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Carles Portas Tatsachenroman über katalanische Originale.

Im Jahr 1983 strahlte der katalanischsprachige Sender TV 3 sein erstes Programm aus. Ein Durchbruch für die Katalanen: Ihre Sprache, die nicht bloß ein spanischer Dialekt, sondern eine romanische Sprache mit größerer Nähe zum Provenzalischen als zum Spanischen ist, durften sie unter dem Diktator Franco nicht sprechen, nicht drucken, nicht lehren. Erst 1978 wurde Katalanisch durch ein königliches Dekret wieder als Schulfach zugelassen.

Ein preisgekrönter Dokumentarfilm des Senders TV 3 aus dem Jahr 1997 ist jetzt von dem Journalisten und damaligen Sendungsgestalter Carles Porta in ein Buch verwandelt worden: "Tor. Das verfluchte Dorf", ein Tatsachenroman, geschrieben auf Katalanisch. Er spielt auf zwei Ebenen. Die erste Ebene ist ein wahrer Krimi, der weit von der quirligen Costa Brava und der wirtschaftspotenten Hauptstadt Kataloniens, Barcelona, in die Pyrenäen führt. Die knapp 60 Bewohner von Tor, einem der höchstgelegenen Dörfer (1790 m) in der abgelegensten Gegend der Pyrenäen, waren ein halbes Jahrhundert lang in einen Rechtsstreit verwickelt, im Zuge dessen drei Menschen ermordet wurden und keiner hinter Gittern landete.

Neid und Gesetzlosigkeit

Das ist erregender Stoff für die Lokalpresse. Doch was bringt die Übersetzung in eine andere Sprache, für Leser, deren Spanienbild von Stierkampf-Klischees und Küstenaufenthalten geprägt ist? Das Buch mit seinen Interviews, Auszügen aus Gerichtsakten und Beobachtungen des Fernsehmannes zeigt zwei Eigenschaften, die Erholung suchenden Spanienbesuchern neu sein werden und sie erschrecken kann: Neid und Gesetzlosigkeit.

In dem Streit um die gemeinschaftliche Nutzung der Weiden und Wälder eines Berges treten fast nur Männer auf, denn Frauen hatten bis 1954 keinen Erbanspruch: Jeder gegen jeden und alle gegen den Staat. Da wird gelogen und gestritten und schließlich gemordet, bis aus einem Toten die Würmer herauskriechen. Ein bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts reiches Dorf mit der besten Mauleselzucht des Landes verwandelte sich in einen Ort, auf dem ein Fluch zu lasten schien.

Mit dem Fortschritt im übrigen Spanien kam das Dorf nicht mit: Sieben Monate durch Schneemassen von der Außenwelt abgeschnitten, gibt es bis heute in Tor weder Telefon noch Elektrizität und auch kein fließendes Wasser. Dafür einen gigantischen Zigarettenschmuggel mit dem benachbarten Andorra. Wer dieses harte Leben zugunsten größerer Zivilisationsnähe im Tal verließ, galt den übrigen Dorfbewohnern als Verräter, der keinen Anspruch mehr auf den gemeinsamen Bergbesitz hatte. Dieser wurde zum Objekt der Begierde ausländischer Investoren, die ihn als ideales Schigebiet erkannten, das man an jenes von Andorra anbinden könnte. Offiziell ist der Rechtsstreit seit 2005 beendet, doch schreibt Porta: "Der Neid und der Lockruf des Geldes vermögen das alte Feuer wieder anzufachen."

Kampf um Wahrheit

Atemberaubend ist auch die zweite Ebene des Buches: Der Kampf des Reporters um die Wahrheit. Er sucht sie unter Lebensgefahr, schwitzt im Schneideraum Blut und Wasser, um in den wirren, von Hass durchtränkten Aussagen der Kontrahenten brauchbare Sätze zu finden und die vorgegebene Sendezeit nicht zu überschreiten. Auch dieser Aspekt, die Mühen der Gestaltung einer Dokumentation, bringt dem Leser erstaunliche Einsichten.

Alles in allem: Ein Buch, das katalanische Originale zeichnet, herrische, geldgierige Männer, die den Staat verachten und höchstens den Nachbarn fürchten, weil sie ihm das Schlimmste zutrauen …

Tor. Das verfluchte Dorf

Von Carles Porta. Aus dem Katalanischen von Charlotte Frei

Berlin Verlag, Berlin 2007

368 Seiten, geb., € 22,70

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