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Herr Macn enwir

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Niemals ist Herr „Machenwir“ ein naher Freund oder ein naher Verwandter. Meistens ist er das, was man als „guter Bekannter“ bezeichnet, worunter man gemeiniglich Leute versteht, mit denen man irgendwann einmal

— in der Schule, bei einer vergnügten Gesellschaft oder im fängst vergessenen Sommerfrischen-Gasthof Bruderschaft getrunken hat; in selteneren Fällen ist er Cousin oder Onkel

— vom dritten Grad aufwärts, versteht sich. Man trifft Herrn „Machenwir“ in Abständen von Monaten oder gar Jahren. Aber es ist erfreulich, ihn zu treffen: seht nur, wie flott er um die Ecke biegt, mit weitgespreizten Beinen (ein Mann wahrhaftig, der sicher und selbstbewußt auf dem Deck des wackligen Lebensschiffleins steht) und doch zugleich Besitzer eines Fußsohlenpaares, das ihm, von der Ferse bis zum Zehenballen gleichmäßig abrollend einen federnden Gang (Spannkraft! Elastizität! Lebensfreude!) verleiht; seht nur, wie er immer gut aufgelegt ist, wie sehr er sich freut, dich nach Monaten oder Jahren wiederzusehen, hört, wie herzlich sein „Ser-vus!“ schon klingt, während ihr noch überlegt, ob ihr mit dem Mann da per „du“ oder noch per „Sie“ seid ...

Er teilt in Eile mit — nein, er deutet's nur an, er spricht es nicht gänzlich aus —, daß er „rasend viel“ zu tun hat und eben geradenwegs aus einem „ganz tollen Betrieb“ aufgetaucht ist; ob er damit sein Finanzamt, die stille Monatsschrift-Redaktion oder das Krematorium meint, in denen er arbeitet, spielt keine Rolle: ein Betrieb, in dem Herr „Machenwir“ arbeitet, ist immer toll. Aber es ist bekanntlich ein Kennzeichen großer Geister, trotz lastender Arbeit stets Zeit für seine Freunde zu finden; die Steuerhinterziehungen, der Abonnentenschwund oder die Sterblichkeit müßten schon sehr plötzlich ansteigen, um Herrn „Machenwir“ zu verhindern, dich in den windstillen Winkel eines Kaffeehauses zu ziehen — nicht um dir seine Sorgen mitzuteilen, o nein! Er wird dich zwar ahnen lassen, daß er eben im Begriff ist, „demnächst“ einem „ganz tollen“ Angebot Folge zu leisten, das ihn vielleicht nach den USA, wahrscheinlich nach Costa Rica, „mindestens“ aber nach Westdeutschland auszuwandern zwingen wird. („Was willst du, hier ist ja doch nichts zu holen . . .“) Aber dann ist von ihm schon nicht mehr die Rede. Nun wird nur von dir gesprochen.

Denn Herr „Machenwir“ ist kein Egoist. Nicht seine, nein: deine Sorgen sind es, die ihn interessieren. Er, der keine Sorgen zu haben scheint, macht sich aus deinen welche und du läßt ihn bereitwillig willfahren. Es ist so angenehm, einen Menschen zu treffen, der dich ernst nimmt und nicht müde wird, von deinem Kummer, deinen Wünschen, deineh Besorgnissen ZU hören urtd sie genau so belangreich findet wie du. (Und dann ist er ja eigentlich ein alter Freund von dir!)

Du erzählst: sieh, wie seine Stirne sich mitfühlend und nachdenklich faltet. Du endest: schau, wie seine Mundwinkel ernst herabgezogen sind. Eine kleine Pause ist eingetreten. Ah, und jetzt, jetzt kommt der wichtige Moment, der große Augenblick, der Auftritt, auf den sich dieser Mime sein Leben lang vorbereitet hat und den er Tag um Tag probt, wahrlich, es gibt nicht seinesgleichen, wenn er die Stirne entfaltet, wenn sein Antlitz von einem erlösenden Gedanken erhellt wird und seine Lippen endlich sich öffnen: „... na also, das machen vir. Ist ja klar!“

Der gute Bekannte oder entfernte Cousin ist immer bereit, deinen Kummer und deine Sorgen in seine männlich festen Hände mit den nicht immer ganz sauberen Fingernägeln zu nehmen. Er hat Beziehungen zu höheren und den höchsten Stellen — ein Wort von ihm und deinem Wunsch nach Gerechtigkeit oder Beförderung wird Genüge geschehen; er hat dieselbe Krankheit auch schon gehabt — morgen bringt er dir die einzige Medizin, die helfen kann; er erinnert sich genau, jene Krawatte, die dir vorschwebt, in der Auslage eines kleinen Geschäftes in seinem Nebenhaus gesehen zu haben, morgen bringt er sie dir mit — aber bitte, ist doch selbstverständlich, du hast einen Fachartikel geschrieben und möchtest ihn gerne überprüft haben? Nun, glücklicherweise ist Herr „Machenwir“ ein genauer Kenner des betreffenden Fachgebietes — morgen, spätestens übermorgen, erhältst du ihn kontrolliert zurück. Ist ja klar, Kleinigkeit. Und wenn du dich zufällig in einem Zustande gänzlicher Wunsch- und Sorglosigkeit befinden solltest — glaube mir: Herr „Machenwir“ liest in deinem Unbewußten und findet ein Kleines, das dich hinderte, gänzlich im Meere des Glückes unterzugehen. Und er hebt es ans Tageslicht und sagt tröstend: „Machen wir, ist ja klar...' Und wenn du dereinst im siebenten Himmel wandelst, er wird dir als Engel entgegentreten und dir bis morgen,. allerspätestens übermorgen, die Eintrittskarte in den achten Himmel verschaffen.

Herr „Machenwir“ hat stets zu tun; denn um ihn gibt es der kleinen und großen Sorgen genug und würde unter ihnen ganz gewiß allsobald zusammenbrechen, wenn er nicht die glückliche Begabung schneller Vergeßlichkeit hätte. Das heißt: vergeßlich ist er ja gar nicht, nein, nach einem Jahr noch, wenn du ihn wieder triffst, erinnert er sich deiner und „weißt du, dieser tolle Betrieb, also du kannst dir nicht vorstellen ..., aber morgen, spätestens übermorgen bekommst du deine Medizin! Öder die Krawatte, die Beförderung, deinen Fachartikel, und natürlich die Eintrittskarte ins achte Paradies.“ Nein, er ist nicht vergeßlich; er hat nur ein prächtiges* hlcchgefüttertes Unterbewußtsein, in das alles abgeschoben wird, was „im Augenblick“ aus

Gründen des tollen Betriebes nicht erledigt werden kann, Ein prächtiges Unterbewußtsein, fürwahr. Noch kein Arzt hat an Herrn „Machenwir“ eine Neurose konstatieren können.

Bestimmt, er ist ein guter Kerl, a good fel-low, un bon garcon, 'n toller Knabe. Er will ja stets das Beste — er kommt nur nicht immer, er kommt nie dazu, es auszuführen. Nein, er ist kein Hochstapler, denn er gewinnt ja nichts an seiner Hilfsbereitschaft — nichts, nur den großen räusehhaften Augen-

blick, in dem seine Lippen sich öffnen und er seih „machen wirs ist ja klar“ zum bebten gibt. Er stapelt auch nicht tief, denn er selbst bittet kaum jemals um Hilfe, Rat und Gehör. Er ist ein Mittelstapler, bestenfalls.

Was ein Mittelstapler ist? Das ist einer., dem jeder hineinfällt. Sei sicher: auch jti wirst ihm bei der nächsten Begegnung, zum zweiten, zum zehnten, zum x-tenmal •• 'mit hineinfallen, ganz bestimmt.

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