Wolfgang Herrmann beweist, dass im Gedicht noch Wesentliches gesagt werden kann.
Mancher dürfte sich noch an jenes Klagenfurter Wettlesen erinnern, bei dem der Vorarlberger Schriftsteller Wolfgang Hermann erbost vor laufender Kamera das Mikrophon an sich riss und die Kritiker von Marcel Reich-Ranicki abwärts der Inkompetenz und fundamentalen Unkenntnis bezüglich der schönen Literatur bezichtigte. Eine Aktion, die den Lyriker in die Schlagzeile des Vorarlberger Kleinformats brachte und ihn wenigstens kurzfristig über einen kleinen Zirkel von Literaturliebhabern hinaus bekannt machte. Der bescheidene Bekanntheitsgrad liegt wohl vor allem an der literarischen Form, dem Gedicht, das nie mehrheitsfähig war und es immer weniger ist. Der ernsthaft verseschmiedende Dichter ist heute per se eine tragische Figur, ein Anachronismus in persona.
Der Otto Müller Verlag hat nun die neuen Gedichte des Vorarlberger Autors herausgebracht. Die in Zyklen arrangierte Lyrik zeigt ein beachtliches sprachliches Talent. Hier hat einer seine persönliche Sprache gefunden. Es ist eine Kunstsprache, die ihre eigenen Wörter hat, sie immer neu kombiniert, erstaunliche Aussagen über die Welt trifft. Einige dieser Hauptwörter sind: Namen, Licht, Traum, Augen, Vogelflug und so fort. Sogar ein in Gedichten üblicherweise verbotenes Wort wie Herz wird im Kontext dieser Lyrik wieder sagbar. Die Formelhaftigkeit gemahnt an einen Romantiker wie Joseph von Eichendorff, der ebenfalls mit wenigen Wörtern einen eigenen Sprachkosmos geschaffen hat. Die Magie der Wörter kumuliert zu kunstfertigen Zaubersprüchen. Der Hackenstil, das heißt, dass ein Satz über mehrere Zeilen läuft, verweist auf Hölderlin, dessen glasklaren Sprachbildern Wolfgang Hermann nicht fern ist. Wichtig sind bei ihm auch das Paradox und die Imperative von Paul Celan.
In diesem Wortkosmos finden sich originelle Schöpfungen, die der Leser nicht mehr so leicht vergisst. Die Desillusion der Hauptstadt beschreibt er so: "am ende des ersten stadtwinters/ grau die schläfen" Die "Heim-kehr", verknüpft mit dem Wortgehalt "Zusammen-Kehren" zeigt eine brachiale, exakte Metaphorik: "...so kehrte es mich nachhause". Bei aller Verzweiflung und Trauer, die den Gedichten innewohnt, fällt auf, dass dem lyrischen Ich und dem Leser auch immer wieder ein positiver Impuls geschenkt wird. So heißt es etwa im titelgebenden Gedicht "ins tagesinnere" von der "fährte": "folge ihr/ und leuchten wird/ der vieläugige pfad". Ein Lyrikband, der zeigt, dass im schlagwortverseuchten und klischeegetränkten e-mail- und Internetzeitalter in der Form des Gedichts noch Wesentliches, Berührendes, Leben Schenkendes gesagt werden kann.
Ins Tagesinnere
Gedichte von Wolfgang Hermann
Otto Müller Verlag, Salzburg 2002
108 Seiten, geb., e 15.-
Heilung vom Irrtum der heilen Welt
INS TAGESINNERE Gedichte von Wolfgang Herrmann Otto Müller Verlag, Salzburg 2002 108 Seiten, geb., e 15,-
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