Herzlichen Glückwunsch Hilde Spiel

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Anlässlich des 100. Geburtstags von Hilde Spiel am 19. Oktober erinnert man sich der engen Verbindung der Autorin zur Region um St. Wolfgang.

Hilde Spiel, die seit 1936 in London lebte, kam 1950 auf Einladung des Verlegers Gottfried Bermann- Fischer mit ihrem Ehemann Peter de Mendelssohn nach St. Wolfgang. Der berühmte Ferienort hatte sie bereits in ihrer Jugend zu dem Roman "Verwirrung am Wolfgangsee“ inspiriert, der 1935 erschien. Die beiden jungen Protagonistinnen dieses Romans spiegeln bereits einige Wesenszüge der Autorin wider: tiefe Naturverbundenheit und das Streben nach innerer Freiheit des Denkens.

Hilde Spiel hat ein außerordentlich vielseitiges und umfangreiches Œuvre hinterlassen: Romane, Erzählungen, Essays, zwei Filmdrehbücher und eine Reihe von Gedichten. Dazu kommt eine nahezu unübersehbare Zahl von Theater- und Musikkritiken, Bücherrezensionen, kulturhistorischen Schriften, geistreichen Vorworten, wichtigen Übersetzungen sowie ein aufschlussreicher, kosmopolitischer Briefwechsel.

Ihre "unverwandte Teilnahme am Zeitgeschehen“ wird durch Erfahrungen anderer Menschen ebenso mit Leben erfüllt wie durch viele persönliche Erlebnisse und Bezüge zu den literarischen Strömungen der Zeit. Daraus entsteht ein Bereich der Erzählung zwischen Belletristik und Dokumentation, getragen von geschärftem politisch-sozialen Empfinden, von der bewussten Prüfung hergebrachter Konventionen, von der Selbstbehauptung als Frau im privaten wie im öffentlichen Leben.

Geselligkeit in herrschaftlichen Landhäusern

In St. Wolfgang fand Hilde Spiel einen Lebensstil vor, den sie seit jeher bewunderte - das gesellige Leben der herrschaftlichen Landhäuser, für das das Salzkammergut seit der Kaiserzeit berühmt war. Der Ort lag in der amerikanischen Besatzungszone und hatte keine größeren Bombenschäden erlitten und keine Kampfhandlungen erlebt. "Und nun“, schrieb Hilde Spiel euphorisch, kamen "die Ausgestoßenen“ zurück, "nicht nur aus London, sondern aus der Wüstennähe Kaliforniens und Israels, Salzkammergut-trunken seit eh und je“: Leo Perutz, Ralph Benatzky, Fritz Kortner und Friedrich Torberg sowie einige inzwischen berühmt gewordene Filmemacher aus Hollywood …

Lernet-Holenias Naturpark

Im Verlauf einiger Sommer, die Hilde Spiel und Peter de Mendelssohn in St. Wolfgang verbrachten, fanden sie rasch Anschluss an die künstlerische und geistige Elite. Sie trafen Ingeborg Bachmann und Franz Theodor Csokor und empfingen Golo Mann in ihrem Hotel in der Villa Tyrol, sahen Thomas Mann in Strobl und Hermann Kesten in St. Gilgen. Leo Perutz wurde ihnen im Haus von Alexander Lernet-Holenia, der in St. Wolfgang eine prächtige Villa bewohnte, vorgestellt. Sie verkehrten auch im Kreis der Hocharistokratie, wie Hilde Spiel in ihrem Hang zum Snobismus gerne betonte.

In den frühen Fünfzigerjahren kam das Ehepaar neuerlich nach St. Wolfgang, da eines der Bücher Mendelssohns ("Schmerzliches Arkadien“) in der Umgebung des Salzkammerguts verfilmt werden sollte. Alexander Lernet-Holenia machte das Ehepaar auf ein Anwesen aufmerksam, das an seiner Grundstücksgrenze lag. Der Naturpark Lernets mit seinen urwüchsigen Baumbeständen gab schließlich den Ausschlag für den Kauf des Hauses. Ein Ischler Baumeister wurde beauftragt, die Terrasse zu erweitern, die schon kurze Zeit später zum Sonnendeck illustrer Literatenrunden werden sollte. Zu Hilde Spiels Gästen zählten unter anderen Elias Canetti oder Heimito von Doderer; auch der zeitweilige "Feind“ Friedrich Torberg, der Hilde Spiel in einer Intrige Anfang der Fünfzigerjahre übel mitgespielt hatte, gehörte zu der Literatenrunde im "Haus am Bach“, und in späteren Jahren war auch die jüngere Generation der Schriftsteller vertreten, etwa durch Jutta (heute Julian) Schutting. Sogar der zum Einsiedlertum neigende Thomas Bernhard zählte häufig zu Hilde Spiels Gästen.

1963 kehrte Hilde Spiel als Kulturkorrespondentin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ nach Österreich zurück. Sie nahm ihren Hauptwohnsitz in Wien. 1971 ging sie mit dem exzentrischen Schriftsteller und BBC-Redakteur Hans Flesch-Brunningen eine zweite Ehe ein. Ihre Trauung fand am Standesamt von St. Wolfgang statt. Das Haus in St. Wolfgang fiel nach der Scheidung von Peter de Mendelssohn ihr zu. In toskanischem Stil erbaut, wurde das Anwesen von Spiel und Flesch-Brunningen mit viel Liebe und Feingefühl restauriert und erweitert. Gäste kamen oft und gern, Musik und Gespräche erfüllten Räume und Terrasse. Der ansonsten stille, ländliche Bezug zur Umgebung, zu Pflanzen und Tieren komplettierte das geistige Selbst Hilde Spiels.

Unerschrockenheit, Anstand und Würde

Ihr Grundstück grenzte direkt an das von Alexander Lernet-Holenia, einen ausgedehnten Park mit üppiger Bepflanzung von Dutzenden Schatten spendenden Linden, majestätischen Fichten und jahrhundertealten Platanen. Es sei ihr immer "als die schönste Lebensform“ erschienen, sagte sie in einem ihrer letzten Interviews, in einer "kleinen Gemeinschaft“ zu wohnen, inmitten unberührter Natur. Dort "die letzten ein bis zwei Jahrzehnte noch in Frieden verbringen zu können“, mehr hätte sie sich nicht gewünscht. Doch die Erschließung der verschwiegenen Landschaft, die schwierigeren Seiten des aufkommenden Tourismus ließen die für Zerstörung und Vertreibung sensibilisierte Künstlerin "jenes himmlische Dasein“ im Salzkammergut abrupt beenden. Nach dem Tod Alexander Lernet-Holenias fiel das Nachbarhaus dem Neffen Alexander Dreihann-Holenia zu, der zu ihrem Entsetzen den Park abholzen ließ. Diese Zerstörung konnte Hilde Spiel niemals verwinden; in Büchern wie etwa "Der Baumfrevel“ schrieb sie sich ihren Zorn von der Seele. Sie verkaufte ihr Haus und kehrte 1987 St. Wolfgang für immer den Rücken.

Der Geburtstag der Kämpferin für "Rationalität, humanes Engagement und das verlachte Wort Moral“ jährt sich am 19. Oktober 2011 zum 100. Mal. Oft genug hat sie bewiesen, dass die Ideale, an die sie glaubte, ihre Alltagspraxis bestimmten: "Was man von ihr lernen konnte, waren Unerschrockenheit, Anstand und Würde“, schrieb der Publizist Ulrich Weinzierl einmal. 

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