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HERR, HERR, DU LERST JA WIRKLICH!

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Herr mich überkommt oft ein ungutes Gefühl, wenn ich in einer Barockkirche stehe. Damals hat man offenbar so an Dich geglaubt, wie diese Kirchen sind: voll Schwung und Freude und Leben. Aber ich kann mir nicht helfen, Herr, mir fällt dabei immer die Brieftasche eines verarmten Adeligen ein, die ich einmal zufällig zu Gesicht bekam. Sie war aus feinem Leder und ein goldenes Wappen war eingepreßt. Aber das Leder war abgegriffen, das Gold abgewetzt und in der Brieftasche selbst war nichts. Sie war bloß Zeichen einer großen Vergangenheit und nicht viel mehr.

Herr, Du weißt, wie oft ich mit meinem Mitbruder und Freund, der jetzt bei Dir ist, über dieše Dinge gesprochen habe. Wir haben, jung und klug, wie wir waren, festgestellt, daß im religiösen Leben unserer Tage noch viel Form vorhanden sei, aber wenig Inhalt. Ich erzählte ihm von Seelsorgearbeiten in bäuerlichen Gemeinden, wo noch üppiges Traditionschristentum herrscht. Am Freitag ein Stück Fleisch in den Mund zu stecken, ist ein arges Vergehen, in Notzeiten für Brot Wucherpreise zu verlangen, ist überhaupt keins. Mit einem Teil dieses ungerechten Mammons wurden dann Glocken angeschafft, die rufen das Volk am Sonntag in dit Kifche und dort hören sie das Wort! . Was ihr dem Geringsten Meiner Brüder getan habt, das habt ihr Mir getan.“ Sie hören es, aber niemand wird unruhig. Wir haben von den vielen kirchlichen Organisationen gesprochen und gesagt: der Rahmen für ein reiches katholisches Leben sei da. bloß das Leben selbst fehlt. Wir haben von Ordenschristen gesprochen, männlichen, weiblichen und sächlichen Geschlechts (wer kein Herz hat, ist eine Sache), die jeden Buchstaben der Regel befolgen, aber nicht wissen, daß jeder Buchstabe in lebendiger Liebe befolgt werden muß, weil er sonst eben nur ein Buchstabe ist, Form ohne Inhalt.

Ja, ja, viel Form und wenig Inhalt. Aus einer offenbar glaubensfreudigeren Zeit sind Kirchen, Vereinigungen, Gebräuche, Gebete und Lieder zurückgeblieben, aber es ist alles recht verstaubt und dürr und tot. Wir haben auch fest- gestellt, daß diese Formen von früher den Menschen von heute beim besten Willen nicht ansprechen können. Sie passen einfach nicht zu ihm. Man kann nicht in der Kirche rin Barockmensch sein und am Alltag mit einer Wochenkarte fahren.

So haben wir all das Starre und Unlebendige am christlichen Leben mit Bitternis betrachtet, Herr, und viel, geredet, und manchmal recht hoffnungslos geredet.

Im Evangelium vom Ostermorgen steht aber, daß Petrus und Johannes zum Grabe liefen. Sie sahen die Leichentücher, in denen einmal der Herr gewesen war. Herr, ich möchte so gerne wissen, wie diese Leichentücher ausschauten. Denn es heißt weiter, daß der andere Jünger, Johannes, „sie sah und glaubte“. Er sah ein Leichentuch und glaubte!

Warum glaubte er? Er sagte sich: Leichenräuber hätten den Herrn samt den Tüchern weggetragen. Und wenn nicht, dann hätten sie die Tücher in einen Winkel geworfen. Sie lagen aber unverwirrt und geordnet da, und das Schweißtuch lag besonders zusammengefaltet an einer anderen Stelle, als ein Zeichen, daß der Herr nicht geraubt worden, sondern wirklich auferstanden sei. Und da glaubte er. Herr, Du hattest zwar Deinen Aposteln einige Male vorhergesagt, daß Du auferstehen würdest, aber sie haben diese Worte wahrscheinlich sinnbildlich genommen, ähnlich wie wir. Nun sahen sie die Tücher daliegen — Form ohne Inhalt — und erkannten. daß Deine Worte von der Auferstehung buchstäblich gemeint gewesen waren.

Herr, Petrus und Johannes blieben nun nicht in der Grabhöhle und sie führten nicht weise Gespräche, daß Du sicher einmal in diesen

Tüchern gewesen seist, jetzt aber seist Du ebenso sicher nicht mehr in ihnen. Sie gingen aus dem Grab und freuten sich schüchtern auf Dein Kommen. Denn daß Du nunmehr kommen v.'ürdest, das glaubten sie jetzt unverbrüchlich.

Wir aber, Herr, wir bleiben so gern in der Grabhöhle, wir führen fachlich hochstehende

Totengräbergespräche und stellen fest, daß ein Leichentuch kein passendes Gewand für einen lebenden Menschen sei. Wir setzen uns auf den Boden und klagen, daß Gott einmal in unserem Land lebendig gewesen sei, jetzt sei er aber tot. Und Deine Auferstehung ist für uns mehr ein geschichtliches Ereignis, das vor zwei tausend Jahren geschah. Aber damals fing sie ja nur an, nicht wahr, und aufhören wird sie überhaupt nie. Deine Auferstehung ist ein ständiges Ereignis, nicht ein geschichtliches.

Herr, ich finde nichts darüber in der Heiligen

Schrift, wo Du Deine Auferstehungskleider hergenommen hast. Sie waxen einfach da. Wir machen uns zuviel Kleidersorgen. Du hast gesagt, daß wir nicht fragen sollten: Worin werden wir uns kleiden? Ich denke, wir sollten noch weniger fragen, worin Du Dich kleiden wirst. Während wir das brüchige Gewebe Deiner Leichentücher prüfen, bereitest Du Dir schon längst ein neues Kleid vor. Du hast auch gesagt: „Ist denn der Leib nicht mehr al die Kleidung?" Dein Leib ist auferstanden und Du lebst. Wir aber schauen nicht auf Deinen auferstandenen Leib, sondern glotzen auf Deine Leichentücher und jammern: Form ohne Inhalt! Vielleicht sehen wir den Inhalt gar nicht, weil wir nicht an ihn glauben. Freilich: in den Leichentüchern ist er nicht und bist Du nicht. Das warst Du damals ja auch nicht mehr, nach der Auferstehung. Aber anderswo wirst Du sein, wie damals. Die Apostel suchten Dich dort, wo man Dich hingelegt hatte. Das tun wir auch sooft. Und wir vergessen, daß ein Auferstandener und Lebendiger sich ja selbst bewegen kann und vielleicht dört ist, wo ihn niemand vermutet. Vielleicht sind unsere Zeiten auch christlich, nur auf andere Weise, und Du bist gar nicht tot. Man hat Deine Kleider verteilt und das Los darüber geworfen, die Kleider, die Du als Lebendiger trugst. Ich möchte wissen, was aus ihnen geworden ist. Es ging ja eine Kraft von ihnen aus. Aber ich weiß es: Deine Kleider wurden verteilt und jetzt gehen die einzelnen Stücke in der Welt herum, freilich stark durchwebt und „ausgebessert“ mit menschlichen Zutaten, zum Beispiel die Krankenkassen, die Gewerkschaften, die soziale Fürsorge. Letztlich gehen doch alle diese Dinge auf Dein Gebot der Nächstenliebe zurück. Den Strom sehen wir, die Quelle nicht. Ja, Herr, man hat sogar die Seele wiederentdeckt, vorderhand auf medizinischem Gebiet, aber schließlich ist der Glaube an die Seele die Grundlage für religiöse Seelsorge. Ein Buch mit dem Titel „Und die Bibel hat doch recht“ ist ein Bestseller geworden. Die Naturwissenschaften nähern sich dem Gottesglauben. Man hat wissenschaftlich festgestellt, daß die Welt einmal angefangen habe, und man redet — vorderhand noch etwas befangen — sogar von einer Schöpfung. Wer hätte vor fünfzig Jahren, in den liberalen Zeiten, wo man Voll bärte trug und den Glauben durch ebenso vollbärtige Ansichten ersetzte, an eine derartige Auferstehung des Glaubens gedacht?

Herr, Du lebst wirklichl

Welch kostbare Entdeckung an einem Ostermorgen, zweitausend Jahre nach Deiner Auferstehung!

Herr, ich muß mein Wort von der Form ohne Inhalt widerrufen. Die gibt’s freilich schon, aber es gibt auch Inhalt ohne Form. Damit aber ist ja alles da, und es kommt nur darauf an, die beiden zusammenzubringen. Und wenn ich so nachdenke: wir sind ja ohnehin auf dem Weg dahin! Wir sind schon in der Auferstehung begriffen. Wir merken es nur nicht, weil wir immer wieder in die Grabkammer hineinschauen, in der Du einmal gewesen bist. „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ sagten die Engel zu den Frauen am Grabe. Diese Frage ist sehr berechtigt.

So werde ich Dich bei den Lebenden suchen, überall, und sooft ich Dich finde, werde ich Alleluja schreien.

Und ich bin überzeugt: das wird öfter geschehen als mir im Brevier vorgeschrieben ist.

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