hinaus, der der Erfolge beim weiblichen Geschlecht überdrüssig ist, und entdeckt plötzlich den Revolutionär in sich. Audi darin sieht er das Moderne. Und darauf kommts ihm ja an. Mit der Nase eines Spürhundes wittert er immer das Kommende, das Aktuelle in der neuen Begabung. Da muß er dabei sein! Da will er führen und wecken. Denn er fühlt sich zum Apostel berufen und sieht seinen Ahasver-Weg klar vorgezeichnet. Sein überschäumendes Lebensgefühl, der rastlose Motor alle Dezennien seines Literatendaseins hindurch, treibt ihn weiter. Wo ist jetzt das Moderne? Und wo das Revolutionäre? Auf nach Berlin! Und der Künstler wird Symbolist, der Revolutionär aber verschreibt sich dem Marxismus. Doch immer neue Fragen richtet er an das Leben und nie soll er befriedigt werden. Das ist sein Sdiicksal. „Als ob die Welt gerade nur auf mich gewartet hätte, um von allem Übel erlöst zu werden!“ ruft er in Paris über diese Episode ironisch aus. Drei Jahre hat die Berliner Bummelei gedauert. Marx ist erledigt, denn man ist nun Individualist geworden, und der Ästhet fordert ungestüm das Recht der persönlichen Kultur. In Paris sei er erst zum Menschen erwacht. Da sei der Künstler in ihm erstanden, berichtet er später einmal. Und er sdiwört auf die französiche Kunst, verehrt sie mit inbrünstiger Andacht und kämpft für sie. Mit Leidenschaft und heiliger Überzeugung. Sie wird ebenso echt sein, wenn er sich in späteren Jahren zur Renaissance, zum Expressionismus oder Neukatholizismus bekennt: Bahr, ein buntschillernder Film der Literaturgeschichte, in dem jeder -Ismus durch geistvolle Essays, durch einen Roman

oder ein Theaterstück vertreten erscheint. Für

den Mann der ewigen inneren Wandlung, den immer Werdenden, für den stets Agilen und Arbeitsfrohen, für den vollsaftigen Strei-

ter und inbrünstigen Bekenner gibt es nur eine Devise. Und die heißt: Vorwärts!

Frankreich ist ausgekostet. Wohin nun? In Berlin leidet es ihn nicht lange. Zurück also in die Heimat! Und Bahr, nun schon mit dem angehenden Patriarchenbart behaftet und darob mit Sudermann und Brahms gern verwechselt, entdeckt im Wiener Kaffeehaus die „Heimstätte des geistigen Lebens und die Zentrale der zeitgenössischen Kultur“. Und er wird Mittelpunkt der Jung-Wiener Schule, bei der — klingt es nicht paradox? —Ibsen anläßlich der Burgtheateraufführung seiner „Kronprätendenten“ Pate gestanden. Da ist Burckhard und Hoffmannsthal und Richard Kralik, da ist Peter Altenberg und Arthur Schnitzler. Paris tritt zurück, Hermann Bahr hat den Österreicher in seiner Brust wiedergefunden. Den Österreicher der theresianisdien Zeit, an den er glaubt. Den „barocken Benediktiner“, der ihn im Alter nach Salzburg geleiten soll. Barock — das ist der schönheitstrunkene Künstler Hermann Bahr, der das Farbige liebt, österreichisch — das ist sein musikalisches Empfinden und die ungestillte Sehnsucht in seinem Herzen. Das ist schließlich der geborene Feuilletonist, der geistvolle Plauderer und Kritiker. Beides auch als Dramatiker und Romanschriftsteller. Immer elegant und blendend in der Form,

Immer bildhaft anschaulich und“ melodiös m

der Sprache, immer heiter und liebenswürdig. Wer konnte so wirksame Schlagworte propagieren wie Hermann Bahr in seinen Tagebüchern und Essays, die wie ein Brennspiegel nicht nur Österreichs, sondern des ganzen kulturellen Europas wirken! Der Kritiker aber ironisiert sich selbst, wenn er vom Vertreter seines Handwerks sagt, er sei ein Kautschukmann und Schlangenmensch des Geistes, der immer aus seiner Haut in eine fremde Natur kriecht, um aus ihr heraus zu berichten ...

Stets setzt sich der sprühende Konver-sationalist mit dem gleichen Feuer ein. Wer ihn gerade besdiäftigt, in den ist er verliebt, von dem ist er besessen. Moissi, Klimt, Maeterlinck, Mahler, Bruckner und Hugo Wolf... man könnte die Reihe fast endlos fortsetzen. Immer geben mit vollen Händen und aus überquellendem Herzen! Alles nur mit Liebe sehen und keinen Haß kennen! Wo ist das Allgemein-Menschliche, wo das Moderne, wo das Neue?

Als Hermann Bahr aus der Fremde nach Wien zurückkehrt, bahnt sich aber eine große innere Wandlung an. Er befaßt sich mit Zukunftsentwicklungen der Kunst und ge-

langt zur Erkenntnis, daß et nur mehr siteliche Probleme zu lösen gebe. Und der Schönheitsucher, der vielseitige graziöse Proteus der österreichischen Literatur, gelangt im weiteren Verlauf dieser Wandlung und am Abschluß seines Schaffens, nach seinem eigenen Einbekennen, über Plato zu Christus. Hier bietet sich ihm die befriedigende Antwort auf all die Fragen, mit denen er gerungen. Von den vielen Offenbarungen, die er entdeckt zu haben glaubte, ist dies die letzte für ihn. Vom Irdischen abgewandt erlebt er das Christentum und gelangt zu einer wundersamen, vorher nie gekannten Ruhe und Beseligung. Von den großen seelischen Ereignissen seiner Pilgerfahrt das größte, das tiefste und nachhaltigste, das bleibende.

Hat sich Hermann Bahr auch oft geirrt — was schadet's! Er hat gekämpft mit offenem Visier. Und was die Hauptsache ist: untreu war er sich nie. Hatte ihm eine Richtung das Letzte gegeben, dann suchte er weiter. Darin blieb er sich gleich, nur die Wege haben sich geändert. Wie sagt er doch . in einem Stammbuchblatt: Niemals derselbe ■— und immer derselbe!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung