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Josef Oberhollenzer erzählt von dunkler Kindheit.

Ein wenig hinterlässt Josef Oberhollenzers Erzählung "Großmuttermorgenland" den Eindruck vom unzureichenden Grund. Der Titel steht für die Sehnsüchte und Phantasien des kleinen Arnold, die von einem morgendlichen Ritual der Großmutter ausgelöst werden. Sobald sie das Fenster öffnet, "zum Tauern hinauf", behauptet die Großmutter Tag für Tag, dass hinter den Bergen die Erde rund sei. Sie muss es wissen, war sie doch in ihrer Jugend als Pantoffelmacherin weit jenseits der Grenzen des kleinen Südtiroler Bergtals herumgekommen.

Das Leben mit der Großmutter hat den Charakter des Erzählers nachhaltig geprägt. Schließlich teilt er mit ihr nicht nur lange Jahre die Schlafkammer, sie nimmt ihn mit zum Holz-oder Beerensammeln, zum Erdäpfel-oder Granten(Preiselbeeren-) klauben; sie hat stets Zeit für ihn und nimmt ihn ernst. Stellt er eine Frage, denkt sie ruhig nach und versucht dann eine Antwort, oder sagt auch offen, dass sie etwas nicht weiß. Das ist ein Sozialverhalten im Umgang mit Kindern, das in der geschilderten rauen und rückschrittlichen Bergbauernwelt wohl nicht alltäglich ist.

Der Rest der Kindheitserfahrungen ist eher von schwarzer Pädagogik geprägt, mit Höllenangst, unberechenbaren Gewaltakten von Erwachsenen, namentlich dem Vater, und jeder Menge Schlachtblut und Schlachtszenen, die Oberhollenzer fast so obsessiv einspielt wie Josef Winkler in seiner Kärnten-Trilogie. Vieles bleibt in dieser Kindheitserinnerung verschwommen, überall scheint Unausgesprochenes zu lauern.

Auch das Leben der Großmutter hat seine dunklen Seiten, die nur andeutungsweise sichtbar werden; kurz vor der Hochzeit verjagt sie ihren Bräutigam, der späterhin am Berg verunglückt, und zieht ihre Tochter - Arnolds Mutter - als lediges Kind auf. Am Ende scheint die Großmutter freiwillig aus dem Leben ihres Enkels verschwunden zu sein.

Aus dem "mittelalterlichen nachrichtenloch seiner kindheit habe es ihn zwar sozusagen mitten in die welt katapultiert", aber als Wirklichkeit sei das Weltgeschehen "über die berge kaum jemals ins tal herein, sei fiktion allemal mehr geblieben als hinter den bergen seine welt, die ihm von der großmutter morgen für morgen einmal geweissagt worden sei", so heißt es in der für das Buch charakteristischen artifiziellen Sprech- und Schreibweise gegen Ende der Erzählung.

Doch was für die kindliche Weltwahrnehmung und-aneignung, die den größten Teil einnimmt, durchaus organisch wirkt, ergibt noch keine plausible Lebensgeschichte. Wenn der kleine Junge den ersten Fremden, die das Tal touristisch zu erobern beginnen, auflauert, um sie zu fragen, ob die Welt jenseits der Berge tatsächlich rund sei, wird die kindliche Beunruhigung spürbar, die dieser Neugier innewohnt. Doch der Heranwachsende hat seine Erfahrungen jenseits der Berge gemacht, auch wenn er dem Priesterseminar vorzeitig entflieht, wobei uns der Autor die obligaten sexuellen Übergriffe durch einen Erzieher nicht erspart.

Im Lesen wird bald klar, dass die Aufzeichnungen als eine Art Rechenschaftsbericht niedergeschrieben sind, ein Erzählmodell, das sich aktuell für unterschiedlichste Autoren von Peter Henisch bis Xaver Bayer zu bewähren scheint. Gegen Ende sehen wir den Schreiber in der psychiatrischen Anstalt. Auslöser dürfte wiederum ein Bergunglück gewesen sein, bei dem seine Frau ums Leben kam, ob mit oder ohne sein Zutun wird nicht einwandfrei deutlich.

Der Berg, den er als Junge mit seinem Freund Korb für Korb abzutragen begann, um den Blick in die Welt draußen freizuräumen, ist jedenfalls sein Schicksal, das wird manifest. Dass sich Arnold in seinem Leben mit Frau und gemeinsamer Tochter vorübergehend gerettet fühlt, das Projekt aber letztlich an seiner neurotischen Bindung an ritualhafte Alltagsabläufe scheitert, wird allerdings mehr behauptet, denn gezeigt.

Großmuttermorgenland

Eine Erzählung aus den Bergen

Von Josef Oberhollenzer

Folio Verlag, Wien 2007

108 Seiten, geb., € 19,50

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