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Hier irrt der Europäer…

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Manchem Amerikaner schmeichelt die Frage, ob Hitler seinen Krieg entfesselt hätte bei persönlicher Kenntnis oder doch halbwegs richtiger Ahnung von den USA — dem „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ und der Superlative auf Englisch —, die genau genommen auf der anderen Seite niemand ganz wörtlich nahm.

Schwer zu sagen. — Wahrscheinlich, ja. — Superlativismus ist eine Mode, auf Tatsachen basiert und in Unberechenbarem begründet. Auf Unberechenbares basiert und in übersteigernden Konstruktionen formte seine hitlersche Ausgabe eine nationale Glaubenslehre, die aller exakten Gründlichkeit zum Trotz im Resultat notwendig fehlschlagen mußte; ganz einfach, weil die natürlichen Voraussetzungen fehlten.

Jeder Europäer weiß heute um die machtvolle Überlegenheit der USA und hat seinen gelegentlichen früheren Hochmut begraben. Es bleibt eine müßige Frage, wer nun eigentlich den Krieg gewonnen hat. Ohne die USA wäre ėr für Europa verloren. Das ist nach menschlichem Ermessen sicher. Nicht so sicher, leider, ist es bis heute, ob nach ihrem glänzenden militärischen Sieg die USA auch den Frieden gewinnen. Bleiben überall die heutigen provisorischen Grenzen — und es sieht fast danach aus —, dann ist wohl der Friede verloren; selbst wenn es gelingen sollte — w-ic 1920 —, die Etikette zu retten.

Einer der Gründe, warum dies so kam, mag in einem vielverbreiteten Irrtum liegen: ein Europäer wird dadurch, daß er in einer amerikanischen Uniform steckt und die obligaten fünf Jahre hindurch amerikanische Einrichtungen studiert und erlebt hat, noch nicht zum Amerikaner. Genau so wenig könnte ein Amerikaner, der vielleicht ein paar Studienjahre in Europa verbracht hat oder nach dem Sieg in der Alten Welt stationiert war, zum Europäer werden. Mit einem großen Unterschied: der Europäer bildet sich ein, zum Amerikaner geworden zu sein, weil er sich dies in der Regel so w'ünscht. Der Amerikaner denkt meistens nicht so, weil er es nicht nötig hat, Europäer zu werden. Der Europäer übersieht, daß nicht die Institutionen, das geschriebene Gesetz, das politische Rahmenwerk den Amerikaner machen, sondern der Geist, die Tradition — so paradox es klingen mag —, der Konservativismus. Der Europäer, soferr er seinem Kontinent treu blieb, verweis! nicht ungern auf seine historische Patina seine ältere Kultur, seine bisweilen ins Jahrtausend reichenden nationalen Jubiläen. Und sein berechtigter Besitzstolz verleitet ihn gelegentlich zu falschen, generalisierenden Schlüssen. Auch heute noch kann es passieren, daß die „Alte Welt“ ein bißchen gönnerhaft auf die „Neue“ herabblickt.

Hier irrt der Europäer.

Denn, abgesehen von Großbritannien, hat kein europäischer Staat eine längere ungebrochene Verfassungsgeschichte als die USA. Die amerikanische Verfassung ist über 150 Jahre alt und erlebte innerhalb dieser Zeit 22, zum Teil nicht tiefgreifende Novellen. An der grundsätzlichen Linie hat sich seit 1789 nichts Wesentliches geändert. Auch die Liberalen und radikal Progressiven von heute wünschen zum großen Teil keine weitgehende Änderung der Verfassung, oder wagen es zumindest nicht, solche Wünsche programmatisch zu formulieren. Die Differenzen gehen vielmehr um die orthodoxe Auslegung, nicht ums Prinzipielle. Wo dieses umkämpft wird, sind fast durchwegs — bewußt oder unbewußt — Europäer die Rufer im Streite. Selbst der große Bürgerkrieg (1861 bis 1865) — die blutigste Auseinandersetzung des 19. Jahrhunderts und eine der entscheidendsten der neueren Geschichte — ging nicht so sehr um die Verfassung als vielmehr um einen Interpretationsstreit.

So wuchs durch 150 Jahre ungebrochenes amerikanisches Fühlen und Denken. Wenn der Amerikaner sich vielfach wundert, warum in Europa nicht möglich ist, was bei ihm daheim zur Selbstverständlichkeit wurde, und bisweilen die Europäer der Altersschwäche verdächtigt, dann übersieht er, daß die meisten europäischen Staaten trotz ihrer schlohweißen Bärte — politisch ganz einfach nicht alt genug sind, um sich an amerikanischer Praxis zu messen; und daß der bisweilen kritisierte europäische Konservative in seinen wirtschaftlichen und sozialen Ansichten — allen äußeren Anzeichen zum Trotz — in Amerika ziemlich weit links sitzen müßte, wenn es so etwas wie links und rechts im Land der typischen Mitte und darum des Erfolges geben würde. Er übersieht insbesondere, daß er, der sich gern und nicht mit Unrecht als den freiesten Bürger des freiesten Landes bezeichnet, bei dem Versuch einer Propagierung amerikanischer Verfassungsgrundsätze im kontinentalen Europa — unweigerlich als „Faschist“ gebrandmarkt würde. Gleiches läßt sich im kleinen und großen eben nur an Gleichem messen.

Heute ist die geistige Entfernung zwischen der „Alten“ und der „Neuen Welt“ aus den verschiedensten Gründen nicht mehr so groß und so allgemein, als sie noch vor relativ sehr kurzer Zeit, etwa um die Wiener Opernpremiere von „Jonny spielt auf“, zur Wende zu den dreißiger Jahren gewesen ist. Mehr noch, die meisten Europäer mögen heute ein richtigeres Bild von den USA in den Gedanken tragen als umgekehrt die objektiven Amerikaner von Europa. Dies kommt daher, daß für den Europäer Amerika sehr viel wichtiger scheint als für die meisten Amerikaner — bei allem Interesse und aller humanitären Hilfsbereitschaft — Europa. Nicht nur scheint, sondern ist Amerika kann im äußersten Fall — so argumentieren manche Amerikaner — auch ohne Europa bestehen. Europa ohne Amerika nur im Rahmen Eurasiens. Daß damit auch für die USA eine völlig neue Problematik sich auftun müßte, gehört in ein anderes, wenn auch völlig klares Kapitel.

Der Europäer hält es im allgemeinen für ausgemacht, daß, von Außenseitern abgesehen, der amerikanische Isolationismus eine Angelegenheit von gestern sei. Und im Augenblick stimmt diese Annahme ganz, ohne Zweifel. Nur kann niemand mit Sicherheit sagen, wie lang ein Augenblick in diesem ungeheuren Land, das mehr Erdoberfläche bedeckt als ganz Europa zusammen, voraussichtlich dauert. Es ist durchaus möglich, daß die gegenwärtige amerikanische Haltung in der Führung der Außenpolitik, die bekanntlich von den beiden großen Parteien gemeinsam gestützt wird, stabil bleibt. Nach menschlicher Voraussicht steht keine Überraschung bevor: weder bei den Präsidentenwahlen noch, was sehr viel entscheidender sein mag, hinsichtlich der allgememen ökonomischen Entwicklung.

Preise, Löhne, Beschäftigungsgrad entwickeln sich noch immer nach aufwärts. Nachfrage übersteigt noch immer beträchtlich das Angebot. Von einer Depression — wenn das Gespenst auch bisweilen an die Wand gemalt wird — ist weit und breit nichts zu sehen, und die Experten prophezeien in der Regel auch für die nächste Zukunft günstiges Wetter.

Auf jeden Fall setzt die gegenwärtige, im allgemeinen europagünstige amerikanische öffentliche Meinung ein aktives europäisches Echo voraus. Man ist — und dies mit vollem Recht — nicht an einzelnen europäischen Staaten und Völkern, sondern an Europa und den Europäern interessiert, und glaubt — auch wieder mit vollem Recht —, daß letzten Endes nur ein organisiertes Europa für gesunde Investitionen in Frage kommt.

Der Europäer anerkennt die amerikanische Überlegenheit und führt sie im Wesenauf natürlichen Reichtum, eine bevorzugte Lage und auf das viel bewunderte amerikanische Tempo zurück. Er meint, wenn ihm die Chance gegeben wäre, in diesem unermeßlich reichen Land, das weder Vorurteile noch Klassenunterschiede kennt, zu wirken, dann würden auch für ihn die Dollar auf der Straße liegen.

Hier irrt der Europäer. In den USA liegt ebensowenig wie anderswo das Geld auf der Straße — nicht einmal die 10 Dollar, die jedermann von seinem amerikanischen Onkel als monatliche Mindestleistung erwartet. Es ist sicher sehr viel leichter, in den USA eine Arbeitsmöglichkeit zu finden als zu normalen Zeiten in den meisten europäischen Ländern. Man muß auch keineswegs rascher, mari muß nur normalerweise mehr arbeiten als in Europa. Nicht der Zeit nach, im Gegenteil; aber dem Arbeitseffekt nach. Das amerikanische Tempo ist, was den Arbeitsprozeß des einzelnen anlangt, nicht viel mehr als ein Mythos. Es tritt nur in der Gesamtleistung der Nation in Erscheinung, so daß die Arbeitsleistung im Gesamteffekt sicher eindrucksvoller ist als zumeist in Europa. Vor allem: es wird ohne Vorurteil gearbeitet; und wer sich auf ein bestimmtes Arbeitsfeld und bestimmte Arbeitsbedingungen festlegen wollte, mit anderen Worten, wer wählerisch wäre, auf spezielle Ansprüche pochend, begründet in Vorbildung, Praxis, subjektiver Neigung, der riskierte Zunächst manche Enttäuschung.

Auch die klassenlose Gesellschaft, die der Europäer in den USA-vielfach vorzufinden meint, nicht zuletzt gestützt auf amerikanisches Zeugnis, existiert praktisch nur in Theorien. Obwohl das äußere Erscheinungsbild, die Umgangsformen, da öffentliche Brauchtum, anders sprechen würden. Soziale Unterschiede werden nicht gerne .eingestanden und sie treten in der Öffentlichkeit erfreulich wenig in Erscheinung, abgesehen von der besonderen und zunehmend ernsten Problematik der Südstaaten mit ihrer verschleierten Ausnahmegesetzgebung gegen die Neger. Praktisch bestehen die Unterschiede, wenn auch ohne „Titel und Charakter“, genau so prononciert wie in Europa. Soziale Abgeschlossenheit und mitunter in bestimmten Wohnbezirken lokalisierte Exklusivität unterscheiden sich in nichts von europäischer Gepflogenheit. Nur daß sich niemand daran stößt, weil' sich im allgemeinen jeder sein Leben nach eigenem Bedarf gestalten kann und soziale Not — zumindest als Massenerscheinung — nicht bekannt ist. Richtig bleibt, daß auch heute noch in den USA mėhr Marschallstäbe in den Tornistern verborgen sind als in der Alten Welt. Im Prinzip ist jedoch kein Unterschied zu vermerken. Das nämliche gilt hinsichtlich der viel bezogenen Freiheit.

Der Amerikaner glaubt allgemein, mehr Freiheit zu genießen als der Bürger irgendeines anderen Staates. Er fühlt sich freier, und vor allem: er macht von seiner Freiheit, sie selber schützend, einen viel vernünftigeren Gebrauch, als dies in vielen europäischen Ländern der Fall sein mag. In der Tat sind. mißbräuchliche Exzesse auf dem Gebiet der Presse, des Versammlungswesens, in Theater und Film in den USA sehr viel seltener als in vielen europäischen Staaten. Man sollte insbesondere den amerikanischen Film nicht mit bestimmten typischen Exportprodukten verwechseln. Zugegeben, daß bestimmte Wildwestthemen in ermüdenden Variationen, zu stark durch den lokalen Geschmack bestimmt und für ihn berechnet, zu Pauschalurteilen verleiten. Darüber hinaus gebietet aber die Ehrlichkeit, festzustellen, daß der durchschnittliche amerikanische Spielfilm, wie er hierzulande gezeigt wird — von Ausnahmen abgesehen —, nicht nur spielerisch und photographisch, sondern auch in puncto Sauberkeit sehr vielen europäischen Produkten der gleichen Ebene klar überlegen ist.

Man sollte die USA nicht mit New York und auch nicht mit Hollywood verwechseln. Selbst wenn man es aber tut, ist die Tatsache wert der Beachtung, daß im Land der unbeschränkten Freiheit, in dem jede Zensurbestimmung aus grundsätzlichen Gründen verpönt ist, zum- Beispiel die Riesenstadt New York in jeglicher Beziehung, auch in Straßenbild, Buchauslagen und Presseständen, ungleich sauberer wirkt als — zumindest in früheren Zeiten — die meisten der kontinental-europäischen Metropolen.

Warum wohl? Nicht, weil die Menschen anders sind. Dies stimmt zumindest für New York nicht, dessen 5th. Avenue vielfach, einschließlich der Geschäftsaufschriften, an die frühere Wiener Kärntner Straße erinnert … Offenbar, weil zur amerikanischen Tradition das Wissen um die Tatsache gehört, daß „die Freiheit durch nichts so gefährdet ist als durch ihren Mißbrauch“ (Mark Twain).

Bleibt noch die Frage nach dem augenblicklichen Lebensstandard der Amerikaner: Kein Zweifel, daß dieser ungleich höher istals im durchschnittlichen Europa, ausgenommen die Schweiz und Schweden. Dies drückt sich im Durchschnitt der Lebenshaltung, Wohnkultur und Fortkommenschancen aus. Soziales Elend ist ungleich seltener zu treffen als in den meisten europäischen Staaten. Dies ändert nichts an der Tatsache, daß es trotz weit geringerer Auffälligkeit auch hier vorhanden ist. Natürlich ist es schwer angängig, zu vergleichen. Trotz manchen Unebenheiten, die nirgends auf der Welt vermeidbar sind, gibt es in den USA eines ganz bestimmt nicht: nämlich Potemkinsche Dörfer.

Wie schon erwähnt, der Europäer soll sich hüten, dem üblichen Irrtum zu verfallen, der ihn New York mit den USA und Manhattan mit New York verwechseln läßt. Auch in den USA bleibt eine respektable Aufgabe zu lösen: Nach einem Bericht vom Mai 1948 („US News und World Reports“) sind noch 9 Millionen amerikanische Häuser ohne fließendes Wasser, 29 Millionen Häuser ohne. Warmwasseranlage, 3 Millionen Bauernhäuser ohne elektrisches Licht und 9 Millionen junger Leute suchen eine Wohnung.

Die immer wieder aufflackernde Welle von Streiks, die zumal die großen Städte wiederholt vor ernste Probleme gestellt hat, ist keineswegs und ausschließlich durch politische Agitation bedingt, und die viel kritisierte Labour-Gesetzgebung hinsichtlich Streiks ist auf der anderen Seite keineswegs so „reaktionär“, wie es, von außen gesehen, manchmal scheinen mag. Angriff und Verteidigung deuten vielmehr gleichermaßen darauf hin, daß — wenngleich es manche Amerikaner noch nicht wahrhaben wollen — das soziale Problem auch in den USA nicht nur existiert, sondern sich in fortschreitendem Maße zu einer der amerikanischen Schlüsselfragen gestalten wird.

Man spricht vielfach von einem 50-Ct- Dollar and meint damit, daß der Kaufwert des Geldes, gegenüber der Vorkriegszeit um die Hälfte gesunken ist. Nach offiziellen Statistiken beträgt der Lebensmittelindex (mit 1939 als Vergleichsbasis) derzeit über 172. Die Löhne und Gehälter halten auch hierzulande nicht Schritt mit der Teuerung. Nach einem Flugblatt, das Angehörige der Hotel- und Klubangestelltengewerkschaft anläßlich eines lokalen Streiks im Frühjahr dieses Jahres verteilten, belief sich ' die Forderung der streikenden Angestellten eines mittleren Klubs in Manhattan, New York, auf eine zehnprozentige Lohnerhöhung für weibliches Küchenpersonal, das Wochenlöhne bis zu 30 Dollar bezogen hatte, und zwar auf Grund des abgelaufenen Kollektivvertrages. Darüber hinaus waren allerdings die hier im allgemeinen übliche 5-Tage-Woche mit 40stündiger Arbeitszeit gefordert und Verbesserungen der Sozialversicherung. Dieses willkürlich herausgegriffene Beispiel spricht für eine große Zahl durchaus ähnlich gelagerter Fälle. Eindrucksvoller als manche andere Tatsache beleuchtet die Besonderheit der amerikanischen Lage, daß die New-Yorker Untergrundbahn — nach ihrem Baudatum die älteste und erste ihrer Art — im Juni 1948 zum erstenmal seit ihrem Bestand die Tarife erhöht hat. Nach einem Bericht in „Times-Magazine" (Ira Freeman) vom Mai dieses Jahres betrifft die Erhöhung, durch Lohnsteigerung der insgesamt 39.000 Arbeiter und Angestellten des Unternehmens veranlaßt,. rund 41 a Millionen tägliche Fahrgäste, die in rund 13.200 täglichen Zügen die „Subway“ benützen.

So dreht sich die unerbittliche Spirale auch in den USA. Nicht so rasch und nicht so augenfällig wie in Europa. Aber sie dreht sich.

Was, ungeachtet aller auch hier bestehender Gegensätze, die Menschen vereinigt, ist die Tatsache, daß über alle Klassenschranken hinweg das stolze Bekenntnis zur amerikanischen Bürgerschaft alle sonstigen dokumentarischen Nachweise in die zweite Linie drängt. Nicht, daß die Parteigegensätze hier weniger scharf sind: aber sie sind weniger dogmatisch, elastischer und immer im Allgemein-Menschlichen und Staatsbürgerlichen überbrückbar. Auch die jüngste parteipolitische Sezession der Südstaaten spricht nicht gegen diese Behauptung. Im persönlichen Angriff — zumal in Wahlperioden — geht es auch hierzulande mitunter sehr scharf zu. Polemiken sind nicht wählerisch, Respektsdistanzen unbekannt, solange es nicht um Repräsentation der Gesamtheit nach außen geht.

Hingegen sind gewisse Grundgesetze gewohnheitsrechtlich, geheiligt: dazu gehören bei allem Freimut der Kritik das Respektieren der Mehrheit, das geduldige Warten bis zur Wiederkehr der eigenen Chance, das fair play und vor allem die bedingungslose amerikanische Geschlossenheit nachaußen.

Amerikanische Kritik selbst an den höchsten Stellen im Staat kann sehr scharf und verletzend sein. Die politische Geschichte zeigt, daß selbst überlebensgroße Männer wie Abe Lincoln zu Lebzeiten von ihren Gegnern keinerlei Schonung erfuhren, daß es aber auch keinem der Betroffenen jemals eingefallen wäre, sich bei Gelegenheit zu „revanchieren“.

Wo es ums Amerikanische geht, wird jeder Amerikaner ohne Unterschied der Parteirichtung empfindlich, und bei aller grundsätzlichen Freiheit, die auch dem persönlichen Geschmack weitesten Spielraum läßt, ist hier eine klare und allseitig respektierte, traditionsgewachsene Grenze. Kein amerikanischer Präsident würde zum Beispiel einen Antipoden, der vor ihm die Fahne trug, bloßzustellen suchen, schon deshalb nicht, weil er, wenn noch so sachlich im Recht, persönlich dabei den kürzeren ziehen würde.

Die sonst so gewandte Propaganda- maschine des Hitler-Regimes hatte das übersehen und erreichte mit ihrer auf Geschmacklosigkeit basierten und auf politische Teilung berechneten antiamerikanischen Taktik das genaue Gegenteil: nämlich die Einigung der Nation um die gemeinsame Fahne.

Hier irrte der Europäer. Für die Zukunft wird er bei aller berechtigten Kritik und ebenso vollberechtigten Ablehnung bloßen Kopierens gut daran tun, von den USA zu lernen…

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